Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Plötzlich sind die Einnahmen weg
Auch für freischaffende Künstler hat die Corona-Krise gravierende Folgen
RAVENSBURG - Wenn das kulturelle Leben stillsteht, dann verzichten nicht nur Musik- und Theaterliebhaber auf Genuss und Unterhaltung. Viele Kulturschaffende fürchten in diesen Tagen um ihre Existenz. Denn gerade für Freischaffende ist klar: keine Auftritte – keine Einnahmen.
Verbände schlagen Alarm: Vom Deutschen Musikrat über die Deutsche Orchestervereinigung bis hin zum Bundesverband Schauspiel. Hoffnungsvoll blicken viele auf die angekündigten Soforthilfen der Bundes- und Landesregierung. Doch die werden teilweise sehr unterschiedlich gehandhabt. In Berlin waren bereits am Sonntag über 200 000 Bewerber in der Warteschleife, um einen Antrag zu stellen. Andere Bundesländer haben die Antragsformulare überhaupt erst am Montagmorgen online gestellt. Und jedes Bundesland hat ein wenig ande- re Konditionen.
14 Konzerte hätte Geiger Linus Roth in den kommenden sieben Wochen gespielt. 14 Konzerte, die jetzt alle abgesagt sind. Für einen Auftritt war Roth noch nach Rio de Janeiro geflogen – die Absage kam kurz nach der Generalprobe. Die Sorge in der Kulturszene sei unglaublich groß. „Besonders für die, die nur davon leben, ist es eine Katastrophe“, sagt Roth.
Er selbst sei glücklicherweise durch seine Professur an der Universität Augsburg abgesichert. Ob er sich auch ohne diese über Wasser halten könnte? „Es wäre schon extrem“, vermutet Roth. Hohe Fixkosten, zum Beispiel für die Versicherung der Stradivari, dazu Miete und Lebensunterhalt – die Rücklagen würden wohl nicht ewig halten.
Doch Roth ist auch bewusst, dass ausfallende Auftritte nicht nur sein eigenes Einkommen schmälern: „Es hängt wahnsinnig viel dran: die PR-Agentur, das Management, das keine Provision mehr bekommt, wenn man keine Konzerte spielt. Die Auswirkungen sind unglaublich.“
Hinzu kommt die große Unsicherheit: „Ich frage mich nicht nur, wann wir den Weg zurück in die Normalität finden, sondern auch: Wie sieht diese dann aus?“Als Intendant des Festivals „Schwäbischer Frühling“in Ochsenhausen, könne er im Moment nicht sicher sagen, ob die Veranstaltung im Mai stattfinden kann. „Man muss sehen, wie sich die Situation entwickelt.“
Ganz abgesehen von finanziellen Aspekten ist es schlicht die Interaktion mit dem Publikum, die Linus Roth im Moment besonders fehlt. „Es ist ja nicht nur so, dass das Publikum den Künstler live erlebt, ich als Künstler erlebe ja auch das Publikum“, sagt er. Von Livestreams im Internet sei er deshalb kein allzu großer Fan. „Aber je länger die Quarantäne dauert, desto mehr wird es mich vielleicht auch packen.“
Auch Kontrabassist und Komponist Veit Hübner findet die aktuelle Lage in der Kulturszene düster. „Im Moment sitze ich daheim, alles ist abgesagt“, sagt er. Zuletzt war er gemeinsam mit seinem Bruder Gregor Hübner und Bobbi Fischer in der Formation Berta Epple auf Tour. Bis zum 20. April verliere er aufgrund der ausfallenden Auftritte um die 8000 Euro.
Wie es danach weitergeht – unklar: Auch im Mai seien schon viele Konzerte abgesagt, für Juni hatte
Hübner eine Tour in Russland geplant, die nun ebenfalls auf der Kippe stehe. Und im August steht das Einhaldenfestival in Fronreute an. „Wenn das Festival wegfällt, bekomme ich die Krise“, sagt Hübner.
Aktuell sei er noch in der Lage, den April gut zu überbrücken. Doch nicht bei allen Kollegen sei das der Fall. „Ich kenne einige, die sind jetzt wirklich am Boden zerstört“, sagt Hübner. Viel Geld auf die Seite zu schaffen, sei oft nicht möglich. Auch Kredite hält er da für wenig hilfreich: „Wie sollen wir die denn zurückbezahlen?“
Veit Hübner bleibt dennoch Optimist: „Ich habe eine Wohnung, meine Familie und genug zu Essen. Und darauf kommt es an. Alles andere ist Zubrot.“Zudem sei er zuversichtlich, dass auch die finanziellen Hilfen der Regierung Erleichterung bringen werden.
Finanzielle
Hilfen, auf die auch Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer, der unter anderem für das Theater
Freiburg arbei- tet, bald ange- wiesen sein könnte. Denn nicht nur in der Musikbranche sind die Sorgen groß – auch am Theater fürchten viele Freischaffende um ihre Existenz. „Es ist zu kurze Zeit vergangen, um für diese große, unerwartete Umwälzung eine funktionierende alternative Erwerbsstrategie parat zu haben“, sagt Zwimpfer. Die CoronaKrise habe alle bisherigen Abläufe mit einem Mal zum Erliegen gebracht.
Aktuell bleibe Zwimpfer mit seiner Familie zu Hause, informiere sich viel über die Pandemie und ihre Auswirkungen, arbeite aber auch im Atelier und an administrativen Aufgaben. „Auf der einen Seite ist da eine stetige Sorge um die Gesundheit von Familienmitgliedern, Freunden, Kollegen und Mitmenschen. Auf der anderen Seite aber auch ein Staunen über die Macht, mit der ein unsichtbarer Erreger die Menschheit in ihrem Treiben unterbricht“, sagt er.
Für Opernsängerin Anja Jung ist die Lage etwas weniger angespannt: „Ich bin gerade jetzt sehr dankbar, in der privilegierten Lage zu sein, wegen meines Festengagements am Theater Freiburg über ein gesichertes Einkommen zu verfügen.“Doch auch sie war einige Jahre selbst freischaffend und fühle mit ihren Kollegen.
Die von der Regierung versprochenen Hilfspakete findet sie zwar grundsätzlich richtig, aber viel zu bürokratisch: „Ein bedingungsloses Grundeinkommen für die betroffenen Berufsgruppen wäre nach meiner Ansicht jetzt die richtige Maßnahme. Wer einmal beim Jobcenter einen Antrag auf Arbeitslosenunterstützung oder Grundsicherung stellen musste, weiß, wie lange es dauert, bis die ersten Gelder fließen. Diese Zeit haben die Kolleginnen und Kollegen jetzt nicht.“
Jung selbst nutze die Situation, um sich zu Hause vorzubereiten, Liegengebliebenes zu erledigen und neue Partien einzustudieren, auch wenn ihr die Aufführungen und Konzerte fehlten. Sie glaubt fest daran, dass in der Krise auch Chancen für die Zukunft liegen: „Ich denke, dass die Menschen nach diesem Spuk einen Hunger nach Kulturveranstaltungen und guter Unterhaltung haben werden.“Kunst und Kultur, die Menschen berührt, träumen und nachdenken lasse, werde in Krisen wie dieser umso wichtiger.