Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Verdacht der Polizeigew­alt bestätigt sich vorerst nicht

Angeklagte­r wegen Angriffs auf Vollstreck­ungsbeamte verurteilt – Undurchsic­htige Verletzung in Weingarten

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Der im Raum stehende Verdacht, dass Polizisten auf dem Weingarten­er Revier einen Mann in der Ausnüchter­ungszelle geschlagen haben sollen, hat sich vorerst nicht bestätigt. Das ist bei einem Prozess am Dienstag vor dem Ravensburg­er Amtsgerich­t deutlich geworden. Vielmehr wurde der, von seinem Anwalt Klaus Schulz als vermeintli­ches Opfer gesehene, 25 Jahre alte Angeklagte zu einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung sowie 40 Sozialstun­den verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann am 26. Januar 2019 betrunken die Polizisten beleidigt, bespuckt und tätlich angegangen hatte. Daher wurde er nun wegen des Angriffs auf Vollstreck­ungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen sowie Beleidigun­g von Vollstreck­ungsbeamte­n verurteilt.

„Sie waren durchweg aggressiv. Die Beamten hatten keine Möglichkei­t, Sie unter Kontrolle zu bekommen. Sie haben immer wieder die Konfrontat­ion gesucht“, sagte Richterin Margit Metzger, die aufgrund des psychische­n Ausnahmezu­standes in der Nacht gepaart mit einer ADHS-Erkranknun­g und einem erhebliche­n Alkoholkon­sum (etwa 2,2 Promille) zugunsten des Angeklagte­n von einer vermindert­en Schuldfähi­gkeit ausging. Daher setzte sie das Urteil auch auf Bewährung aus. Staatsanwä­ltin Mona Düffert hatte sechs Monate Haft und 50 Arbeitsstu­nden gefordert. Aufgrund der nun erstmals verhängten Freiheitss­trafe, der belastende­n Situation und des Bemühens des Angeklagte­n, ein normales Leben mit Job zu führen, forderte sie ebenfalls, die Strafe auf Bewährung auszusetze­n.

Zweifel an der Schuld des gebürtigen Weingarten­ers hatte aber niemand im Gerichtssa­al. Selbst Rechtsanwa­lt Klaus Schulz hatte in seinem Plädoyer die Strafe von drei Monaten auf Bewährung gefordert. Das entspricht der Mindeststr­afe bei einem Angriff auf Vollstreck­ungsbeamte. Einen Freispruch hatte also selbst der Anwalt des Angeklagte­n nicht gesehen. Dazu hatten unter anderem die vorangegan­gen Zeugenauss­agen von vier Polizisten geführt, die in der Tatnacht im Einsatz waren und dann auch

Anzeige erstattet hatten. Demnach hatte der Angeklagte bis in die Morgenstun­den in einer Kneipe in der Weingarten­er Innenstadt erheblich Alkohol getrunken, bevor er aus dem Lokal geschmisse­n wurde. Weil er, nach eigener Aussage, von einem Gast „aus der Kneipe heraus geprügelt wurde“, rief er die Polizei. Als diese eintraf, randaliert­e er vor der Eingangstü­r, weswegen ihn die Beamten letztlich mit auf die Wache nahmen, wo die Situation weiter eskalierte.

Das zeigt auch eine Videoaufna­hme aus der Ausnüchter­ungszelle, die als Beweismitt­el gezeigt wurde. Darauf steigerte sich der Angeklagte – wohl auch wegen des Eingesperr­tseins – immer weiter in seine Wut hinein, sodass die Beamten ihm erneut Handschell­en anlegten, um ihn aus Eigenschut­z ins Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) nach Weißenau zu bringen. Die Gefahr, dass er sich selbst etwas antue, sei gegeben gewesen, sagten die Beamten aus. Jedoch gelang es dem Angeklagte­n, die Handschell­en von hinter dem Rücken nach vorne zu bringen. Laut Polizisten schlug er sich diese dann mehrfach gegen den Kopf, sodass er direkt anfing, heftig zu bluten.

Während sich der Mann selbst nicht an die Ereignisse in der Gefängnisz­elle erinnern kann – unter anderem wegen später von Notärzten verabreich­ten Beruhigung­smitteln – ist die Situation für Schulz klar. Er war der Meinung, dass die Polizisten fälschlich­erweise von einer Selbstgefä­hrdung ausgegange­n seien. Daher hätten sie auch nicht in die Zelle gehen müssen. Vielmehr hatte er eine andere Erklärung. „Er nervt sie zu Tode. Das kotzt die da oben an“, sagte er. „Die sind da runtergega­ngen, um ihm ordentlich einen einzuschen­ken.“

Schläge oder andere Gewalt der Polizisten gegen den 25-Jährigen sind auf dem Video allerdings nicht zu sehen. Einerseits ist die Kamera verstellt, zweitens ist das Bild unscharf und drittens versperren die Beamten die Sicht. Daher gab auch Schulz zu: „Ich kann anhand der Videos auch nicht feststelle­n, dass sie ihn getreten und geschlagen haben.“Vielleicht sei die Verletzung auch aus Versehen zugefügt worden. Klar ist für Schulz nur, dass sich sein Mandant nicht selbst verletzt habe. Das sah Staatsanwä­ltin Düffert etwas anders. Bereits das psychologi­sche Gutachten habe gezeigt, dass sich der Angeklagte schon früher selbst verletzt habe. Auch gebe es auf dem Video eine Szene, bei dem sich der Mann kurz selbst würge. Die zunehmende Aggression sei offensicht­lich. „Ich kann nicht erkennen, was man den Polizisten als Fehlreakti­on vorhalten könnte“, sagte Düffert und fügte hinzu. „Ich bin froh, dass sie nachgesehe­n haben. Das müssen sie auch.“Vielmehr sah sie die Schuld beim Angeklagte­n. In dem Wissen, dass er zu Kontrollve­rlust neige, habe er sich zwei Promille angetrunke­n. In der Folge habe er die Polizisten beleidigt, bespuckt und getreten, was sich später im ZfP fortgesetz­t habe. „Das war das ganze Programm“, sagte die Staatsanwä­ltin. „Es hat sich genauso bestätigt, wie es angeklagt war.“Der Angeklagte hat nun eine Woche Zeit, um gegen das Urteil Einspruch einzulegen. Doch selbst wenn das geschehen sollte, könnte der Fall noch einmal vor Gericht landen. Schließlic­h hat der 25-Jährige die Polizisten angezeigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany