Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mit Ehrgeiz trotz Sprachbarriere ans Ziel
Berufschulklasse an der Elektronikschule besteht zu fast einem Drittel aus Geflüchteten
TETTNANG - Am Computer ist Nabil Alfathi in seinem Element. Dass ein Beruf im IT-Bereich das Richtige für ihn ist, war dem 26-Jährigen schon früh klar. Vor knapp sechs Jahren kam er aus seinem Heimatland Syrien nach Deutschand. An der Tettnanger Elektronikschule ist er nicht der einzige Berufschüler mit Fluchthintergrund, der sich über Sprachbarrieren hinwegkämpft, um seinen Weg zu gehen.
Die Kurzgeschichte „Nacht“von Sybille Berg steht an diesem Dienstagvormittag im Deutschunterricht auf dem Programm. Lehrerin Katharina Engel teilt einen Stapel Blätter aus, während sich die Schüler in Kleingruppen zusammensetzen und über den zuvor gelesenen Text diskutieren. Während sich ein Großteil der Schüler auf den reinen Inhalt konzentrieren kann, müssen andere zunächst die Übersetzungs-App auf ihrem Handy zu Rate ziehen, um zu verstehen, worum es geht.
Sechs der insgesamt 20 Schüler in der Klasse sind Geflüchtete. An der Elektronikschule machen sie die Ausbildung zum „Fachinformatiker Systemintegration“und befinden sich im zweiten Lehrjahr. „Wir haben uns vor zwei Jahren bewusst dazu entschieden, alle Schüler mit Fluchterfahrung in eine Klasse zu stecken“, sagt Klassenlehrerin Susanne Weißenrieder. Das habe sich ausgezahlt: Von Anfang an habe in dieser Klasse eine besonders gute Dynamik geherrscht, berichtet sie.
Als Nabil Alfathi nach Deuschland kam, hat er Sprachkurse belegt, sich Wissen über Informatik angeeignet und sich um einen Ausbildungsplatz bemüht. „Neue Menschen kennen zu lernen ist für mich das Schöne an diesem Beruf“, schwärmt der junge Mann. Deswegen gefalle ihm auch der Unterricht in seiner Berufschulklasse so gut: „Wir helfen uns gegenseitig und es macht Spaß“, sagt er. Das größte Problem im Unterricht seien häufig fehlende Sprachkenntnisse.
„Am Anfang dachte ich, wenn ich nachfrage, störe ich vielleicht die anderen Schüler“, erinnert er sich. Doch diese Scheu legte er schnell ab. „Das ist heute einfach ganz normal, dass man direkt nachfragt, wenn etwas nicht verstanden wird“, sagt Erik Letzner, der dieselbe Klasse besucht. „Wir machen keinen Unterschied, ob jemand geflüchtet ist oder nicht und versuchen, alle auf einer Basis zu behandeln“, so der 24-Jährige.
„Vor allem am Anfang haben die anderen Schüler und auch die Lehrer uns sehr geholfen – zum Beispiel, indem sie bewusst langsamer mit uns gesprochen haben, damit wir alles verstehen“, sagt Nabil Alfathi. Im ersten Lehrjahr bot Deutschlehrerin Katharina Engel zusätzlichen Sprachunterricht an, der gut angenommen wurde. Ansonsten laufe ihr Deutschunterricht in der Klasse aber ab wie jeder andere auch. „Was manchmal schwierig ist, sind Idiome oder Sprachbilder, die man einfach nur als Muttersprachler kennen kann“, erklärt sie.
Nach dem Unterricht oder in der Pause seien es häufig die Schüler mit Fluchthintergrund, die zu ihr ans Pult kommen, um sich Dinge nochmals erklären zu lassen oder nachzufragen,wie sie sie nacharbeiten können, berichtet Susanne Weißenrieder. „Sie sind sehr zielstrebig und wissen genau, was sie wollen. Und auch, dass Arbeit und Einsatzbereitschaft der Preis ist, den sie zahlen müssen, um etwas zu erreichen“, so ihre Beobachtung. „Schüler, die behütet in einer Familie aufwachsen, lassen Dinge vielleicht eher auf sich zukommen und kümmern sich nicht so proaktiv um ihr Schicksal.“
Diesen Ehrgeiz wüssten auch die Ausbildungsbetriebe zu schätzen: „Die Rückmeldungen, die wir bekommen, sind durchweg positiv“, so Weißenrieder. Dabei sei es zweitrangig, dass die Schüler mit Fluchthintergrund vielleicht nicht unbedingt den Notenschnitt absoluter „Überflieger“hätten. „Aber sie kämpfen sich durch – und wenn man bedenkt, was sie durch ihren Hintergrund und durch die Sprachbarriere noch für einen Rucksack zu tragen haben, ist diese Leistung schon beachtlich.“
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