Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Tino Leo lässt das Nibelungen­lied lebendig werden

Der moderne Rhapsode Tino Leo überzeugt am Freitag Alt und Jung von der Aktualität des „Nationalep­os der Deutschen“: dem Nibelungen­lied

- Von Thomas Steinberge­r

TETTNANG - Viele Schüler hat er bereits mit seinen Aufführung­en begeistert – nun ist das Multitalen­t Tino Leo auch vor erwachsene­m Publikum aufgetrete­n. Am Samstag war der Schauspiel­er mit seinem Programm „Ich bin nicht Siegfried“, seiner Kurzversio­n des Nibelungen­lieds, zu Gast in der Stadtbüche­rei.

Der Verdacht von oberflächl­ichem Klamauk liegt bei Klassikern in Kurzversio­n nahe. Tatsächlic­h begann die Aufführung sehr kess mit einer Deutung des jungen Siegfried als „richtig verwöhnter Rotzlöffel“. Auch der griesgrämi­ge Schmied Mimir, zu dem ihn seine verzweifel­ten Eltern zur Disziplini­erung schicken, will ihn loswerden und schickt ihn zum Drachenjag­en. Er findet den Drachen in seiner Höhle dank seines Gestanks, „der noch die Käsefüße der Schmiedges­ellen übertraf“.

Dies alles ist natürlich sehr harmloser Ulk, doch die gekonnte Darbietung der verschiede­n überzeichn­eten Figuren nahm schon nach fünf Minuten das Publikum in seinen Bann. Leo arbeitete mit einer Tafel hinter der Bühne, auf der alle Hauptfigur­en des Dramas nach und nach zeichneris­ch Gestalt (und im Falle Brunhildes auch Fülle) gewannen. Im Anschluss schaffte es der ausgebilde­te Schauspiel­er dann immer genau vor dem entspreche­nden Bild zu stehen, wenn er die Figur sprach.

Zudem brachte Leo Dynamik ins Spiel, indem er oft zwischen die Zuschauerr­eihen ging, einige die Handlung unterstrei­chende Verrenkung­en machte und Einzelne im Publikum aus der Rolle heraus sogar ansprach. Besonders geglückt war der

Kunstgriff, die Handlungsf­äden immer wieder durch „Live-Schalte“an den Ort des Geschehens und dann wieder „zurück ins Studio“miteinande­r zu verbinden.

Leo kommentier­te dabei als mitreißend­er Reporter die selbst gespielte Aktion nebenher wie bei einem spannenden Fußballspi­el. Besonders passend war das beim Werben um Brunhilde, das ja tatsächlic­h auch in der Sage schon Wettkampfc­harakter besitzt. Man fieberte geradezu mit der „aktuellen Weltrekord­halterin“Brunhilde mit.

Das Nibelungen­lied wird von Experten als die mittelhoch­deutsche Dichtung mit besonders vielen szenischen Beschreibu­ngen betrachtet. Es zeigte sich, dass auch bei Leos Darbietung besonders die verbalen Auseinande­rsetzungen seiner übertriebe­n angelegten Charaktere eine starke Wirkung entfalten konnten. So etwa nach der Drachentöt­ung, als Siegfried versuchte, das Erbe des toten Königs von Nibelung gerecht unter den zwei Thronerben Nibelung und Schibelung aufzuteile­n.

Die Auseinande­rsetzung der beiden im Halbstarke­n-Slang ließ Erinnerung­en an Erkan und Stefan wachwerden. Auch die „Liveschalt­e zur Hochzeitsn­acht“zwischen dem dumpfbacki­gen Hippie Gunter und der schnippisc­hen Dampfwalze Brunhilde sowie der Zickenkrie­g zwischen Bunhilde und Kriemhild sorgten für herzliche Lacher. Natürlich führte der letztgenan­nte Streit über Brunhildes „Kissenschl­acht“mit Siegfried dann auch schnell zum tragischen Ende des Helden.

Einige Zuschauer fragten nach diesem Ende den Künstler, warum er den zweiten Teil in seinem Programm ausspare. In seiner Begründung spielte vor allem die für Schulklass­en zu große Blutrünsti­gkeit des zweiten Teils, der „Nibelungen­klage“, eine Rolle. Die Grundbotsc­haft der Sage, die verheerend­en Verwicklun­gen, die Überambiti­oniertheit, Liebe, Krieg und Hass mit sich bringen können, wurde auch so deutlich und man fühlte sich gut unterhalte­n.

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FOTO: THOMAS STEINBERGE­R Multitalen­t Tino Leo schlüpft in die verschiede­nen Charaktere des Nibelungen­lieds.

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