Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Digitaler Aufholbedarf in Rathäusern
Vielerorts sind Online-Behördengänge weiterhin kaum möglich – Das soll sich ändern
WEINGARTEN - Es gibt zwischenmenschliche Kontakte, die vielen Menschen schmerzlich fehlen in der Coronavirus-Krise. Und es gibt Behördengänge. Viele Bürger wären froh darüber, wenn sie die Anmeldung des Pkw oder die Verlängerung des Reisepasses von zu Hause oder von unterwegs aus erledigen könnten, am Computer oder dem Smartphone - und das auch in Zukunft, wenn der Publikumsverkehr in Rathäusern und Landratsämtern nicht mehr eingeschränkt ist.
Das Problem: Für viele Bürger in Deutschland bleibt es fast unmöglich, Behördengänge komplett digital zu erledigen. Mehrere Studien haben das in den vergangenen Monaten zum wiederholten Mal belegt. Laut einer Umfrage für den im Oktober 2019 erschienen jüngsten „E-Government-Monitor“des Vereins Initiative D21 haben etwa nur sechs Prozent der Befragten ihren elektronischen Personalausweis für eine digitale Verwaltungsleistung verwendet – obwohl mittlerweile 74 Prozent einen solchen Ausweis besitzen. Nur 48 Prozent der Befragten haben überhaupt online etwas bei einer Behörde erledigt – und sei es nur eine Terminabsprache per E-Mail. Im EUweiten Vergleich schneidet Deutschland schlecht ab: Laut dem aktuellen „Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft“(DESI) der Europäischen Kommission liegt das Land in Sachen E-Government nur auf Platz 24 von 28. Demnach hat es hierzulande in den vergangenen Jahren auch kaum Fortschritte gegeben.
Damit sich das ändert, hat der Bundestag im Jahr 2017 das Onlinezugangsgesetz (OZG) verabschiedet. Das Gesetz ist mit einem ehrgeizigen Versprechen verbunden: Bis Ende 2022 soll jeder Bürger auf alle verfügbaren 575 Verwaltungsdienstleistungen online zugreifen können. Ob das zu halten ist, zweifeln inzwischen viele Experten an. Auch die Bundesregierung hat längst bemerkt, dass es zu langsam vorangeht. Der „Umsetzungsstand“des OZG sei laut einer Auswertung der Regierung „insgesamt gering“, heißt es dazu in einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom Juni 2019. Die Mehrheit der Verwaltungen befinde sich noch in der Umsetzung, 97 Prozent der Verwaltungen berichte von Problemen dabei.
Die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern haben inzwischen eine digitale Plattform bereitgestellt, über die bestimmte Verwaltungsdienstleistungen angeboten werden: In Bayern heißt sie BayernPortal, in Baden-Württemberg Service-BW. In Baden-Württemberg können Bürger in einigen Kommunen
seit Ende April fünf Dienstleistungen digital erledigen. Laut Innenministerium ist es in 82 von insgesamt 1136 Kommunen möglich, online einen Hund anzumelden, in 23 eine Plakatierungserlaubnis und in 30 eine Meldebescheinigung zu beantragen, in 35 eine Wohnungsgeberbescheinigung ausstellen zu lassen und in 37 sich bei einem Umzug ins Ausland abzumelden.
Während der Corona-Krise hat das Innenministerium außerdem einen „Universalprozess“auf dem Portal freigeschaltet: Bürger können also derzeit einige Leistungen zusätzlich online erledigen – allerdings gilt das laut Ministerium nur in den bisher über 80 Städten und Gemeinden im Südwesten, die den Universalprozess auch nutzen. Auch in Bayern hängt es stark vom Wohnort ab, welche Leistungen man über das BayernPortal digital erledigen kann. Der Unterschied wird noch größer dadurch, dass manche Kommunen zusätzlich über andere Systeme auf ihrer eigenen Webseite Dienstleistungen anbieten – andere aber nicht.
In der Region bedeutet das konkret: Während etwa Einwohner von Ravensburg über die Webseite der
Stadt auf 29 Arten von Behördengängen gelangen, die sie auf den Seiten der Stadt oder auf Service-BW digital erledigen können, sind es in Tuttlingen immerhin 13 direkt auf der Webseite – und weitere wie „Geburt melden“oder „Reisepass verlängern“auf Service-BW.
Auch in bestimmten kleineren Gemeinden ist manches schon online möglich: etwa in Krauchenwies im Kreis Sigmaringen neun Dienstleistungen. In anderen Kommunen aber – etwa Bopfingen im Ostalbkreis – gelangt man über die Webseite auf keine einzige digitale Dienstleistung, ebenso wenig wie in den bayerischen Kommunen Wasserburg und Lindau.
Ein Sprecher des Bayerischen Städtetags erklärt der „Schwäbischen Zeitung“die Unterschiede so: Wie stark eine Kommune bei digitalen Behördengängen vorpresche, hänge davon ab, wie stark der Druck aus der Bürgerschaft sei – aber auch, wie ambitioniert Bürgermeister und Stadträte die Digitalisierung angingen. Und natürlich auch davon, wie viel Geld die Gemeinde dafür zur Verfügung habe. Es gibt aber auch Gründe, die einzelne Gemeinden kaum oder gar nicht beeinflussen können: Etwa, dass unterschiedliche staatliche Stellen unterschiedliche Software für Verwaltungsdienstleistungen nutzen – und dass es kaum einheitliche Standards dafür gibt.
Die Landesregierungen in BadenWürttemberg und Bayern haben immerhin ambitionierte Pläne formuliert, damit den Bürgern bis Ende 2022 tatsächlich all die digitalen Behördengänge offen stehen, die das OZG verspricht.
Aus dem Digitalministerium in München heißt es, für Bayern wolle man schon bis Ende 2020 die „wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen“online stellen. Außerdem will der Freistaat für Gemeinden, Landkreise und Bezirke bei neuer Software bis zu 90 Prozent der Anschaffungskosten übernehmen.
Für Baden-Württemberg verweist Innenminister Thomas Strobl darauf, dass die Plattform Service-BW allen Kommunen offenstehe – und somit keine Kommune eine eigene digitale Infrastruktur für Behördengänge aufbauen müsse. Zu den Aussichten bis Ende 2022 sagt Strobl: „EGovernment für alle, das ist unser Ziel. Wir sind auf einem guten Weg.“