Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Neue Brücke droht zum Alptraum zu werden
Erst war die Brücke Heimholz zu niedrig, dann zu schmal – Jetzt ist sie schon kaputt
SIGMARSZELL - Brücken verbinden Menschen über Flüsse, Grenzen, Schluchten. Brücken sind Orte der Begegnung. Die Brücke Heimholz hingegen ist ein Albtraum. „Ich muss zugeben, dass sie mich die eine oder andere Nacht verfolgt“, erzählt Sigmarszells Bürgermeister Jörg Agthe. Für viele Einwohner seiner Gemeinde sei die Brücke nur noch ein Schildbürgerstreich.
Dabei fing alles ganz normal an. Die Brücke Heimholz überspannt eine Bahnstrecke. Links und rechts davon liegen die Felder der Landwirte, die ebenfalls in der Nähe leben. Weil Landwirte häufig mit größeren Fahrzeugen unterwegs sind, entschließt sich die Gemeinde 1997, die Brückenfahrbahn auf fünf Meter zu verbreitern und investiert dafür einen hohen sechsstelligen D-Mark-Betrag. Jahrelang sind alle zufrieden. Die Bauern fahren mit ihren Traktoren einfach aneinander vorbei und unter ihnen fährt die Bahn. Aktuell fahren weder Traktoren noch Bahn über oder unter der Brücke.
Anfang 2019 ist nämlich klar: Für die angedachte Elektrifizierung der Bahn ist die Brücke zu niedrig. 68 Zentimeter fehlen, damit die benötigten Oberleitungen auch unter die Brücke passen. Also schließt die Gemeinde mit der Bahn einen Vertrag ab, in dem steht, dass die Bahn die Brücke erhöhen wird und am Ende auch wieder eine Fahrbahn mit fünf Metern Breite vorhanden ist.
Los gehen die Bauarbeiten im Februar im Jahr 2019, und in den folgenden Wochen fällt den Sigmarszellern auf: Mit der Fahrbahn auf der angehobenen Brücke stimmt etwas nicht. Also schnappen sich Bürgermeister Agthe und sein Stellvertreter Paul Breyer ein digitales Messgerät und einen herkömmlichen Meterstab. Die zwei stellen fest: Die Fahrbahn ist 30 bis 40 Zentimeter zu schmal.
Agthe fragt bei der Bahn nach. „Wer Ihnen solchen Schwachsinn berichtet, sollte besser genauer schauen oder vor Ort fragen“, lautet die Antwort. Es fehle noch der Straßenbelag und mit diesem werde die vereinbarte Breite sehr wohl erreicht. Agthe bleibt skeptisch und auf Nachfrage der Lindauer Zeitung gibt die Bahn einen Fehler bei der Bauausführung zu. Denn auch mit dem Straßenbelag wird die vereinbarte Breite nicht erreicht. Es ist mittlerweile November und die Frage stellt sich, wie das passieren konnte? Das beteiligte Bauunternehmen verweist bei einer Anfrage auf die Presseabteilung der Deutschen Bahn.
Deren Sprecher erklärt, dass der Fehler in der falschen Krümmung der
Brückenkappen lag. Sie bestehen aus Stahlbeton und sind wie eine Klammer an beiden Seiten der Brücke angebaut. Die Brückenkappen schützen nicht nur das Bauwerk, sondern dienen bei der Brücke Heimholz auch als Fußgängerweg. Allerdings nur auf einer Seite. So sieht es laut Bahn der Planfeststellungsbeschluss vor. Daher beschließt die Bahn, einfach einen Teil der Brückenkappe abzusägen, über die laut Plan keine Fußgänger gehen. So soll die vereinbarte Fahrbahnbreite wiederhergestellt werden. „Die Bahn hat uns zugesichert, dass sie diese Bauten ordnungsgemäß erledigen“, sagt Agthe.
Im Rathaus in Sigmarszell bewahrt er alle Briefwechsel mit der Bahn, Pläne und sonstige Unterlagen zur Brücke auf. Das Material füllt drei dicke rote Ordner. Agthe ist kein Experte für Bauangelegenheiten, aber er ist sehr akribisch. Und in seinem Gemeinderat hat er einen Experten sitzen.
