Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Albtraum in den eigenen vier Wänden
Frauen, die häusliche Gewalt erleiden, trifft die Corona-Zeit besonders – Doch es gibt Hilfe
BODENSEEKREIS - „Zuhause bleiben“, das war und ist teils noch das Credo der Stunde in der Corona-Krise. Doch was passiert, wenn die eigenen vier Wände zwar vor der Pandemie schützen, jedoch nicht vor dem eigenen Mann? Was machen Frauen, für die es ein Albtraum ist, zuhause zu bleiben, weil sie dort tagtäglich unter physischer Gewalt oder dem psychischen Druck durch ihren Partner leiden? Für die meisten ist die erste Anlaufstelle dann das Frauenhaus.
Auch für Friedrichshafen und den Bodenseekreis gibt es ein solches Haus mit anonymer Adresse, das Betroffenen Schutz und Beratung bietet. „In den ersten Wochen der Ausgangseinschränkungen rechneten wir bereits mit einem erhöhten Bedarf, was unser Hilfsangebot betrifft. Dieser vermutete Ansturm blieb jedoch vorerst aus“, schildert die Leiterin des AWO Frauen- und Kinderschutzhauses Bodenseekreis, die ihren Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen will.
Den Eindruck, dass das Telefon zunächst ungewöhnlich still blieb, teilt auch Sozialpädagogin Antje Noack vom Häfler Verein „Frauen helfen Frauen“, der Opfer häuslicher Gewalt ebenso unterstützt, kostenlos berät und sie in der Not an das Frauenhaus und andere Anlaufstellen weiter vermittelt. „Am Anfang setzte fast so eine Art Schockstarre ein. Da kam eine Zeit lang gar nichts mehr“, sagt sie. Wundern tut sie das allerdings nicht. „Für die, die in einer Gewaltsituation drin sind, ist es noch einmal schwieriger geworden in der
Krise. Auch wir mussten natürlich Entscheidungen treffen, wie wir Beratungsgespräche mit Abstand durchführen können. Ich bin dann meistens mit den Frauen rausgegangen, aber das war auch nicht ganz problemlos, weil das Wetter nicht immer mitgespielt hat und man in der Öffentlichkeit eben nicht so vertraut sprechen kann“, erläutert Antje Noack. Wie schwer es für die Frauen geworden ist, sich Hilfe zu holen, beschreibt auch die Leiterin des Frauenhauses: „Wir haben uns große Sorgen gemacht, da wir aus unserer langjährigen Erfahrung wissen, dass die betroffenen Frauen und Kinder noch mehr isoliert und kontrolliert werden. Ein Hilferuf ist da für die meisten nicht möglich. Zu groß ist die Angst, dass der Gewalttäter etwas mitbekommt. Zudem waren sich sicherlich viele Frauen unsicher, ob sie in diesen Zeiten überhaupt Hilfe bekommen und ob Frauenhäuser generell aufnehmen“, meint sie. Auf die anfängliche Stille folgte allerdings – davon berichten Antje Noack und die Frauenhaus-Leiterin beide – doch noch der erwartete Andrang.
„Mittlerweile haben sich durch die Lockerungen für betroffene Frauen auch wieder mehr Zugangsmöglichkeiten zu unserem Angebot ergeben. Das hat zur Folge, dass wir gerade alle Hände voll zu tun haben. Der erwartete Ansturm kam also doch – nur etwas verzögert“, sagt die Frauenhaus-Chefin. Und so ergab sich plötzlich das gegensätzliche Problem: Die Unterbringungsmöglichkeiten vor Ort wurden knapp. „Wir hatten da einige Frauen in der Beratung, die es gebraucht hätten, sofort aus der häuslichen Situation herauszukommen, doch dann war das Frauenhaus
bereits komplett belegt“, schildert Antje Noack. Die Hilfe ließ aber nicht lange auf sich warten. „Es gab dann Angebote von Hotelbetreibern und Besitzern von Ferienwohnungen, deren Räume leer standen, weil sie nicht vermieten durften“, fügt die Sozialpädagogin an.
„Die Ferienwohnungen können nun jedoch wieder touristisch vermietet werden, was für uns zur Folge hat, dass unsere Extern-Unterbringungen wegfallen“, ergänzt die Frauenhaus-Leiterin. Die Frauenhäuser in Baden-Württemberg seien jedoch gut vernetzt, gibt sie Entwarnung. „Das hilft in der gegenseitigen Unterstützung, wenn es zum Beispiel um Weitervermittlungen geht. Das heißt, wenn wir nicht aufnehmen können, suchen wir ein Haus, das noch Kapazität hat und vermitteln die Frau dorthin. Momentan sind wir hier voll belegt. Auch unsere enge Zusammenarbeit mit der Polizei und den kreisbezogenen Behörden und Beratungsstellen hilft, um in Krisensituationen schnelle Lösungen zu finden“, betont sie.
Dass der Schritt, sich überhaupt Hilfe zu suchen, oft schwer ist, wissen sowohl die Frauenhaus-Chefin als auch Antje Noack sehr genau. „Viele Frauen erdulden die Situation oft sehr lange, bis sie auf uns zukommen. Das hängt meist auch mit finanziellen Abhängigkeiten vom Mann ab. Vielfach sind es auch Nachbarn oder Freunde, die uns anrufen, weil sie etwas mitbekommen haben. Wenn die Frauen dann erst einmal bei uns sind, sind sie immer sehr erleichtert zu merken, dass es Lösungen und Wege gibt“, sagt die Sozialpädagogin.