Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Dem Höllenschlund entronnen
Im Westen Nicaraguas bestimmen Vulkane und ihre Nebelwälder das Landschaftsbild
Am Aussichtspunkt des „Sendero El Cráter“auf dem Mombacho sollte sich eigentlich der Blick auf den Lago Cocibolca, den Nicaraguasee, öffnen. Sollte – denn aktuell ist es neblig oder wolkig, eventuell auch beides. „Vielleicht haben wir Glück und die Wolken verziehen sich ein wenig“, mahnt Guide Henry Moraga zur Geduld. Tatsächlich, nach einiger Zeit wird die Wolkendecke zur Seite gezogen wie ein Vorhang. Unten ist der größte Binnensee Mittelamerikas zu sehen und an seinem Ufer Granada, die Touristenhauptstadt Nicaraguas.
Von hier oben bietet sich das perfekte Postkartenidyll, und der weite Weg aus Europa in das Land, das im Norden an Honduras grenzt und im Süden an Costa Rica, scheint sich gelohnt zu haben. Wie der erfolgreiche Nachbar im Süden hat auch Nicaragua einen Zugang zu Pazifik und Atlantik, lockt in bunten Küstenstädtchen Surfer an und punktet bei Naturliebhabern mit Dschungel und Vulkanen. 2017 kamen knapp zwei Millionen internationale Touristen nach Nicaragua, eine Million weniger als nach Costa Rica. Noch erfährt Nicaragua also nicht die Aufmerksamkeit wie sein Nachbar. Bedenken bezüglich der Sicherheit könnten dabei eine Rolle spielen. Es macht auch durchaus Sinn, in der Gruppe mit einem versierten Guide unterwegs zu sein, der Sprachbarrieren umgehen kann, lokale Gegebenheiten und Gefahren kennt. Doch in Granada und San Juan del Sur sind auch viele alleinreisende Backpacker unterwegs.
Rund um den Krater
Der weite Blick vom 1344 Meter hohen Mombacho ist nicht von Dauer, schnell ist der Nebel zurückgekehrt. Macht aber nichts, der „Sendero El Cráter“besitzt selbst genug Reizvolles, auf das es sich zu konzentrieren lohnt. Etwa die begrünten Felswände, die eine schmale Schlucht bilden. Oder die Fumarolen, aus denen Dampf austritt. Stufen und schmale Pfade führen durch das Grün des Nebelwalds. Mit Moos bewachsene Steine und Stämme, Wurzeln, Kletterpflanzen und Farne prägen das Bild auf dem eineinhalb Kilometer langen Rundweg am Krater „Mombacho 1“. 700 Pflanzenarten sollen hier wachsen, darunter auch viele Orchideen.
Vulkane prägen die Landschaft im Westen Nicaraguas. Auch am Lago Cocibolca: Steil ragt der Concepción mit seinen etwa 1700 Metern heraus.
Ein gänzlich anderer Reiz geht vom Masaya-Vulkan aus, der auf der Strecke zwischen Granada und der Hauptstadt Managua liegt und ziemlich unruhig ist. „Den größten Ausbruch hat es 1772 gegeben“, erzählt Henry Moraga. Der Weg zum Santiago-Krater ist gesäumt von vulkanischem Gestein. Wer schließlich am Krater steht, sieht, wie die Lava in der Tiefe brodelt, blubbert, wabert und spritzt. Die träge Masse wirkt bedrohlich und faszinierend zugleich. Vor allem in der Abenddämmerung wirkt das gelb-rot leuchtende Schauspiel des Lavasees hypnotisierend. Gut nachvollziehbar, warum die spanischen Konquistadoren den
Vulkan einst als „Höllenschlund“bezeichneten. Im 20. Jahrhundert sollen während der Somoza-Diktatur auch politische Gegner darin gelandet sein. Einen vagen Eindruck von den politischen Unruhen der vergangenen Jahrzehnte erhält man in der Hauptstadt Managua. Einen wichtigen Platz nimmt dabei Freiheitskämpfer Sandino ein. Vielerorts wird ihm gedacht, das aktuelle politische Geschehen bleibt für den Touristenblick dagegen eher unsichtbar.
Managua liegt am Xolotlán, auch Managuasee genannt. Selbstverständlich blickt man auch von hier auf Vulkane: Da wären der Apoyeque und dahinter der Momotombo. In jüngeren Jahren wurde die Uferpromenade etwas aufgehübscht, zuvor sei es dort nicht sonderlich sicher gewesen, berichtet Moraga. Die Besucher
am Paseo Xolotlán können die Kirchen des Landes in Miniaturausgabe bestaunen. Es finden sich dort klassische Gotteshäuser wie die neogotische Capilla Maria Auxiliadora, die barocke Iglesia La Merced oder die im Kolonialstil erbaute Kathedrale von Granada. Aber auch die Neue Kathedrale von Managua ist vertreten. Mit ihrem eigenwilligen Stil, zu dem eine fabrikähnliche Fassade zählt, sorgte das vom mexikanischen Architekten Ricardo Legorreta entworfene Bauwerk für Kontroversen. Sie steht in deutlichem Kontrast zur Alten Kathedrale im neoklassischen Stil, die sich an der Plaza de la Revolución befindet. 1972 wurde sie bei einem Erdbeben stark beschädigt, das mehrere Tausend Todesopfer gefordert und Hunderttausende obdachlos gemacht hat. Wie das Zentrum vor dem Unglück ausgesehen hat, lässt sich am Paseo Xolotlán nachvollziehen. Miniaturen zeigen das Stadtbild vor der Zerstörung.
Museum im Kloster
Zerstörung in anderer Form hat die Kolonialstadt Granada erlebt, die mehrfach von Piraten überfallen wurde und immer wieder neu aufgebaut werden musste. Mehr über die bewegte Geschichte lässt sich im San Francisco-Kloster, das das Kommunalmuseum beherbergt, erfahren. Der Besuch in dem weitläufigen Klosterbau mit seinen lichtdurchfluteten, begrünten Innenhöfen und farbenfrohen Räumen lohnt. Große Wandgemälde zeigen die Zeit vor und nach der Ankunft der Spanier. Lebensgroße Puppen veranschaulichen Traditionen und Brauchtum. Geflochtene Lampenschirme und geschreinerte Tische und Stühle zeigen die Handwerkskunst der Region. Weitere Räume widmen sich der naiven Kunst. Da hängen farbige Holzvögel als Teil eines überdimensionalen Mobiles von der Decke. An den Wänden strahlen leuchtende Landschaftsbilder um die Wette.
Ob die Realität genauso farbenfroh ist, soll bei einer Bootsfahrt auf dem Lago Cocibolca überprüft werden, die zum Miniarchipel Las Isletas mit seinen über 360 Miniinseln führt. Entstanden sind sie bei einem Ausbruch des Mombachos in grauer Vorzeit. Heute stehen teils imposante Villen darauf, die den Schönen und Reichen als Feriendomizil dienen. Auf „Privatbesitz“weist auch das Schild einer weiteren Insel hin, der Affeninsel. Ein Tierarzt hat sich hier niedergelassen. Eisvögel, Egrettas, Kormorane, Nacktkehlreiher und Fischadler lassen sich vom Boot aus beobachten – genug Inspiration also für eigene Gemälde. Sei’s auf der Leinwand oder im Kopf.