Eines der Ratsmitglieder hat nämlich die Befähigung für eine Brückenprüfung. Er geht die Bauarbeiten zur Fahrbahnverbreiterung besichtigen. „Er hat uns dann mitgeteilt, dass die Ausführungen so abenteuerlich seien, dass wir dringend einen eigenen Sachverständigen hinzurufen sollten“, erzählt Bürgermeister Agthe.
Es ist der 18. Februar 2020, und bei der Begehung des Sachverständigen wird das Dilemma offensichtlich. Bei dem Versuch, die Brückenkappe zu verschmälern, haben die Bauarbeiter nicht nur oberen Beton entfernt, sondern auch gleich den inneren Stahl freigelegt. Der ist nun schutzlos dem Regen ausgeliefert - freie Bahn für den Rost.
Die Kosten für die zusätzlichen Bauarbeiten muss die Gemeinde laut Planfeststellungsbeschluss nicht tragen, teilt die Pressestelle der Bahn mit. Sobald die Bahn aber die Brücke offiziell wieder an die Gemeinde übergeben hat, ist sie deren Problem. Agthe befürchtet, dass dann Sanierungsmaßnahmen nicht lange auf sich warten lassen. „Wir sollten also darauf achten, dass die Brücke mängelfrei an uns übergeben wird.“
Doch der Sachverständige deckt bei seiner Begehung mehr und mehr davon auf. Er hält sie alle in einem Gutachten fest, das auch der Lindauer Zeitung vorliegt. Darin ist nachzulesen, dass bei den Bauarbeiten an der Brückenkappe auch deren dritte wichtige Funktion Schaden genommen hat. Die großen Schrauben, die den Berührungsschutz in der Kappe verankern, sind abgesägt worden.
Der Berührungsschutz ist eine Wand aus Glas, die die elektrischen Oberleitungen vor allem schützt, das von der Brücke fallen könnte. „Dieser Schutz wird durch Wind ziemlich belastet und hat dadurch eine bestimmte Hebelwirkung“, erklärt Ag-the. Deswegen müsse er besonders in der Brückenkappe verankert sein. Sollte in den Plänen nicht vermerkt sein, dass unter besonders nicht vorhanden zu verstehen ist, handelt es sich also um den nächsten Mangel.
Nach der Begehung fragt sich der Bürgermeister, wie Bahn und Baufirma die Verankerung wiederherstellen wollen. „Der Sachverständige denkt, dass die rechte Brückenkappe schlicht neu gebaut werden muss.“
Besagter Sachverständiger stellt bei der Begehung gleich noch weitere Mängel an der Brücke fest. An mehreren Stellen findet er Kiesnester im Beton. Auch dort kann Wasser in die Brücke eindringen.
An vielen anderen Stellen ist schon etwas in den Beton eingedrungen – Laub. Weil die Schalung, also die Gussform für den Beton, nicht sauber war, sind die Blätter nun mit einbetoniert. „Zudem wurde eine Schalung der Stützmauer auf einer Seite nicht fachgerecht gemacht“, sagt Agthe. Eine Schalung besteht in der Regel aus mehreren Brettern oder Platten, die fest miteinander verschraubt werden sollten. Der Sachverständige stellt fest: Bei der Brücke Heimholz wurde Klebeband benutzt. Auch davon sind Reste mit einbetoniert. An anderen Stellen ist der Beton rissig oder abgeplatzt. Dazu kommt eine zu unregelmäßige und zu dicke Schutzschicht auf der Fahrbahn.
Bei einem Ortstermin Ende Februar 2020 streift Agthe über die Baustelle und zeigt auf jeden der Mängel mit dem Finger. Unter der Brücke liegen mehrere abgesägte Bolzen auf dem
Boden. Der Bürgermeister hebt eines der faustgroßen Metallstücke auf und schüttelt den Kopf. „Man muss die Brücke nicht abreißen, aber so wie sie ist, kann sie weder bleiben noch weiter gebaut werden.“Bei der Bahn scheint man anderer Meinung zu sein. Es wird weiter gebaut. „Die Brücke wird inklusive der Maßnahmen zur Verbreiterung der Fahrbahn bis Ende April 2020 fertiggestellt“, gibt die Presseabteilung bekannt.
