Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bischof Fürst kritisiert Corona-Demonstranten
ROTTENBURG (lsw) - Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, hat die Teilnehmer an Demonstrationen gegen Freiheitsbeschränkungen in der Corona-Krise kritisiert. Die Demonstranten stellten ihr Bedürfnis nach Freiheit über den Schutz der besonders schwachen und verletzlichen Menschen, teilte Fürst in seiner Pfingstbotschaft mit. „Das ist nicht nur unsolidarisch, sondern geradezu egoistisch und im höchsten Maße verletzend.“Die Protestierer verstießen gegen das oberste Grundrecht der unantastbaren Menschenwürde, das zuallererst dem Schutz des Lebens diene. Vielerorts sei aber auch ein neuer Geist spürbar, ist der Bischof überzeugt. Ein pfingstlicher Geist, der durch Gottes und der Menschen Handeln heilsam wirke. Das Virus und die Pandemie hätten nicht das letzte Wort.
Das hat uns gerade noch gefehlt. Nachdem wir schon seit längerer Zeit darüber nachdenken, ob uns das Maß an Individualismus eigentlich guttut, das sich in unserer Kultur entwickelt hat, sind wir nun zum Abstand verpflichtet. Für die aktuell geltenden Regeln und die damit verbundene räumliche Distanz gibt es gute Gründe. Es wirkt auf den ersten Blick dennoch, als verstärke es unsere Distanz zueinander und zum sozialen Leben in der Gesellschaft. Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe für die nächsten Monate, das Gemeinwesen im Blick zu behalten und den Zusammenhalt zu stärken.
Wir sind von der Pandemie ganz unterschiedlich betroffen. Manchen geht es richtig gut, weil sie ihre freie Zeit ohne Sorgen genießen können. Andere wissen vor Arbeit kaum ein noch aus. Wieder anderen bricht die Erwerbsgrundlage weg, die für sie und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen existenziell ist. Wer in den Krisenstäben tätig ist, spürt eine große Verantwortung für die zu treffenden Entscheidungen, mit denen Konsequenzen verbunden sind, die lange nachwirken werden. Es ist eine dramatische Zeit, in der das bisherige Leben heftig durcheinander gewirbelt wird.
Noch ist nicht erkennbar, ob in Zukunft angesichts dieser und anderer globalen Gefährdungen mehr Miteinander möglich und Verantwortung füreinander übernommen werden wird. Zur Zeit eskalieren die Konflikte zwischen den USA und China, die Staaten Europas streiten in nahezu allen wichtigen Fragen miteinander, Verschwörungstheorien verbreiten sich sechsmal so schnell wie Fakten und Informationen.
Es haben sich Bilder eingeprägt, die wir bislang nicht kannten und an denen eindrucksvoll ablesbar ist, wie ernst die Lage weltweit ist. Dazu gehört der leere Petersplatz, auf dem Papst Franziskus bei regnerischem Wetter alleine steht und betet, ganz zu schweigen von der Wirkung der Fernsehbilder aus New
York, São Paulo, Bergamo und vielen anderen Orten der Welt.
Lange nicht mehr haben wir das Bild vom „Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt“so nachvollziehen können wie zum
Jetzt erleben wir wieder eine Zeit, einen unwiederbringlichen Moment, in dem wir uns bewegen lassen können und müssen von einem Geist der kulturellen Vielfalt, der essentiell zum Fundament der Kirche gehört. Im Vertrauen auf diesen Geist vergeht die Angst vor denen, die uns fremd sind und die Skepsis vor jenen, die uns brauchen. „Barmherzigkeit, das ist die stärkste Botschaft unseres Herrn“– so Papst Franziskus, und für Kardinal Walter Kasper ist Barmherzigkeit der Schlüssel einer christlichen Existenz. Großzügigkeit und Barmherzigkeit können und sollen sich Christen leisten. Denn dem Geist, der sie bewegt, ist alles Kleinliche fremd, weil nicht vereinbar mit der Lebendigkeit, die uns in Kreuz und Auferstehung Jesu und im Sturmesbrausen von Pfingsten zuteil geworden ist.