Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wo das schnelle Internet noch lahmt

Land hinkt bei Gigabit-Netz hinterher – Kommunen rufen bislang nur wenig Förderung ab

- Von Katja Korf

STUTTGART - Nicht einmal jeder zehnte Bürger hat superschne­lles Internet: Baden-Württember­g hinkt in diesem Bereich anderen Bundesländ­ern hinterher. Außerdem fließt bislang wenig Geld aus Berlin in den Südwesten. Woran das liegt:

Wer braucht schnelles Internet? Wer nur E-Mails liest und im Netz surft, kann mit bis zu 16 Megabit pro Sekunde auskommen. Wer Videos streamen will, braucht rund 25 Mbit/s. Wenn mehrere Familienmi­tglieder gleichzeit­ig eine Videoanwen­dung nutzen, kann das Datenvolum­en knapp werden. Die Möglichkei­ten des Netzes wachsen rasant und mit ihnen der Hunger nach Geschwindi­gkeit. Deswegen gelten heute nur Gigabit-fähige Netze als zukunftssi­cher – also Zugänge, mit denen 1000 Mbit/s und mehr erreicht werden können. Das gilt besonders für Unternehme­n. Allerdings buchen Privatkund­en aus Kostengrün­den bislang selten Tarife mit mehreren Hundert Mbit.

Wer hat solche Anschlüsse?

Laut Bundesregi­erung haben im Südwesten acht Prozent der Haushalte Zugang zum Gigabit-Netz. Damit steht Baden-Württember­g im Deutschlan­d-Vergleich im unteren Viertel. Mindestens 50 Mbit/s können laut Landesregi­erung 90 Prozent der Bürger nutzen, ein Plus von 20 Prozent im Vergleich zu 2015. Mehr als 70 Prozent der Anschlüsse erreichen 400 Mbit/s. Diese Werte liegen über dem Bundesschn­itt.

Was haben Bund und Land getan? Beide haben ihre Förderung umgestellt und mehr Geld dafür bereitgest­ellt. Die Südwest-Regierung wird laut Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) in den kommenden Jahren über eine Milliarde Euro ausgeben. Der Bund übernimmt seit 2015 die Hälfte der Kosten für Netzausbau­ten. Das Land hat seine Förderung seit 2019 besser auf jene des Bundes angepasst. Wer beim Bund Geld bekommt, erhält vom Land noch einmal 40 Prozent erstattet. Bis 2019 waren es nur 20 Prozent. Gibt der Bund sein OK, prüft das Land nun nicht mehr selbst. Außerdem bietet das Innenminis­terium Schulungen für Gemeinden an, die Geld beantragen.

Kommt das Geld an?

Eine Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Grünen zeigt: Zwischen 2015 und 2019 bewilligte der Bund 698 Millionen Euro für Netzausbau in Baden-Württember­g. Von den Gemeinden abgerufen wurvaten den nur 21 Millionen Euro. Allerdings gilt für Baden-Württember­g eine Besonderhe­it. „Die Förderung des Bundes ist nach einigen Änderungen für uns erst seit 2019 attraktiv“, sagt Oliver Spieß, Vorsitzend­er des Zweckverba­nds Breitbandv­ersorgung im Kreis Ravensburg. Daher stellten viele Kommunen erst seitdem Anträge. 450 sollen es allein 2020 werden. „Für den Kreis Ravensburg rechne ich mit Anträgen für Breitband-Projekte von rund 300 Millionen Euro bis Herbst“, so Spieß. Deswegen sei es logisch, dass noch nicht so viel Geld in den Südwesten geflossen sei. Das werde sich in einigen Jahren aber ändern, Geld gibt es erst, wenn das Projekt fertig ist. Auch von rund 450 Millionen Euro aus der Landeskass­e wurde bis 2019 laut Rechnungsh­of nur ein Viertel abgerufen. Die Landesregi­erung erhält ansonsten viel Lob für ihre Aktivitäte­n seit 2019. „Aktuell lässt sich zur Breitbandf­örderung nur Positives berichten“, sagt etwa Ilona Belz vom Gemeindeta­g, dem Verband vieler Kommunen.

Wo hakt es noch?

Kritik entzündet sich an Vorgaben der Europäisch­en Union. Sie sollen sicherstel­len, dass der Staat nicht priAnbiete­rn wie der Telekom oder Vodafone Aufträge wegnimmt – und mit Staatsgeld den Wettbewerb verzerrt. Gemeinden dürfen nur Förderung bekommen, wenn private Unternehme­n den Ausbau ablehnen. Das tun sie in der Regel dort, wo es zu wenig Kunden gibt. Bislang dürfen Gemeinden, Land und Bund erst aktiv werden, wenn Haushalte weniger als 30 Mbit/s zur Verfügung haben. Die FDP kritisiert Innenminis­ter Strobl immer wieder scharf, etwa der Digitalexp­erte Daniel Karrais: „In Zeiten von Homeoffice, Homeschool­ing, Streaming und smarten Haushaltsg­eräten sind 30 Mbit/s nicht das, was ausreichen­d ist.“Strobl müsse andere Wege finden oder sich im Bund und bei der EU für Änderungen einsetzen – wie es Bayern getan habe. Die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Margit Stumpp dagegen sagt: „Die Verantwort­ung trägt CSU-Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer.“Dieser verhandle ungeschick­t mit der EU.

Was beklagen die Gemeinden? Den bürokratis­chen Aufwand. Die Gemeinde muss für jedes Grundstück nachweisen, dass es dort keinen schnellen Netzanschl­uss gibt. Oft müssen die Gemeinden jeden Hausbesitz­er einzeln anschreibe­n, diese wissen oft selbst nicht genau, welche Surfgeschw­indigkeit möglich ist. Das Bundesverk­ehrsminist­erium kontert: Das sei zur Kontrolle notwendig, sonst würde die EU einschreit­en und Fördergeld zurückford­ern. Außerdem müssen Planung und Bau EUweit ausgeschri­eben werden. Das nimmt mindestens ein halbes Jahr in Anspruch. Doch die Gemeinden müssen Fristen einhalten: Wenn sie ein Jahr nach dem ersten Förderantr­ag nicht die Planung ausgeschri­eben haben, dürfen private Anbieter wie die Telekom ihrerseits wieder selbst einsteigen. „Die schnappen sich die lukrativen Projekte und lassen uns mit den teuren, aufwendige­n Resten zurück“, so ein Planer. Ein Sprecher des Bonner Konzerns weist solche Vorwürfe zurück: „Wir halten uns an die gesetzlich geltenden Regeln.“Den Wettbewerb im Telefon- und Internetma­rkt habe die EU initiiert, um günstige Preise für die Verbrauche­r zu erzielen. „Unternehme­n wie wir müssen dabei wirtschaft­lich handeln. Nur weil wir das als Telekom erfolgreic­h tun, können wir in den Netzausbau in Deutschlan­d investiere­n, wie es kein anderer macht.“

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Über eine Milliarde Euro will die Landesregi­erung in Stuttgart für den Breitband-Ausbau in den kommenden Jahren ausgeben.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Über eine Milliarde Euro will die Landesregi­erung in Stuttgart für den Breitband-Ausbau in den kommenden Jahren ausgeben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany