Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Verdacht der Polizeigewalt bestätigt sich vorerst nicht
Angeklagter wegen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt – Undurchsichtige Verletzung in Weingarten
WEINGARTEN - Der im Raum stehende Verdacht, dass Polizisten auf dem Weingartener Revier einen Mann in der Ausnüchterungszelle geschlagen haben sollen, hat sich vorerst nicht bestätigt. Das ist bei einem Prozess am Dienstag vor dem Ravensburger Amtsgericht deutlich geworden. Vielmehr wurde der, von seinem Anwalt Klaus Schulz als vermeintliches Opfer gesehene, 25 Jahre alte Angeklagte zu einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung sowie 40 Sozialstunden verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann am 26. Januar 2019 betrunken die Polizisten beleidigt, bespuckt und tätlich angegangen hatte. Daher wurde er nun wegen des Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen sowie Beleidigung von Vollstreckungsbeamten verurteilt.
„Sie waren durchweg aggressiv. Die Beamten hatten keine Möglichkeit, Sie unter Kontrolle zu bekommen. Sie haben immer wieder die Konfrontation gesucht“, sagte Richterin Margit Metzger, die aufgrund des psychischen Ausnahmezustandes in der Nacht gepaart mit einer ADHS-Erkranknung und einem erheblichen Alkoholkonsum (etwa 2,2 Promille) zugunsten des Angeklagten von einer verminderten Schuldfähigkeit ausging. Daher setzte sie das Urteil auch auf Bewährung aus. Staatsanwältin Mona Düffert hatte sechs Monate Haft und 50 Arbeitsstunden gefordert. Aufgrund der nun erstmals verhängten Freiheitsstrafe, der belastenden Situation und des Bemühens des Angeklagten, ein normales Leben mit Job zu führen, forderte sie ebenfalls, die Strafe auf Bewährung auszusetzen.
Zweifel an der Schuld des gebürtigen Weingarteners hatte aber niemand im Gerichtssaal. Selbst Rechtsanwalt Klaus Schulz hatte in seinem Plädoyer die Strafe von drei Monaten auf Bewährung gefordert. Das entspricht der Mindeststrafe bei einem Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Einen Freispruch hatte also selbst der Anwalt des Angeklagten nicht gesehen. Dazu hatten unter anderem die vorangegangen Zeugenaussagen von vier Polizisten geführt, die in der Tatnacht im Einsatz waren und dann auch
Anzeige erstattet hatten. Demnach hatte der Angeklagte bis in die Morgenstunden in einer Kneipe in der Weingartener Innenstadt erheblich Alkohol getrunken, bevor er aus dem Lokal geschmissen wurde. Weil er, nach eigener Aussage, von einem Gast „aus der Kneipe heraus geprügelt wurde“, rief er die Polizei. Als diese eintraf, randalierte er vor der Eingangstür, weswegen ihn die Beamten letztlich mit auf die Wache nahmen, wo die Situation weiter eskalierte.
Das zeigt auch eine Videoaufnahme aus der Ausnüchterungszelle, die als Beweismittel gezeigt wurde. Darauf steigerte sich der Angeklagte – wohl auch wegen des Eingesperrtseins – immer weiter in seine Wut hinein, sodass die Beamten ihm erneut Handschellen anlegten, um ihn aus Eigenschutz ins Zentrum für Psychiatrie (ZfP) nach Weißenau zu bringen. Die Gefahr, dass er sich selbst etwas antue, sei gegeben gewesen, sagten die Beamten aus. Jedoch gelang es dem Angeklagten, die Handschellen von hinter dem Rücken nach vorne zu bringen. Laut Polizisten schlug er sich diese dann mehrfach gegen den Kopf, sodass er direkt anfing, heftig zu bluten.
Während sich der Mann selbst nicht an die Ereignisse in der Gefängniszelle erinnern kann – unter anderem wegen später von Notärzten verabreichten Beruhigungsmitteln – ist die Situation für Schulz klar. Er war der Meinung, dass die Polizisten fälschlicherweise von einer Selbstgefährdung ausgegangen seien. Daher hätten sie auch nicht in die Zelle gehen müssen. Vielmehr hatte er eine andere Erklärung. „Er nervt sie zu Tode. Das kotzt die da oben an“, sagte er. „Die sind da runtergegangen, um ihm ordentlich einen einzuschenken.“
Schläge oder andere Gewalt der Polizisten gegen den 25-Jährigen sind auf dem Video allerdings nicht zu sehen. Einerseits ist die Kamera verstellt, zweitens ist das Bild unscharf und drittens versperren die Beamten die Sicht. Daher gab auch Schulz zu: „Ich kann anhand der Videos auch nicht feststellen, dass sie ihn getreten und geschlagen haben.“Vielleicht sei die Verletzung auch aus Versehen zugefügt worden. Klar ist für Schulz nur, dass sich sein Mandant nicht selbst verletzt habe. Das sah Staatsanwältin Düffert etwas anders. Bereits das psychologische Gutachten habe gezeigt, dass sich der Angeklagte schon früher selbst verletzt habe. Auch gebe es auf dem Video eine Szene, bei dem sich der Mann kurz selbst würge. Die zunehmende Aggression sei offensichtlich. „Ich kann nicht erkennen, was man den Polizisten als Fehlreaktion vorhalten könnte“, sagte Düffert und fügte hinzu. „Ich bin froh, dass sie nachgesehen haben. Das müssen sie auch.“Vielmehr sah sie die Schuld beim Angeklagten. In dem Wissen, dass er zu Kontrollverlust neige, habe er sich zwei Promille angetrunken. In der Folge habe er die Polizisten beleidigt, bespuckt und getreten, was sich später im ZfP fortgesetzt habe. „Das war das ganze Programm“, sagte die Staatsanwältin. „Es hat sich genauso bestätigt, wie es angeklagt war.“Der Angeklagte hat nun eine Woche Zeit, um gegen das Urteil Einspruch einzulegen. Doch selbst wenn das geschehen sollte, könnte der Fall noch einmal vor Gericht landen. Schließlich hat der 25-Jährige die Polizisten angezeigt.