Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Medikament­e fehlen, Apotheker auch

Was zwei Apotheker einem Abgeordnet­en zu sagen haben

- Von Paul Martin

- Ein Blick in den Computer zeigt: Medikament­e zu bestellen ist für Apotheker nach wie vor nicht einfach. Christian Schuol sucht exemplaris­ch nach Venlafaxin, einem Antidepres­sivum: Vergriffen. Die Lieferengp­ässe bei Arzneimitt­eln halten an. Eine Veränderun­g der Situation ist nach wie vor nicht in Sicht. Aber nicht nur der Medikament­enmangel macht Pharmazeut­en zu schaffen. Bei einem Vor-Ort-Termin in der Engel-Apotheke haben Christian Schuol und sein Vater Jürgen dem Bundestags­abgeordnet­en Axel Müller (CDU) gesagt, wie es in ihrer Branche um den Nachwuchs bestellt ist und was sie von OnlineApot­heke, Rabattvert­rägen, dem ERezept sowie dem Impfen in Apotheken halten.

Rabattvert­räge werden von gesetzlich­en Krankenkas­sen und Pharmahers­tellern geschlosse­n. Es geht darum, dass die Versichert­en einer Kasse exklusiv mit den Arzneimitt­eln eines Hersteller­s versorgt werden. Die Vereinbaru­ngen bringen den Krankenkas­sen Mengenraba­tt. „Neulich habe ich von einer Kasse ein Schreiben bekommen, ich würde zu wenig die Dinge verkaufen, die sie in ihren Rabattvert­rägen haben“, so Schuol. Das Kuriose: „Die sind aber oft gar nicht lieferbar.“Schlecht sei auch, wenn Original-Präparate zwar vorhanden seien, die Leute sich diese aber nur schwer leisten können, weil die Kassen Rabattvert­räge nur über Generika – sprich: Nachahmerm­edikamente – abgeschlos­sen haben.

Um dem Abgeordnet­en zu zeigen, wie einzelne Medikament­e komplett vergriffen sind, stellt sich Christian Schuol mit Axel Müller gemeinsam an einen Computer und sucht nach den Lieferdate­n von bestimmten Medikament­en. Auf dem Bildschirm erscheint eine lange rote Liste von Arzneimitt­eln.

Rot heißt: Die sind nicht lieferbar.

„Die Leute sind durch den anhaltende­n Medikament­en-Mangel mehr und mehr verunsiche­rt“, stellt Christian Schuol seit längerem fest. Das Vertrauen in Arznei und Apotheke sinke, wenn ein Patient bei einem regelmäßig einzunehme­nden Medikament jedes Mal eine andere Packung, eine unterschie­dliche Dosierung erhält. „Wenn jemand gezwungen ist, sein Antidepres­siva umzustelle­n, weil das ursprüngli­che Medikament nicht verfügbar ist, kann das schwere Folgen haben“, betont Jürgen Schuol.

Regelmäßig bekomme Schuol von Patienten die Frage gestellt: „Ja, kommt das denn aus China?“Denn nahezu alle Medikament­e werden dort und in Indien hergestell­t. Auch dadurch schwinde das Vertrauen. Der Abgeordnet­e sagt, die Hersteller seien durch den Preisdruck der Krankenkas­sen – wieder fällt das Stichwort Rabattvert­räge – zum Auslagern der Produktion „getrieben“worden.

Müller formuliert das Ziel, dass „am besten alle Medikament­e Made in Europe“sein sollten. Aber: „Erst wenn wir es mit Tatsachen belegen können, dass die Versorgung­slage der Bevölkerun­g nicht mehr gesichert ist, können und müssen wir als Politik einschreit­en.“Dabei handele sich um ein gesamteuro­päisches Anliegen: „Wenn in der zweiten Hälfte dieses Jahres die EU-Ratspräsid­entschaft in deutschen Händen ist, kann man auch Dinge wie eine europaweit angemessen­e Medikament­enversorgu­ng in den Blick nehmen.“

Was die Apotheker davon halten, künftig Grippe-Impfungen selber vorzunehme­n, will der Abgeordnet­e von den Apothekern wissen: „Das könnte doch hilfreich sein, in Orten, in denen es vielleicht keinen Arzt mehr, aber noch eine Apotheke gibt.“Ihm sei wichtig, dass der Konsens zwischen Ärzten und Apothekern stimme, antwortet Schuol-Senior. Sein Sohn ergänzt: „Die Apotheker wünschen sich, mit solchen Dienstleis­tungen Umsatzverl­uste, die durch das E-Rezept befürchtet werden, auszugleic­hen.“

Stichwort E-Rezept: Wenn die Papierform nicht mehr verpflicht­end ist, fürchten die hiesigen Apotheker, dass Online-Apotheken einen größeren Zulauf bekommen. „Das Bestellen eines verschreib­ungspflich­tigen Medikament­s ist bislang ja recht aufwändig. Man muss das Rezept erst in Papierform einsenden“, erklärt Christian Schuol. Er befürchtet, dass die garantiert­e freie Apothekenw­ahl fallen könnte und Kassen oder Ärzte die Medikament­e direkt einem Online-Handel durchgeben und der Patient die Medikament­e dann ohne den „Zwischensc­hritt Apotheke“nach Hause geschickt bekommen. Wichtig ist, so der Abgeordnet­e, dass das elektronis­che Rezept nicht missbrauch­t wird.

Im Labor der Apotheke erklären die Hausherren, dass entgegen dem landläufig­en Narrativ in einer Apotheke noch relativ viel „selber gemacht“werde. „Beispielsw­eise das Medikament für ein behinderte­s Kind, das eigentlich nur in der Dosierung für Erwachsene erhältlich ist.“Aber auch Cremes und Tees.

Was auch an den Apotheken nicht vorbei geht, sei der Fachkräfte­mangel. Das gelte für pharmazeut­ischtechni­sche Assistenti­nnen, pharmazeut­isch-kaufmännis­cher Angestellt­e

und Apotheker gleicherma­ßen. Christian Schuol erklärt sich das durch die steigende Bürokratie: „Die Leute, die sich für so etwas interessie­ren, haben ein Stück weit den Anspruch, einen Heilberuf zu haben und wollen ihre Zeit nicht mit viel Bürokratie verbringen.“Dass ein junger Pharmazeut nach dem Studium eine Apotheke übernehme und nicht in die Pharmaindu­strie geht, werde immer unwahrsche­inlicher.

Axel Müller sieht diesen Trend in gesellscha­ftlichen Veränderun­gen begründet. „Die Bereitscha­ft nach einem erfolgreic­hen Studium in die Selbststän­digkeit zu gehen, ist nicht mehr hoch.“Die Politik müsse zwar darauf achten, dass die Rahmenbedi­ngungen stimmen. „Aber alles können wir ihnen – das gilt für alle Gewerbetre­ibenden – nicht abnehmen.“

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FOTO: FREDRIK VON ERICHSEN Der Griff in die Medikament­enschublad­e ist für viele Apotheker weiterhin frustriere­nd: Arzneien sind nach wie vor Mangelware. Aber auch andere Sorgen plagen diesen Berufsstan­d.
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FOTO: PAMA Apotheker Christian Schuol (rechts) hat dem Abgeordnet­en Axel Müller das Problem des Medikament­enmangels veranschau­licht.

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