Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Trotz Gegendemo: Ausschreitungen blieben aus
Auf dem Oberschwabenhallen-Parkplatz in Ravensburg gab es am Samstag erstmals am gleichen Ort eine Gegenveranstaltung
RAVENSBURG - Zum ersten Mal sind am Samstagnachmittag Mitglieder der siebten sogenannten „Grundrechtedemo“von „Ravensburg Jetzt“und Gegendemonstranten einer Gruppe namens „Reclaim your Streets“auf dem Oberschwabenhallen-Parkplatz aufeinandergetroffen. Ausschreitungen hat es aber nicht gegeben. Die Einsatzleitung der Polizei zeigte sich zufrieden mit dem Verlauf der beiden Veranstaltungen. Es blieb friedlich. Wer sich zu welcher Gruppe gesellte, ließ sich von außen schwer zuordnen. Die Wortbeiträge auf beiden Seiten zeigten aber deutlich, wie unterschiedlich die beiden Gruppen eingestellt sind und über die Coronamaßnahmen denken. Am Ende wurden noch Änderungen für die künftigen Demos bekannt.
Dunkle Wolken zogen sich am Samstagnachmittag über dem Schussental zusammen, ein frischer Wind brauste auf. Dann blieb es doch trocken. Vor der Oberschwabenhalle versammelten sich nach Einschätzung der Polizei rund 1100 Kritiker der Coronamaßnahmen. Sie fühlen sich durch die Corona-Verordnungen gegängelt, ihrer Freiheit beraubt, in ihren Rechten beschnitten, sehen die Maßnahmen als gefährlicher an als das Virus. Unter ihnen befinden sich auch zahlreiche Menschen, die sich um die Zukunft sorgen und ein Vorgehen wie in Südkorea oder Schweden fordern, wo es weniger strenge Maßnahmen gegen die Pandemie gegeben hat. Angereist waren die 1100 Teilnehmer aus dem ganzen Landkreis Ravensburg, aber auch aus dem Bodenseekreis und den Landkreisen Lindau und Biberach.
Wieder herrschte ein wenig Festivalatmosphäre. Es wurde Musik gespielt, auf die Melodie „Die Gedanken sind frei“„Alle Menschen sind frei“gesungen. Die Demonstranten brachten Picknickdecken mit, Kinder spielten. Manche trugen BatikKleidung mit Flatterhosen, andere einfach nur Jeans und T-Shirt mit Baseballcap, wieder andere hatten schicke Hemden an oder schritten in schwarzer Kluft durch die Menge.
Manche hatten in Anlehnung an die Aufkleber „Atomkraft? Nein Danke!“einen Pin mit „Impfpflicht? Nein Danke!“an ihren Umhängetaschen befestigt, andere trugen einen AluBommel an der Halskette oder hatten diesen am Gürtel befestigt.
Dieser sogenannte „Querdenkerbommel“ist ein Erkennungszeichen der bundesweit gegen die CoronaVerordnungen mobilisierende Gruppe „Widerstand 2020“, ein „diffuses Sammelbecken aus Verschwörungstheoretikern, Rechtspopulisten, links-esoterischen Impfgegnern, aber auch verunsicherten Bürgern“, wie es etwa der Soziologe Matthias Quent auf „tagesschau.de“ausdrückte. Eine Frau hielt das Grundgesetz in der Hand. Einen Mund-NasenSchutz trug niemand. Die Organisatoren versuchten, den Mindestabstand mit Flatterbändern, Gittern und Ordnern zu sichern.
Auf dem Podium betonte man, weder links noch rechts zu sein. Das war aus den Beiträgen auch nicht herauszuhören. Dafür aber jede Menge Kritik an „der Regierung“und „dem System“, und die Redner bezeichneten sich als kritische Menschen, die im Gegensatz zu anderen noch frei denken könnten und einen Maulkorb nicht akzeptieren wollten – eine Rhetorik, auf die Verschwörungstheoretiker gerne zurückgreifen.
Neben Hauptorganisatorin Doreen Schneider stand Céline von Knobelsdorff als erste Rednerin vor dem Mikrofon. Sie bezeichnete sich als Frau, die nicht ins „System“passe, die schon immer „unbequem“war und sich darüber freute, dass so viele gekommen waren, um für die Freiheit und die Grundrechte einzutreten. „Es gibt Lücken im System, und die gilt es zu erkennen und nutzen“, zog sie einen Vergleich zu ihrer Biografie. Sie befürchte durch die Maßnahmen „seelische Wunden“, die als Kollateralschäden abgetan würden.
Zu den weiteren Rednern zählte unter anderem das ÖDP-Kreistagsmitglied Julian Aicher, der dieses Mal über erneuerbare Energien sprach. Er hatte schon dem ehemaligen RBB-Journalisten Ken Jebsen für „Ken FM“Interviews gegeben. „Ken FM“zählt zu den sogenannten „alternativen Medien“, wo Verschwörungsmythen verbreitet werden.
Eine Frau, die sich als Mutter von vier Kindern vorstellte, erzählte von ihren Sorgen und dem großen Druck, elf Wochen zu Hause die eigenen Kinder zu unterrichten. „Wann hört dieser Wahnsinn auf“, fragte sie und bekam Beifall. Ein Redner schimpfte auf „die Medien“. „Ich lese nicht die Presse“, rief er und bekam gehörig Applaus. „Ich lege nicht wert auf die Presse, sondern auf unabhängige Menschen, die die Wahrheit suchen“, sagte er und bezeichnete „die Presse“als Propagandamedien.
Links neben der Grundrechtedemo, vor dem Gebäude der Rutenfestkommission, versammelten sich die gut 50 Gegendemonstranten. Sie demonstrierten bisher einmal auf dem Rivoliplatz in Ravensburg. Das zweite Mal wollte man in der Nähe zur „Grundrechtedemo“sein, um ein direktes Zeichen „gegen Rechts“zu setzen. Organisiert wurde es vom Ravensburger Kollektiv „Reclaim your Streets“– ein Sammelbecken von politischen Aktivisten, die sich eigenen Angaben zufolge für Feminismus, Tierrecht, Antifaschismus, Klima- und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Alle trugen Masken und waren mit ausreichend Abstand von einander entfernt. Einer hatte eine schwarze Flagge dabei, ein Zeichen der anarchistischen Bewegung, andere trugen Schilder in der Hand mit der Aufschrift „Doktorhut statt Aluhut“, „Sie können ihre eigene Meinung haben, nicht aber ihre eigenen Fakten“oder „Haltet Abstand von rechten Ideologien und Verschwörungstheorien“. Eine Frau war von „Omas gegen Rechts“dabei.
In den Redebeiträgen ging es um Feminismus, gegen Rassismus und gegen die „Grundrechtedemo“, bei der sich Reichsbürger und AfD-Anhänger beteiligen würden. Ein Demonstrant kritisierte, dass auf der „Grundrechtedemo“eine Flagge von „Grandparents for future“flatterte. Er selbst gehöre der Bewegung „Fridays for Future“an, die sich für Klimaschutz einsetzt. „Wir wollen nicht mit denen in einem Topf sein“, sagte er im Gespräch mit der SZ.
Nach einer Stunde war die Gegendemo vorbei und die Demonstranten verließen das Gelände friedlich. Die „Grundrechtedemo“ging mit gut eineinhalb Stunden Redebeiträgen und anschließender Musik länger. Doreen Schneider verkündete, man wolle demnächst nur noch 14-tägig demonstrieren, weil die Organisation zu viel Zeit in Anspruch nähme. Zudem wolle man sich künftig mit Biberach und Salem abwechseln.