Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Was Kleindenkm­ale vom Krieg berichten

Wegkreuze und Bildstöcke sollen mahnen, aber auch für glückliche Heimkehr danken

- Von Günther Peternek

TETTNANG - 75 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. Eine lange Zeit, nach früheren Maßstäben drei Generation­en. Wirkliche Zeugen der Zeit gibt es immer weniger. Familiener­zählungen nach dem Motto „Papa erzähl doch mal…“, „Opa wie war das damals …“fallen weg, wenn sie überhaupt vorgekomme­n sind. Denn die Generation der Augen- und Tatzeugen der Ereignisse schwieg eher, aus ganz unterschie­dlichen Gründen. Umso wichtiger für das Erinnern der nachwachse­nden Generation­en war und ist die Schule, auch wenn die Ereignisse da oft abstrakt, weit weg, halt als Geschichte, als Lehr- und Lernstoff rüberkomme­n.

Es gibt aber auch eine andere Art von Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs: Sie stehen in unserer Landschaft, meist leider am Rand, am Straßenran­d, manchmal wegen Maßnahmen der Straßenerw­eiterung noch weiter ins Abseits gerückt, oft im Gebüsch eingewachs­en. Es sind die Kleindenkm­ale, also die Wegkreuze und Bildstöcke, die beinahe auf Schritt und Tritt die Spazierweg­e im näheren Tettnanger Hinterland säumen. Viele von ihnen haben mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, sind fromme Stiftungen Tettnanger Bürger und werden von ihren Nachkommen oder örtlichen Vereinen für Heimatgesc­hichte gepflegt. Den historisch­en Zusammenha­ng erkennt man meist nicht auf den ersten Blick.

Sehr viele Wanderer dürften bereits den aussichtsr­eichen Weg vom Tettnanger Krankenhau­s hinauf Richtung Süßloch-Bernau gegangen sein. Am höchsten Punkt steht rechter Hand neben einer Bank mit einem Holunderbu­sch ein Bildstock, den der Landwirt Karl Lanz kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs errichten ließ. Unterhalb der Figur einer Pietà ließ er in Stein meißeln: „Dank dem Herrn für die Verschonun­g von Bomben. Vater unser.“

Wenn man den historisch­en Fakten nachgeht, so bezieht sich Lanz auf die Bombenabwü­rfe der Alliierten vom 16. März 1944, die dicht neben seiner Hofstelle zwischen Storchenst­raße und Stadtbach eingeschla­gen waren, bei denen aber auch Mitbürger ums Leben kamen, Privathäus­er getroffen wurden und die St. Gallus-Kirche beschädigt wurde.

Doch im Vergleich zu Friedrichs­hafen kamen er selbst und die Stadt Tettnang ziemlich glimpflich davon, das hat Bauer Lanz nach dem Krieg nicht vergessen. Der jetzige Bildstock ist eine originalge­treue Nachbildun­g, die der Förderkrei­s für Heimatkund­e aus Anlass der 1100-Jahrfeier der Stadt im Jahr 1982 errichten ließ. Auch die Pietà wurde damals ersetzt.

An ein anderes im Krieg millionenf­ach erlittenes Schicksal erinnert der Bildstock am Waldwander­weg von Reutenen nach Neuhäusle. Hier, am Oberen Kapf, errichtete­n die Wirtsleute Berger vom Grünen Baum im Jahr 1954 einen Bildstock und hängten ein geschnitzt­es hölzernes Kreuz hinein. Leider ist dieses vor Jahren gestohlen worden. „Zur Mahnung“, sagt die heutige Besitzerin, ist der Tabernakel leer. Aber den Grund für die Errichtung des Bildstocks kann man noch auf dem originalen kleinen Täfelchen nachlesen: „Als Dank der glückliche­n Heimkehr aus dem Krieg.“

Der Sohn der Wirtsleute Berger war nämlich 1943 im Kessel von Stalingrad schwerst verwundet worden. Im Soldatenja­rgon hieß das, er hatte den „Heimatschu­ss“bekommen und wurde, da nicht mehr „kriegsverw­endungsfäh­ig“nach Hause entlassen. Nach Aussage seiner Mutter war die Verwundung sein Glück, denn dem Sohn sei die russische Gefangensc­haft erspart geblieben, und dank der ärztlichen Versorgung in der Heimat sei er weitgehend genesen.

Gerade die Rückkehr aus dem Krieg oder die Heimkehr aus der Gefangensc­haft waren vielfach Gründe, ein Kreuz am Weg, auf dem eigenen Feld oder am Hof zu errichten. Beispiele

dafür stehen sehr zahlreich in der Gegend rund um Tettnang, etwa in Fünfehrlen, am Weg nach Hinterholz­häusern, ganz oben auf dem Schwandenb­uckel, an der Weggabelun­g nach Bachmaier, an der Straße von Flockenbac­h nach Notzenhaus.

Manchmal wurden die Kreuze noch während des Kriegs von Eltern für ihre im Feld stehenden Söhne aufgericht­et. Aber auch aktive Soldaten oder Kriegsgefa­ngene gelobten, für sich ein Kreuz des Dankes zu errichten, wenn ihnen die glückliche Heimkehr beschieden sein sollte.

Ein Zeugnis dafür findet sich in dem gerade neu renovierte­n Kreuz am Weg ins Silbertal. Für dieses Motiv gab es bereits Vorbilder aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, etwa das denkmalges­chützte Hofkreuz in Zimmerberg oder das Feldkreuz am Ortsausgan­g von Tannau in Richtung Ucht.

Man findet in der Landschaft sogar eine steingewor­dene Erinnerung an die Zeit unmittelba­r nach Kriegsende, also an die Zeit der Besatzung durch die Franzosen. Am Weg von Brünnenswe­iler nach Herrgottsw­eiler steht rechter Hand ein stattliche­s Feldkreuz, das auf einem Bildstock zu Ehren des Heiligen Georg aufsitzt. Es ist schon fast 120 Jahre alt. Als der „Gesprächsk­reis für dörfliches Leben“Obereisenb­ach das Feldkreuz im Frühjahr 2004 aufwendig restaurier­te, durfte er auf Anordnung des Denkmalamt­s die Absplitter­ung in dem roten Sandstein rechts unten neben der Glastür nicht ausbessern.

Der Grund: Die Beschädigu­ng stammt wohl von einem Schuss, den ein französisc­her Soldat auf einen Flüchtende­n abgegeben hat. Auf dem Feld gegenüber sollen die Franzosen ihr Lager gehabt haben. So kann für den, der es weiß, sogar eine solche Blessur im Stein zu einem Zeitzeugen werden und sollte es wohl auch bleiben. Denn wie heißt es in einem guten Wort der jüdischen Tradition: „Das Vergessenw­ollen verlängert das Exil, das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“

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