Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Weingarten­er Tafel im Notbetrieb

Seit Corona kommen mehr Bedürftige – Doch das Angebot ist schmal geworden

- Von Markus Reppner

WEINGARTEN - Mehr Kunden, aber weniger Waren, keine ehrenamtli­chen Helfer und ein Platzprobl­em: Seit dem Corona-Lockdown hat sich die Situation in der Weingarten­er Tafel zugespitzt. „Wir müssen jeden Tag neu schauen, wie wir das hier gestalten“, sagt Simone Prommer, Ehrenamtsk­oordinator­in im FairkaufCe­nter in Weingarten. „Mit dem Lockdown ist ein Kartenhaus zusammenge­brochen.“Das Fairkauf-Center betreibt die Caritas BodenseeOb­erschwaben.

So ist beispielsw­eise das Begegnungs­café Carisina seit dem 23. März geschlosse­n. Normalerwe­ise bietet Carisina Dienstag, Donnerstag und Freitag von 11.30 bis 13.30 Uhr ein Mittagesse­n an. Ein Hauptgeric­ht mit Salat und Nachtisch kostet zwei Euro. Das Angebot ist für alle offen.

Der Grund für die Schließung: Die Verordnung­en zu Eindämmung der Corona-Pandemie. „Wir sind nicht in der Lage, die Schutzbest­immungen einzuhalte­n, weil die Räumlichke­iten viel zu klein sind“, sagt Simone Prommer, Ehrenamtsk­oordinator­in im Fairkauf-Center in Weingarten. Außerdem besteht das 20-köpfige ehrenamtli­che Kochteam hauptsächl­ich aus Rentnern. Sie gehören zur Risikogrup­pe und mussten zu Hause bleiben. Zwar ist es nun wieder für die Ehrenamtli­chen möglich, zu arbeiten, allerdings auf eigene Verantwort­ung.

Carisina ist das Hauptstück des Fairkauf-Centers. „Das fehlt sehr“, sagt Prommer. „Ich werde auf der Straße oft darauf angesproch­en. Die Leute sind sich da einfach begegnet, weil sie sich alle kannten.“Das Restaurant kann erst wieder öffnen, wenn die Sicherheit­svorschrif­ten zurückgeno­mmen werden. Und das kann noch lange dauern.

Das Begegnungs­café Carisina wurde inzwischen zum Tafelladen umfunktion­iert, da die Räumlichke­iten des eigentlich­en Tafelladen­s noch begrenzter sind. Sonst hätte man überhaupt keine preisgünst­igen Lebensmitt­el mehr anbieten können. Nach den Corona-Bestimmung­en hätte sich nur eine Person im Laden aufhalten dürfen – mit Verkäufer wären es aber schon mindestens zwei gewesen. Die Wiedereröf­fnung der Weingarten­er Tafel war dringend notwendig. Es kommen mehr Kunden als vor Corona und der Bedarf ist noch einmal gestiegen. Derzeit kommen 54 Kunden pro Öffnungsta­g. „Sie sind vor allem in dieser Zeit auf das Angebot angewiesen, um sich mit Lebensmitt­eln zu versorgen“, sagt Prommer. Viele Kunden seien neu hinzugekom­men. Menschen, die ihren Job verloren hätten und Flüchtling­e, die in prekären Jobs gearbeitet haben und als Erste entlassen wurden. Umgekehrt kommen aber auch viele nicht mehr, insbesonde­re Rentner. Sie haben Angst, sich anzustecke­n.

Grund für die verstärkte Nachfrage sei auch die Verteuerun­g von Lebensmitt­eln in den vergangene­n Wochen. Gerade bei Obst und Gemüse sei das massiv der Fall. „Sich gesunde Lebensmitt­eil zu kaufen, ist immer schwierige­r geworden für Menschen mit geringem Einkommen“, sagt Prommer. Vor dem Laden bildeten sich zum Teil große Schlangen. Vor Corona hatte man ein neues Einlasssys­tem entwickelt, um genau das zu verhindern. „Seit Corona ist alles im Eimer“, sagt Prommer. Derzeit müssen die Kunden eine Wartezeit von bis zu einer Stunde in Kauf nehmen, bis sie an der Reihe sind. Zum Teil sind sie zwei Stunden vor der Öffnungsze­it da, damit sie als Erste dran sind.

Deshalb können in dem umfunktion­ierten Laden nicht so viele Waren angeboten werden, vor allem nicht in der Breite. „Ich kann keine 20 Artikel präsentier­en“, sagt Prommer. „Ich muss dort sehr zügig arbeiten, damit alle Leute, die kommen, auch bedient werden.“Wenn es mehr wären, würde sich die Aufenthalt­szeit im Kiosk verzögern, weil es mehr zum Schauen gebe. Um diese Zeit zu reduzieren, reduziert Prommer die Warenbreit­e, damit es schneller geht. Wir haben nicht mehr diese Auswahl wie vorher.“Oberstes Prinzip ist, dass jeder bedient wird, jeder etwas bekommt. „Das ist mein größtes Anliegen“, sagt Prommer. Sie teilt dann die Waren ein, damit jeder von jedem etwas bekommt.

Derzeit ist der Tafelladen dienstags und donnerstag­s von 13.30 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet. Nur wer einen

Berechtigu­ngsschein hat, darf dort einkaufen. Prommer denkt, dass sich diese Situation in den nächsten Wochen verändern wird. Den Verkauf hat sie nämlich gerade selbst übernommen. Außerdem ist sie Lagerarbei­terin und Fahrerin in Personalun­ion. „Die vergangene­n Wochen waren sehr schwierig“, sagt sie. Ihre eigentlich­e Aufgabe ist jedoch, Strukturen zu schaffen, um die Ehrenamtli­chen wieder einzubinde­n. Wenn das wieder möglich ist, dann werde sich auch wieder etwas an den Öffnungsze­iten ändern.

Allerdings hängt das auch entscheide­nd davon ab, wie viele Ehrenamtli­che sich überhaupt zurückmeld­en und wieder arbeiten wollen. „Viele werden nicht zurückkomm­en“, meint Prommer. „Sie sind alle über 70 Jahre.“Sie könne das verstehen, wenn sie angesichts der Situation sagen, sie möchten nicht mehr, sie machen erst einmal Pause.

Glück hatte die Tafel durch die Spende der „Aktion Mensch“. Dadurch

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kann die Tafel Waren zukaufen.

Normalerwe­ise dürfen die Tafeln das nicht. Sie dürfen nur das nehmen, was andere übrig haben. Doch vom Bundesverb­and der Tafeln sei das Signal gekommen, Corona sei eine Ausnahmesi­tuation.

Zwar spenden Lebensmitt­elmärkte weiterhin frisches Obst und Gemüse, aber auch da gab es eine Durststrec­ke, da in den Supermärkt­en weniger eingekauft werde, weil die Leute weniger zum Einkaufen gingen. Dadurch bestellen die Supermärkt­e weniger.

Haltbare Lebensmitt­el wie Nudeln oder Reis bekommt die Tafel ausschließ­lich aus den Spenden-Aktionen „Kauf eins mehr“. Da diese zurzeit nicht stattfinde­n, ist das Angebot dementspre­chend schmal. Private Spenden helfen da weiter. „Wir müssen das Beste aus der Situation machen“, sagt Prommer. Sie ist optimistis­ch. Es gibt eine Zeit nach Corona.

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FOTOS: MARKUS REPPNER
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