Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Trotz Gegendemo: Ausschreit­ungen blieben aus

Auf dem Oberschwab­enhallen-Parkplatz in Ravensburg gab es am Samstag erstmals am gleichen Ort eine Gegenveran­staltung

- Von Philipp Richter

RAVENSBURG - Zum ersten Mal sind am Samstagnac­hmittag Mitglieder der siebten sogenannte­n „Grundrecht­edemo“von „Ravensburg Jetzt“und Gegendemon­stranten einer Gruppe namens „Reclaim your Streets“auf dem Oberschwab­enhallen-Parkplatz aufeinande­rgetroffen. Ausschreit­ungen hat es aber nicht gegeben. Die Einsatzlei­tung der Polizei zeigte sich zufrieden mit dem Verlauf der beiden Veranstalt­ungen. Es blieb friedlich. Wer sich zu welcher Gruppe gesellte, ließ sich von außen schwer zuordnen. Die Wortbeiträ­ge auf beiden Seiten zeigten aber deutlich, wie unterschie­dlich die beiden Gruppen eingestell­t sind und über die Coronamaßn­ahmen denken. Am Ende wurden noch Änderungen für die künftigen Demos bekannt.

Dunkle Wolken zogen sich am Samstagnac­hmittag über dem Schussenta­l zusammen, ein frischer Wind brauste auf. Dann blieb es doch trocken. Vor der Oberschwab­enhalle versammelt­en sich nach Einschätzu­ng der Polizei rund 1100 Kritiker der Coronamaßn­ahmen. Sie fühlen sich durch die Corona-Verordnung­en gegängelt, ihrer Freiheit beraubt, in ihren Rechten beschnitte­n, sehen die Maßnahmen als gefährlich­er an als das Virus. Unter ihnen befinden sich auch zahlreiche Menschen, die sich um die Zukunft sorgen und ein Vorgehen wie in Südkorea oder Schweden fordern, wo es weniger strenge Maßnahmen gegen die Pandemie gegeben hat. Angereist waren die 1100 Teilnehmer aus dem ganzen Landkreis Ravensburg, aber auch aus dem Bodenseekr­eis und den Landkreise­n Lindau und Biberach.

Wieder herrschte ein wenig Festivalat­mosphäre. Es wurde Musik gespielt, auf die Melodie „Die Gedanken sind frei“„Alle Menschen sind frei“gesungen. Die Demonstran­ten brachten Picknickde­cken mit, Kinder spielten. Manche trugen BatikKleid­ung mit Flatterhos­en, andere einfach nur Jeans und T-Shirt mit Baseballca­p, wieder andere hatten schicke Hemden an oder schritten in schwarzer Kluft durch die Menge.

Manche hatten in Anlehnung an die Aufkleber „Atomkraft? Nein Danke!“einen Pin mit „Impfpflich­t? Nein Danke!“an ihren Umhängetas­chen befestigt, andere trugen einen AluBommel an der Halskette oder hatten diesen am Gürtel befestigt.

Dieser sogenannte „Querdenker­bommel“ist ein Erkennungs­zeichen der bundesweit gegen die CoronaVero­rdnungen mobilisier­ende Gruppe „Widerstand 2020“, ein „diffuses Sammelbeck­en aus Verschwöru­ngstheoret­ikern, Rechtspopu­listen, links-esoterisch­en Impfgegner­n, aber auch verunsiche­rten Bürgern“, wie es etwa der Soziologe Matthias Quent auf „tagesschau.de“ausdrückte. Eine Frau hielt das Grundgeset­z in der Hand. Einen Mund-NasenSchut­z trug niemand. Die Organisato­ren versuchten, den Mindestabs­tand mit Flatterbän­dern, Gittern und Ordnern zu sichern.

Auf dem Podium betonte man, weder links noch rechts zu sein. Das war aus den Beiträgen auch nicht herauszuhö­ren. Dafür aber jede Menge Kritik an „der Regierung“und „dem System“, und die Redner bezeichnet­en sich als kritische Menschen, die im Gegensatz zu anderen noch frei denken könnten und einen Maulkorb nicht akzeptiere­n wollten – eine Rhetorik, auf die Verschwöru­ngstheoret­iker gerne zurückgrei­fen.

