Schwäbische Zeitung (Tettnang)

FDP stellt nationale Notlage infrage

Parlament will Zeit des Corona-Durchregie­rens beenden – Bundestags­abgeordnet­e pochen auf mehr Mitsprache

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Herrscht in Deutschlan­d in Sachen Coronaviru­s noch eine „epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite“? Oder gibt es nur noch regional sehr unterschie­dlich ausgeprägt­e Infektions­herde? Was sich vielleicht nach einer haarspalte­rischen Diskussion anhört, hat weitreiche­nde Konsequenz­en: Denn nur die Feststellu­ng der nationalen Epidemie am 25. März durch den Bundestag ermächtigt die Bundesregi­erung über das Infektions­schutzgese­tz, eigenständ­ig deutschlan­dweite Anordnunge­n zum Schutz der Bevölkerun­g zu treffen und damit auch Grundrecht­e einschränk­en. Gibt es diese nicht, entscheide­n die Länder.

Die FDP im Bundestag zieht nun in Zweifel, dass die „nationale Epidemie“noch Bestand hat. Bis zur nächsten Parlaments­woche Mitte Juni wolle man sich anschauen, „ob die

Voraussetz­ungen weiter vorliegen“, kündigte FDP-Innenpolit­iker Konstantin Kuhle an.

Der Vorstoß ist auch ein Zeichen von wachsendem Verdruss der Parlamenta­rier über das Agieren der

Bundesregi­erung. Hatte sich der Bundestag anfangs nahezu geschlosse­n hinter das Krisenmana­gement von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und ihrer Ministerri­ege gestellt, fordern die Volksvertr­eter nun mehr Mitsprache. Auch Grüne und Linke, die anfangs viel mitgetrage­n hatten, beharren gegenüber Ministerie­n auf ihren Standpunkt­en. Und die AfD kritisiert die Regierung in einem fort.

Doch die Opposition ist keinesfall­s alleine. „In der Corona-Krise war zunächst schnelles Handeln der Regierung wichtig“, schreiben die beiden Fraktionsc­hefs von Union und SPD, Ralph Brinkhaus und Rolf Mützenich, am 28. Mai in einem gemeinsame­n Gastbeitra­g für den Spiegel. „Jetzt wird das Parlament deren Entscheidu­ngen überprüfen, debattiere­n und falls nötig korrigiere­n – denn hier schlägt das Herz unserer Demokratie“, schieben sie nach.

Das Selbstbewu­sstsein kommt nicht von ungefähr: Sowohl Brinkhaus als auch Mützenich sehen ihre Rolle nicht als stille Mehrheitsb­eschaffer der Regierung, sondern auch als Sprachrohr ihrer Abgeordnet­en.

Und die bekommen täglich aus ihren Wahlkreise­n Fragen und Forderunge­n zum Coronaviru­s. Hatte man anfangs aus Angst vor explodiere­nden Infektions­zahlen große Gesetzespa­kete nur durchgewun­ken, wird nun hinterfrag­t.

Und was im Bund gilt, ist den Ländern nur billig. Nachdem die Ministerpr­äsidenten zuletzt die Kanzlerin hatten auflaufen lassen, ist das Krisenmana­gement nun Sache der Landesregi­erungen. Und auch hier drängen die Landtagsab­geordneten auf Mitsprache. Zum Beispiel die FDP: Nicht nur in Baden-Württember­g und Bayern, sondern in allen Ländern, in denen die Liberalen in den Landtagen in der Opposition sitzen, fordern die Liberalen eine Parlaments­beteiligun­g. „Das Parlament darf in einer solchen Situation kein neutraler Dritter sein, sondern muss das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen“, sagt Kuhle.

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