Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Fast jeder Lindauer hat eine Migrationsgeschichte
Journalist Winfried Kösters erklärt, wie Integration gelingen kann und spricht darüber mit den OB-Kandidaten
LINDAU - Fast jeder Lindauer hat eine Migrationsgeschichte. Umso wichtiger ist eine erfolgreiche Integration. Darüber hat Journalist Winfried Kösters auch mit den OB-Kandidaten gesprochen.
„Wichtiger als unsere unterschiedliche Herkunft ist unsere gemeinsame Zukunft“lautete das Motto des Abends, das mehr als 120 Lindauer in den Kolpingsaal gelockt hat. Treffpunkt Zech, Lindau Fatih Moschee und der Helferkreis „Offene Türen“hatte dazu den Fachmann Kösters eingeladen, der nach einer Übung und einem Vortrag mit den OB-Kandidaten über Integration gesprochen hat.
Dabei machte Kösters sehr deutlich, dass (fast) jeder eine Migrationsgeschichte hat. Unter den Gästen war niemand, dessen beide Elternteile
aus Lindau stammen und der für Ausbildung oder Beruf diese Stadt noch nie verlassen hat. Im Gegenteil: Die meisten sind aus den verschiedensten Gründen irgendwann in diese Stadt gezogen. Und wer hier geboren und aufgewachsen ist, war für einige Jahre weg und ist dann wiedergekommen. Denn, und auch das wurde sehr deutlich. Die meisten wollen in Lindau ihren Ruhestand erleben, auch wenn die Kinder inzwischen in aller Welt verstreut leben.
Kösters ließ das die Gäste spüren, sie mussten mehrfach durch den Raum wandern. Später erklärte er, dass es Migration schon immer gab, wie nicht nur bei den verschiedenen Völkerwanderungen zu sehen ist. Auch Deutschland erlebe seit dem Gastarbeitergesetz von 1955 Zuwanderung, lebe aber mit einer Lebenslüge und habe deshalb erst seit Kurzem ein entsprechendes Gesetz – in dem aber von Integration überhaupt keine Rede sei.
Kösters zitierte jede Menge Zahlen und Daten. So gab es in den vergangenen 50 Jahren weit mehr als 70 Millionen Wanderbewegungen im Jahr in Deutschland. Das sind 1,5 Millionen Menschen, die jedes Jahr ausund einwandern. Früher haben mehr das Land verlassen, inzwischen überwiegt die Zahl derer, die einreisen. Darunter sind neben Flüchtlingen auch Vertriebene, Aussiedler, sogenannte Gastarbeiter und deren Nachkommen und EU-Bürger.
Viele Menschen fürchten das Fremde. Das könne sich aber ändern, sagte Kösters und verwies auf evangelische Christen, die in vielen Regionen nach dem Krieg als Fremde von der katholischen Mehrheit geschnitten wurden. Heute interessiere das niemanden mehr. Diese Fähigkeit zur Integration brauchten die
Deutschen auch jetzt. Denn Willkommenskultur allein reiche nicht für ein gutes Miteinander.
Angesichts des demografischen Wandels – 2030 gehen doppelt so viele Deutsche in den Ruhestand wie in dem Jahr als 18-Jährige ins Berufsleben starten – sei Deutschland auf Zuwanderung angewiesen, erklärte Kösters. Um den Wohlstand zu erhalten, sei jeder auf Fachkräfte angewiesen: „Oder wer schiebt sonst unseren Rollstuhl?“Dabei räumte Kösters auch mit dem Vorurteil auf, dass die meisten Flüchtlinge hierzulande auf Staatskosten leben. Denn das gilt in großer Zahl nur für die, die laut Gesetz gar nicht arbeiten dürfen. Auffällig sei zudem, dass die soziale Lage und Grundorientierung der Geflüchteten fast genau die gleiche ist wie die der Bevölkerung hierzulande. Auch da entsprechen die Fakten also in keinster Weise den Vorurteilen.
Wichtigste Grundlage für gelingende Integration ist die Sprache, deshalb sollte jeder Zuwanderer so schnell wie möglich Deutsch lernen. Dass viele Flüchtlinge keinen Anspruch auf Deutschkurse haben, sei schlecht. Integration brauche zudem eine Wertefundament, eine Struktur und Konzept, in dem sich ein Netzwerk der Akteure bewegen kann.
Hasan Aslan von der Moschee hofft auf weitere solche Veranstaltungen, um die Integration der Menschen aus anderen Kulturen in Lindau zu erleichtern.
Dabei – und darin waren sich die OB-Kandidaten einig – läuft es in Lindau besser als in vielen anderen Gegenden Deutschlands. Das liege vor allem an der dezentralen Unterbringung, der guten Struktur durch das Landratsamt und an den vielen Helferkreisen im ganzen Landkreis.
Konkret äußerten sich vor allem Mathias Hotz (CSU/JA/FB) sowie Daniel Obermayr (BL), während Claudia Alfons (LI/BU/FDP) sowie Claudia Halberkamp (SPD/FW) eher vage bleiben. Kai Kattau (MiL) nutzte den Auftritt vor allem, um dafür zu werben, dass Wähler für ihn noch unterschreiben.
Eigene Erfahrung mit Integration haben die fünf nur indirekt: Obermayr und Kattau sprachen vom Kontakt mit Arbeitskollegen oder Mitarbeitern, Alfons hatte vor allem als Jugendstaatsanwältin mit Migranten zu tun. Hotz hat Flüchtlinge in Gerichtsverfahren vertreten und ist mit einer Aussiedlerin verlobt. Halberkamp hat ehrenamtlich am Integrationskonzept mitgearbeitet und hilft Müttern von ausländischen Mitschülern ihrer Kinder, wenn die mal eine Übersetzung oder einen Fahrdienst brauchen.