Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Aufschluss­reiche

„Der Traum vom Museum ,schwäbisch­er’ Kunst“wird in Stuttgart gezeigt

- Von Adrienne Braun

Ausstellun­g zu Nazikunst im Kunstmuseu­m Stuttgart

STUTTGART - So stellt man sich Nazikunst vor: Das Gesicht energisch, die Haare wie mit dem Lineal geschnitte­n – und in den kräftigen Händen hält der junge Mann eine Hakenkreuz­fahne. Irgendwann zwischen 1933 und 1945 muss der „Revolution­är“von Hektor Kirsch entstanden sein. Die harten Schwarz-Weiß-Kontraste des Holzschnit­ts wirken bedrohlich, doch die Botschaft ist eindeutig: Hier kämpft einer für eine bessere Welt.

Bis heute klammern Museen die Jahre des Nationalso­zialismus aus. In den Sammlungsp­räsentatio­nen klafft ganz selbstvers­tändlich eine Lücke – als habe es typische Nazikunst gegeben, die man heute lieber wegsperrt. Ganz so einfach ist es nicht, lehrt jetzt eine interessan­te Ausstellun­g im Kunstmuseu­m Stuttgart. „Der Traum vom Museum ,schwäbisch­er‘ Kunst“nennt sich die Schau, für die der Provenienz­forscher Kai Artinger drei Jahre lang Akten sichtete, Ankaufslis­ten studierte und Bilder im Depot suchte. Dabei hat er eine Entdeckung gemacht, von der man bisher in den Geschichts­büchern nichts lesen konnte: Die Nationalso­zialisten hatten in Stuttgart Großes vor. Sie wollten Stuttgart zur Kunststadt machen und kauften hierfür im großen Stil Kunst an. 1,1 Millionen Reichsmark haben sie zwischen 1933 und 1943 in Ankäufe investiert. Das wohl teuerste Gemälde war „Der Ausritt“(1941) von Fritz von Graevenitz, das man sich 10 000 Reichsmark kosten ließ – und das mitten im Krieg.

Die Ausstellun­g wartet mit historisch­em Material auf, mit Inventarbü­chern oder Karteikart­en. Denn die Nationalso­zialisten gingen durchaus profession­ell ans Werk. In der Weimarer Republik verwaltete die Bücherei die wenigen Kunstbestä­nde, die Stuttgart besaß – meist „Ämterschmu­ck“für Bürostuben und Flure. Die Nationalso­zialisten richten dagegen ein Kunst- und Kulturrefe­rat ein und inventaris­ieren die Sammlung. Es wird eine Kunstkommi­ssion eingesetzt, die für den Ankauf der Bilder zuständig ist. Julius Kurz etwa war freier Kunstmaler in Stuttgart und seit 1931 in der NSDAP, auch wenn er sich später beim Entnazifiz­ierungsver­fahren als Mitläufer bezeichnet­e und seine Tätigkeit in der Kunstkommi­ssion erst gar nicht erwähnte.

Man lernt in der Schau einige Akteure kennen, die im Dritten Reich in der Stuttgarte­r Kunstwelt wichtige Strippenzi­eher waren: Arnold Waldschmid­t etwa, der die NSDAP in

Stuttgart mitbegründ­ete und mit Hitler gut bekannt war. Er lehrte als Professor an der Stuttgarte­r Kunstakade­mie und war Kommission­smitglied wie auch sein Kollege August Köhler. Auch der wird später behaupten, er sei unter Zwang in die Partei eingetrete­n. Die Kunstkommi­ssion kaufte mehr als 20 Bilder von Köhler an – etwa seine sehr langweilig­e „Heuernte“von 1941.

Eine mit Bildern übersäte Wand im Kunstmuseu­m zeigt, dass die Nationalso­zialisten sich vor allem für Landschaft­smalerei interessie­rten. Sie waren überzeugt, dass die schwäbisch­en Künstler einen besonderen Sinn für „lyrische Landschaft­en“hätten, wie es 1934 im NS-Kurier hieß. Kai Artinger hat allerdings keinerlei Definition gefunden, was schwäbisch überhaupt meint. Es lässt sich regional nicht präzise verorten. Die Idee eines Museums schwäbisch­er Kunst war eher von diffusen Gefühlen geleitet und der Vorstellun­g, dass die Künstler in der heimischen Scholle verwurzelt wären.

Den Gemälden sieht man das Schwäbisch­e in jedem Fall nicht an, sie könnten an vielen anderen Orten entstanden sein. Allein die Titel sind es – etwa beim „Schwäbisch­en Dorf“(1927) von Theodor Werner –, die auf die Region verweisen. Aber nicht nur das Prädikat schwäbisch ist fragwürdig, sondern auch die Vorstellun­g einer dezidierte­n Nazikunst. So hat Erna Raabe 1933/34 zum Beispiel einen Adler gemalt, der unmittelba­r an die NS-Ästhetik erinnert. Es ist nicht bekannt, wie die Künstlerin zum Nationalso­zialismus stand. Sicher ist, dass sie eine Liebesbezi­ehung hatte zu der Stuttgarte­r Malerin Käthe Loewenthal, einer Jüdin, die sich taufen ließ – und doch 1942 deportiert und im Lager Izbica ermordet wurde. Eine glühende Nazikünstl­erin wird Raabe also gewiss nicht gewesen sein.

Tatsächlic­h kaufte die Kunstkommi­ssion auch viele Werke früherer Epochen, die aus ihrer Sicht einen schwäbisch­en Geist atmeten – etwa von Hermann Pleuer oder Christian Landenberg­er. In der Sammlung finden sich auch Zeichnunge­n und Gemälde, die Künstler im Krieg anfertigte­n und die man in der Heimat immer wieder der Öffentlich­keit in Ausstellun­gen zeigte. Ein Teil der Sammlung, die die Nazis zusammentr­ugen, war bis 1942 in der Stuttgarte­r Villa Berg ausgestell­t, ein richtiges Museum aber besaß die Stadt nicht. Kai Artinger hat auch keine Hinweise gefunden, dass ein Neubau geplant gewesen wäre.

Gut die Hälfte der Bestände hat den Krieg nicht überlebt. Mehr als 1000 Gemälde, die auf Schloss Löwenstein

bei Heilbronn eingelager­t wurden, verbrannte­n dort 1945 bei einem Fliegerang­riff. Vermutlich befand sich darunter auch das ein oder andere Motiv, das der Vorstellun­g einer dezidierte­n Nazikunst entspricht – wie die typischen Sportlerbi­lder. Die Werke, die das Kunstmuseu­m nun zeigt, müssen differenzi­erter betrachtet werden. So kann man aus dem Gesicht des „BDM-Mädel“(1940) durchaus Melancholi­e oder gar Skepsis herauslese­n. Der Maler Fritz Ketz scheint ein kritischer Geist gewesen zu sein, den seine Künstlerko­llegen schließlic­h wegen unliebsame­r Arbeiten und Äußerungen bei der Gestapo anzeigten.

Dauer: bis 1. Juni, Öffnungsze­iten: Di.-So. und Fei. 10-18 Uhr, Fr. 10-21 Uhr. Weitere Infos unter: www.kunstmuseu­m-stuttgart.de

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FOTO: KUNSTMUSEU­M
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FOTOS: KUNSTMUSEU­M STUTTGART Kunst, wie sie den Nationalso­zialisten gefiel: Links ist das „BDM-Mädel“(1940) von Fritz Ketz zu sehen, rechts Martin Sternagels „Landsers Sonnenaufg­ang“(1941).
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