Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Medikamente fehlen, Apotheker auch
Was zwei Apotheker einem Abgeordneten zu sagen haben
- Ein Blick in den Computer zeigt: Medikamente zu bestellen ist für Apotheker nach wie vor nicht einfach. Christian Schuol sucht exemplarisch nach Venlafaxin, einem Antidepressivum: Vergriffen. Die Lieferengpässe bei Arzneimitteln halten an. Eine Veränderung der Situation ist nach wie vor nicht in Sicht. Aber nicht nur der Medikamentenmangel macht Pharmazeuten zu schaffen. Bei einem Vor-Ort-Termin in der Engel-Apotheke haben Christian Schuol und sein Vater Jürgen dem Bundestagsabgeordneten Axel Müller (CDU) gesagt, wie es in ihrer Branche um den Nachwuchs bestellt ist und was sie von OnlineApotheke, Rabattverträgen, dem ERezept sowie dem Impfen in Apotheken halten.
Rabattverträge werden von gesetzlichen Krankenkassen und Pharmaherstellern geschlossen. Es geht darum, dass die Versicherten einer Kasse exklusiv mit den Arzneimitteln eines Herstellers versorgt werden. Die Vereinbarungen bringen den Krankenkassen Mengenrabatt. „Neulich habe ich von einer Kasse ein Schreiben bekommen, ich würde zu wenig die Dinge verkaufen, die sie in ihren Rabattverträgen haben“, so Schuol. Das Kuriose: „Die sind aber oft gar nicht lieferbar.“Schlecht sei auch, wenn Original-Präparate zwar vorhanden seien, die Leute sich diese aber nur schwer leisten können, weil die Kassen Rabattverträge nur über Generika – sprich: Nachahmermedikamente – abgeschlossen haben.
Um dem Abgeordneten zu zeigen, wie einzelne Medikamente komplett vergriffen sind, stellt sich Christian Schuol mit Axel Müller gemeinsam an einen Computer und sucht nach den Lieferdaten von bestimmten Medikamenten. Auf dem Bildschirm erscheint eine lange rote Liste von Arzneimitteln.
Rot heißt: Die sind nicht lieferbar.
„Die Leute sind durch den anhaltenden Medikamenten-Mangel mehr und mehr verunsichert“, stellt Christian Schuol seit längerem fest. Das Vertrauen in Arznei und Apotheke sinke, wenn ein Patient bei einem regelmäßig einzunehmenden Medikament jedes Mal eine andere Packung, eine unterschiedliche Dosierung erhält. „Wenn jemand gezwungen ist, sein Antidepressiva umzustellen, weil das ursprüngliche Medikament nicht verfügbar ist, kann das schwere Folgen haben“, betont Jürgen Schuol.
Regelmäßig bekomme Schuol von Patienten die Frage gestellt: „Ja, kommt das denn aus China?“Denn nahezu alle Medikamente werden dort und in Indien hergestellt. Auch dadurch schwinde das Vertrauen. Der Abgeordnete sagt, die Hersteller seien durch den Preisdruck der Krankenkassen – wieder fällt das Stichwort Rabattverträge – zum Auslagern der Produktion „getrieben“worden.
Müller formuliert das Ziel, dass „am besten alle Medikamente Made in Europe“sein sollten. Aber: „Erst wenn wir es mit Tatsachen belegen können, dass die Versorgungslage der Bevölkerung nicht mehr gesichert ist, können und müssen wir als Politik einschreiten.“Dabei handele sich um ein gesamteuropäisches Anliegen: „Wenn in der zweiten Hälfte dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft in deutschen Händen ist, kann man auch Dinge wie eine europaweit angemessene Medikamentenversorgung in den Blick nehmen.“
Was die Apotheker davon halten, künftig Grippe-Impfungen selber vorzunehmen, will der Abgeordnete von den Apothekern wissen: „Das könnte doch hilfreich sein, in Orten, in denen es vielleicht keinen Arzt mehr, aber noch eine Apotheke gibt.“Ihm sei wichtig, dass der Konsens zwischen Ärzten und Apothekern stimme, antwortet Schuol-Senior. Sein Sohn ergänzt: „Die Apotheker wünschen sich, mit solchen Dienstleistungen Umsatzverluste, die durch das E-Rezept befürchtet werden, auszugleichen.“
Stichwort E-Rezept: Wenn die Papierform nicht mehr verpflichtend ist, fürchten die hiesigen Apotheker, dass Online-Apotheken einen größeren Zulauf bekommen. „Das Bestellen eines verschreibungspflichtigen Medikaments ist bislang ja recht aufwändig. Man muss das Rezept erst in Papierform einsenden“, erklärt Christian Schuol. Er befürchtet, dass die garantierte freie Apothekenwahl fallen könnte und Kassen oder Ärzte die Medikamente direkt einem Online-Handel durchgeben und der Patient die Medikamente dann ohne den „Zwischenschritt Apotheke“nach Hause geschickt bekommen. Wichtig ist, so der Abgeordnete, dass das elektronische Rezept nicht missbraucht wird.
Im Labor der Apotheke erklären die Hausherren, dass entgegen dem landläufigen Narrativ in einer Apotheke noch relativ viel „selber gemacht“werde. „Beispielsweise das Medikament für ein behindertes Kind, das eigentlich nur in der Dosierung für Erwachsene erhältlich ist.“Aber auch Cremes und Tees.
Was auch an den Apotheken nicht vorbei geht, sei der Fachkräftemangel. Das gelte für pharmazeutischtechnische Assistentinnen, pharmazeutisch-kaufmännischer Angestellte
und Apotheker gleichermaßen. Christian Schuol erklärt sich das durch die steigende Bürokratie: „Die Leute, die sich für so etwas interessieren, haben ein Stück weit den Anspruch, einen Heilberuf zu haben und wollen ihre Zeit nicht mit viel Bürokratie verbringen.“Dass ein junger Pharmazeut nach dem Studium eine Apotheke übernehme und nicht in die Pharmaindustrie geht, werde immer unwahrscheinlicher.
Axel Müller sieht diesen Trend in gesellschaftlichen Veränderungen begründet. „Die Bereitschaft nach einem erfolgreichen Studium in die Selbstständigkeit zu gehen, ist nicht mehr hoch.“Die Politik müsse zwar darauf achten, dass die Rahmenbedingungen stimmen. „Aber alles können wir ihnen – das gilt für alle Gewerbetreibenden – nicht abnehmen.“