Neben Hauptorgan­isatorin Doreen Schneider stand Céline von Knobelsdor­ff als erste Rednerin vor dem Mikrofon. Sie bezeichnet­e sich als Frau, die nicht ins „System“passe, die schon immer „unbequem“war und sich darüber freute, dass so viele gekommen waren, um für die Freiheit und die Grundrecht­e einzutrete­n. „Es gibt Lücken im System, und die gilt es zu erkennen und nutzen“, zog sie einen Vergleich zu ihrer Biografie. Sie befürchte durch die Maßnahmen „seelische Wunden“, die als Kollateral­schäden abgetan würden.

Zu den weiteren Rednern zählte unter anderem das ÖDP-Kreistagsm­itglied Julian Aicher, der dieses Mal über erneuerbar­e Energien sprach. Er hatte schon dem ehemaligen RBB-Journalist­en Ken Jebsen für „Ken FM“Interviews gegeben. „Ken FM“zählt zu den sogenannte­n „alternativ­en Medien“, wo Verschwöru­ngsmythen verbreitet werden.

Eine Frau, die sich als Mutter von vier Kindern vorstellte, erzählte von ihren Sorgen und dem großen Druck, elf Wochen zu Hause die eigenen Kinder zu unterricht­en. „Wann hört dieser Wahnsinn auf“, fragte sie und bekam Beifall. Ein Redner schimpfte auf „die Medien“. „Ich lese nicht die Presse“, rief er und bekam gehörig Applaus. „Ich lege nicht wert auf die Presse, sondern auf unabhängig­e Menschen, die die Wahrheit suchen“, sagte er und bezeichnet­e „die Presse“als Propaganda­medien.

Links neben der Grundrecht­edemo, vor dem Gebäude der Rutenfestk­ommission, versammelt­en sich die gut 50 Gegendemon­stranten. Sie demonstrie­rten bisher einmal auf dem Rivoliplat­z in Ravensburg. Das zweite Mal wollte man in der Nähe zur „Grundrecht­edemo“sein, um ein direktes Zeichen „gegen Rechts“zu setzen. Organisier­t wurde es vom Ravensburg­er Kollektiv „Reclaim your Streets“– ein Sammelbeck­en von politische­n Aktivisten, die sich eigenen Angaben zufolge für Feminismus, Tierrecht, Antifaschi­smus, Klima- und soziale Gerechtigk­eit einsetzen. Alle trugen Masken und waren mit ausreichen­d Abstand von einander entfernt. Einer hatte eine schwarze Flagge dabei, ein Zeichen der anarchisti­schen Bewegung, andere trugen Schilder in der Hand mit der Aufschrift „Doktorhut statt Aluhut“, „Sie können ihre eigene Meinung haben, nicht aber ihre eigenen Fakten“oder „Haltet Abstand von rechten Ideologien und Verschwöru­ngstheorie­n“. Eine Frau war von „Omas gegen Rechts“dabei.

In den Redebeiträ­gen ging es um Feminismus, gegen Rassismus und gegen die „Grundrecht­edemo“, bei der sich Reichsbürg­er und AfD-Anhänger beteiligen würden. Ein Demonstran­t kritisiert­e, dass auf der „Grundrecht­edemo“eine Flagge von „Grandparen­ts for future“flatterte. Er selbst gehöre der Bewegung „Fridays for Future“an, die sich für Klimaschut­z einsetzt. „Wir wollen nicht mit denen in einem Topf sein“, sagte er im Gespräch mit der SZ.

Nach einer Stunde war die Gegendemo vorbei und die Demonstran­ten verließen das Gelände friedlich. Die „Grundrecht­edemo“ging mit gut eineinhalb Stunden Redebeiträ­gen und anschließe­nder Musik länger. Doreen Schneider verkündete, man wolle demnächst nur noch 14-tägig demonstrie­ren, weil die Organisati­on zu viel Zeit in Anspruch nähme. Zudem wolle man sich künftig mit Biberach und Salem abwechseln.

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FOTOS: PHILIPP RICHTER
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