Es ist Anfang April, und das endgültige Gutachten des Sachverständigen ist fertig. Agthe ist zwischenzeitlich wiedergewählt worden und darf als Dankeschön den nächsten Hammer verkraften. Der Gutachter hat errechnet, dass an keiner seiner Prüfstellen die Mindestabdeckung des Betons eingehalten wurde. Sprich: Der Stahl ist nicht mit genug Beton umhüllt.
Einfach nachfüllen ist laut Agthe nicht möglich. Dann wäre die Brücke selbst zu schwer und die vertraglich zugesicherte Traglast nicht mehr gegeben. Die Bahn müsse nun ein Konzept zur Beseitigung der Mängel vorlegen, empfiehlt der Sachverständige. Agthe ist gespannt, wie dieses aussehen wird. „Ich habe das Gutachten so verstanden, dass die Brücke neu gebaut werden muss.“Doch die Bauarbeiten schreiten weiter voran. „Die haben da einfach Fakten geschaffen“, sagt Agthe.
Das Gutachten liegt auch der Deutschen Bahn vor. Als Reaktion bietet sie dem Sachverständigen einen Ortstermin am 15. April an. Agthe wird gebeten, nicht daran teilzunehmen. Er nimmt trotzdem teil. Genauso wie sein stellvertretender Bürgermeister und ein weiteres Gemeinderatsmitglied. „Die haben uns verkaufen wollen, dass alles in Ordnung ist und es sich nur um optische Mängel handelt“, erzählt Agthe.
Der Sachverständige habe die Anwesenden schnell eines Besseren belehren können. Andere Mängel wie die abgeschnittenen Verankerungen sind fotografisch dokumentiert. „Das konnten die nicht leugnen, aber sie hatten auf einmal die Auffassung, dass das statisch trotzdem ausreichend sei.“Am Ende des Ortstermins sichert die Bahn laut Agthe zu, alle gravierenden Mängel zu beseitigen. Sind die Bedenken damit ausgeräumt? Die Gemeinde wird laut ihrem Bürgermeister die Brücke nicht ohne eine Hauptprüfung durch ein Ingenieurbüro abnehmen. Die Bahn habe auch in diesem Punkt zugestimmt.
Doch Agthe hat dazu einen bösen Verdacht, und der nennt sich „Abnahme durch Inbetriebnahme“. Der Begriff erklärt, dass ein Bauwerk auch ohne die ausdrückliche Erklärung des Auftraggebers abgenommen ist, sobald er es in Benutzung nimmt. Also dann, wenn die Bahn die Brücke aus ihrer Sicht fertigstellt und jemand darüber fährt.
Noch während des Ortstermins seien Agthe und seine Begleiter gefragt worden, ob die Arbeiter vor dem aktuellen Hintergrund mit dem Asphaltieren beginnen könnten. „Natürlich haben wir im Angesicht des drohenden Rückbaus dringend davon abgeraten“, sagt der Bürgermeister. Doch in diesem Moment sei im Hintergrund auch schon die entsprechende Maschine angefahren. „Da haben sie dann rumgedruckst und gesagt, dass die Asphaltkolonne schon bestellt ist und nicht so einfach weggeschickt werden kann.“Der sonst so ausgeglichene und ruhige Agthe klingt empört und frustriert zugleich. „Das ist einfach nur grenzwertig, aber wir können denen auf ihrer Baustelle rechtlich keine Vorschriften machen.“Am Ende habe man sich geeinigt, dass nur die Zufahrt zur Brücke asphaltiert wird.
Sollte die Bahn die Brücke tatsächlich nach Gutdünken fertigstellen, wird Agthe diese Zufahrt absperren müssen. „Wir müssen sichergehen, dass eine Benutzung dann nicht stattfindet.“Es scheint, als könnte die Brücke Heimholz auch weiterhin für böse Träume in Sigmarszell sorgen. Agthe hat noch Hoffnung auf das Gegenteil: „Für die Bahn und die Steuerzahler von ganz Deutschland.“Die würden das alles schließlich mitfinanzieren.