Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nach dem Video scheidet Notwehr aus
Amtsgericht verurteilt 39-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung – Schwager hatte doch kein Messer
LINDAU (roi) - Die Konflikte innerhalb der Familie schwelten schon länger. Im Oktober2019 gipfelten sie in einer Auseinandersetzung, die mit einem Schwerverletzten auf der einen und einer Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung andererseits endete. Und dabei gab es weder ein Messer noch Schläge oder Tritte.
Angeklagt waren Vater und Sohn, vor dem Amtsgericht Lindau stand aber nur der 39-Jährige, da der Vater coronabedingt in der Türkei festsitzt. Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, im Oktober 2019 seinen Schwager in den Bauch geschlagen, am Arm die Treppe heruntergezogen, auf den Boden gedrückt und sich danach auf ihn gesetzt zu haben. Dabei habe sich der deutlich leichtere Mann an Schulter und Knie schwer verletzte. . Der 44-Jährige ist seither arbeitsunfähig, es werden noch weitere Operationen nötig sein.
Bei der Polizei hatte der Angeklagte sein Verhalten nach der Tat noch mit Notwehr begründet und gegen den Schwager Anzeige erstattet. Dieser soll ein schwarzes Einhandmesser dabeigehabt und gedroht haben, zuzustechen. Später revidierte der Angeklagte diese Aussage. Grund dafür war wohl ein Video von der Auseinandersetzung, das belegte, dass kein Messer im Spiel war und die Aggression von dem Angeklagten ausging. Bereits vor der Verhandlung hatte dieser den Vorwurf eingeräumt, sich schriftlich entschuldigt und bekundet, an einem Täter-Opfer-Ausgleich interessiert zu sein. Als Zeichen des guten Willens hatte er bereits 200 Euro überwiesen. „Ich wollte einfach, dass nichts passiert“, rechtfertigt sich der Angeklagte vor Gericht. Weil sich seine Schwester, die getrennt lebende Ehefrau des Opfers, Sorgen um ihre Tochter gemacht habe, die bei ihm zu Besuch war, seien sie zu dritt vor dessen Haus gefahren. „Man kann ihn nicht einschätzen“, sagt der Angeklagte und erinnert daran, dass sein Schwager eine Woche vor diesem Vorfall gedroht habe, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau „abzustechen“. Die Polizei habe damals ein Messer beschlagnahmt. Auch diesmal habe er gedroht, sie „abzustechen“. Deshalb habe er seinen Schwager, nachdem ihn sein Vater die Treppe heruntergezogen habe, an den Armen gepackt. Nachdem er mit ihm auf den Boden gefallen sei, habe er einige Minuten sein Knie auf dessen Schulter gedrückt. „Ich hatte eine Wut, weil er mit meiner Schwester die ganzen Jahre so umgesprungen ist.“Der Angeklagte beteuerte aber, dass es nie seine Absicht war, seinen Schwager zu verletzen. Er habe einen Blackout gehabt, sagte er und versicherte: „Es tut mir leid.“Das 44-jährige Opfer wollte indes die Sorge der Gegenseite nicht gelten lassen. Er habe seine Tochter schon seit Monaten problemlos sehen können – und sicher keine Absicht gehabt, sie seiner Frau wegzunehmen. Er habe weder ein Messer dabei gehabt noch gedroht, irgendwen abzustechen. Nach dem Gerangel mit dem Schwiegervater habe ihn der Schwager zu Boden gerissen und sei dann auf ihn gekniet. Die Folgen: „Schulter und Knie sind kaputt“, sagt er.
Die Schuld des Angeklagten war unstrittig. Bei der Frage des Strafmaßes
gingen die Vorstellungen aber auseinander. Auch wenn es nachweislich keine Schläge gegeben habe, blieb die Staatsanwaltschaft bei ihrer Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Angriff und Aggression seien eindeutig vom Angeklagten ausgegangen, und die Verletzungen des Opfers waren massiv. Da der Angeklagte nicht vorbestraft war und bereits 200 Euro als Vorschuss für einen Täter-Opfer-Ausgleich gezahlt habe, forderte der Staatsanwalt eine Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu 50 Euro. Das war dem Nebenkläger zu wenig. Er hielt eine Freiheitsstrafe zur Bewährung für angemessen – mit der Auflage, Schmerzensgeld in monatlichen Raten zu zahlen. Das sollte sich in einer Größenordnung von insgesamt 10.000 Euro bewegen. Der Verteidiger betonte noch einmal, dass sein Mandant keine Absicht gehabt habe, das Opfer zu verletzen. Er sehe die Grenze zur fahrlässigen Körperverletzung gegeben.
Der Richter folgte der Argumentation des Staatsanwaltes. Da die Verletzungen des 44-Jährigen schwer waren und die Körperverletzung vorsätzlich und gemeinschaftlich begangen wurde, liege eine gefährliche Körperverletzung vor, wenn auch ein „minderschwerer Fall“. Er verurteilte den Mann zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 40 Euro. Allerdings tadelte er auch das Verhalten des Geschädigten, der von der aufgeladenen Atmosphäre gewusst habe: „Es war nicht besonders schlau, vor die Tür zu gehen. Sie hätten auch im Haus bleiben können.“