Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Tino Leo lässt das Nibelungenlied lebendig werden
Der moderne Rhapsode Tino Leo überzeugt am Freitag Alt und Jung von der Aktualität des „Nationalepos der Deutschen“: dem Nibelungenlied
TETTNANG - Viele Schüler hat er bereits mit seinen Aufführungen begeistert – nun ist das Multitalent Tino Leo auch vor erwachsenem Publikum aufgetreten. Am Samstag war der Schauspieler mit seinem Programm „Ich bin nicht Siegfried“, seiner Kurzversion des Nibelungenlieds, zu Gast in der Stadtbücherei.
Der Verdacht von oberflächlichem Klamauk liegt bei Klassikern in Kurzversion nahe. Tatsächlich begann die Aufführung sehr kess mit einer Deutung des jungen Siegfried als „richtig verwöhnter Rotzlöffel“. Auch der griesgrämige Schmied Mimir, zu dem ihn seine verzweifelten Eltern zur Disziplinierung schicken, will ihn loswerden und schickt ihn zum Drachenjagen. Er findet den Drachen in seiner Höhle dank seines Gestanks, „der noch die Käsefüße der Schmiedgesellen übertraf“.
Dies alles ist natürlich sehr harmloser Ulk, doch die gekonnte Darbietung der verschieden überzeichneten Figuren nahm schon nach fünf Minuten das Publikum in seinen Bann. Leo arbeitete mit einer Tafel hinter der Bühne, auf der alle Hauptfiguren des Dramas nach und nach zeichnerisch Gestalt (und im Falle Brunhildes auch Fülle) gewannen. Im Anschluss schaffte es der ausgebildete Schauspieler dann immer genau vor dem entsprechenden Bild zu stehen, wenn er die Figur sprach.
Zudem brachte Leo Dynamik ins Spiel, indem er oft zwischen die Zuschauerreihen ging, einige die Handlung unterstreichende Verrenkungen machte und Einzelne im Publikum aus der Rolle heraus sogar ansprach. Besonders geglückt war der
Kunstgriff, die Handlungsfäden immer wieder durch „Live-Schalte“an den Ort des Geschehens und dann wieder „zurück ins Studio“miteinander zu verbinden.
Leo kommentierte dabei als mitreißender Reporter die selbst gespielte Aktion nebenher wie bei einem spannenden Fußballspiel. Besonders passend war das beim Werben um Brunhilde, das ja tatsächlich auch in der Sage schon Wettkampfcharakter besitzt. Man fieberte geradezu mit der „aktuellen Weltrekordhalterin“Brunhilde mit.
Das Nibelungenlied wird von Experten als die mittelhochdeutsche Dichtung mit besonders vielen szenischen Beschreibungen betrachtet. Es zeigte sich, dass auch bei Leos Darbietung besonders die verbalen Auseinandersetzungen seiner übertrieben angelegten Charaktere eine starke Wirkung entfalten konnten. So etwa nach der Drachentötung, als Siegfried versuchte, das Erbe des toten Königs von Nibelung gerecht unter den zwei Thronerben Nibelung und Schibelung aufzuteilen.
Die Auseinandersetzung der beiden im Halbstarken-Slang ließ Erinnerungen an Erkan und Stefan wachwerden. Auch die „Liveschalte zur Hochzeitsnacht“zwischen dem dumpfbackigen Hippie Gunter und der schnippischen Dampfwalze Brunhilde sowie der Zickenkrieg zwischen Bunhilde und Kriemhild sorgten für herzliche Lacher. Natürlich führte der letztgenannte Streit über Brunhildes „Kissenschlacht“mit Siegfried dann auch schnell zum tragischen Ende des Helden.
Einige Zuschauer fragten nach diesem Ende den Künstler, warum er den zweiten Teil in seinem Programm ausspare. In seiner Begründung spielte vor allem die für Schulklassen zu große Blutrünstigkeit des zweiten Teils, der „Nibelungenklage“, eine Rolle. Die Grundbotschaft der Sage, die verheerenden Verwicklungen, die Überambitioniertheit, Liebe, Krieg und Hass mit sich bringen können, wurde auch so deutlich und man fühlte sich gut unterhalten.