Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Deutliche Abfuhr
Rückschlag für die Bundesliga – Gesundheitsminister wollen Fans bis November aussperren
STUTTGART (SID/dpa/sz) - Die Wucht kam dann doch etwas überraschend und lässt eigentlich keinen Spielraum für Interpretationen und zum Feilschen: Leere Stadien zum Start der Bundesliga werden nach dem Rundumschlag der Politik damit wieder sehr wahrscheinlich. Den Reigen zur Abfuhr bei der Hoffnung auf eine baldige Fan-Rückkehr in die Arenen eröffnete Jens Spahn: „Tausende Zuschauer in den Stadien – das passt nicht zum aktuellen Infektionsgeschehen“, twitterte der Bundesgesundheitsminister (CDU): „Jetzt heißt es, keine vermeidbaren Risiken einzugehen. Das Konzept der DFL ist in der Theorie gut. Entscheidend ist in der Pandemie aber die Praxis im Alltag.“Das saß. Doch es kam noch dicker für all die Verantwortlichen, die in den vergangenen Wochen bereits von zumindest Viertel-vollen Stadien geträumt hatten.
Einen Start der Bundesliga mit Zuschauern könne er sich nicht vorstellen, sagte auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Ich habe mich sehr für den Start von Geisterspielen eingesetzt, das läuft auch hervorragend. Aber bei vollen Stadien zum Bundesliga-Start bin ich außerordentlich skeptisch. Ich kann es mir derzeit nicht vorstellen“, sagte der CSU-Chef in Nürnberg und betonte: „Es hätte auch eine verheerende Signalwirkung an die Öffentlichkeit. Sowohl was Kapazitäten im Medizinischen betrifft als auch gegenüber kulturellen Veranstaltungen.“
Von der Konferenz der Gesundheitsminister der Länder konnte sich das Konzept der DFL auch keinen Rückenwind erwarten. Sie seien „zu einer einhelligen Position gekommen, dass wir ausgehend von der jetzigen pandemischen Lage es nicht befürworten, die Stadien zu öffnen“, sagte die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD): „Gesundheitspolitisch befürworten wir zurzeit zumindest bis zum 31. Oktober die Öffnung der Stadien nicht. Danach kann man noch mal aufgrund der Lage miteinander diskutieren.“
Politischen Zuspruch bekam der Fußball immerhin aus Sachsen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) plädierte via ARD-Mittagsmagazin dafür, den Clubs die Chance zu geben, „diese Sache zu erproben“. Es sei wichtig, auch an diesem Punkt einen Schritt nach vorn zu gehen.
Einen weiteren Schuss vor den Bug setzte es hingegen vom Ärzteverband „Marburger Bund“, der eindringlich vor einer Fan-Rückkehr in die Stadien warnte. „Die Gefahr von Massenansteckungen wäre real. Wenn wir Pech haben, sitzt ein Superspreader unter den Fans, und das Virus breitet sich wie ein Lauffeuer aus“, sagte die Vorsitzende Susanne Johna. Schließlich könne jemand „überhaupt noch keine Beschwerden haben, aber trotzdem steckt sein Rachen schon voller Viren. Und wenn dann geschrien und gejubelt wird, kann es blitzschnell gehen“.
Die 36 Clubs der Bundesliga und der 2. Liga hatten sich am vergangenen Dienstag auf ein Konzept für die Rückkehr von Zuschauern in der Corona-Pandemie geeinigt. Der Plan sieht keine Stehplätze und keinen Alkohol bis Ende Oktober, Verzicht auf Gästefans bis Jahresende sowie personalisierte Tickets vor. Die Bestrebungen der DFL seien zwar nachvollziehbar, sagte Ärzteverbandschefin Johna: „Aber dass ihr Konzept Ansteckungen verhindert, halte ich für unrealistisch.“So könne sie sich nicht vorstellen, dass Fans bei einem Tor auf ihren Sitzen bleiben. „Da liegt man sich in den Armen und denkt nicht an Corona“, sagte Johna: „Alles andere wäre geradezu unmenschlich.“
Trotz aller guten Wünsche und Hoffnungen wächst inzwischen selbst bei den Clubs die Zahl der Skeptiker. „Wenn es so weitergeht wie in den letzten zwei, drei, vier Wochen, dann wird es wahrscheinlich schwer, dass wir vielleicht überhaupt Zuschauer reinkriegen, geschweige denn das Stadion voll bekommen“, sagte Trainer Uwe Neuhaus von BundesligaAufsteiger Arminia Bielefeld dem „Kicker“. Hertha BSC denkt sogar schon darüber nach, zunächst freiwillig ganz auf Fans zu verzichten. Weil in Berlin bis zum 24. Oktober eine Obergrenze von 5000 Menschen auf Großveranstaltungen gilt, würde sich eine Öffnung des riesigen Olympiastadions einfach finanziell nicht lohnen. Ein Problem, das die Hertha nicht exklusiv haben dürfte, sollte die Politik den Weg nicht freimachen. VfB-Präsident Claus sprach gegenüber der Schwäbischen Zeitung sogar davon, dass erst ab 15 000 Fans ein Gewinn für den Verein verbleibe. Auch das badenwürttembergische
Sprecherin des Gesundheitsministeriums von Baden-Württemberg Gesundheitsministerium lehnte allerdings eine Rückkehr von Fans zum Saisonstart ab. „Die Corona-Verordnung erlaubt derzeit Großveranstaltungen mit bis zu 500 Menschen“, sagte eine Sprecherin. „Tausende Menschen in einem Stadion sind aus unserer Sicht aber derzeit nicht darstellbar, wenn wir auf der anderen Seite in vielen gesellschaftlichen Bereichen aus gutem Grund nach wie vor restriktive Vorgaben machen müssen.“
DFB-Präsident Fritz Keller hatte zuletzt die Idee von Massen-Präventivtests für Stadionbesucher ins Spiel gebracht – davon halten die zuständigen Minister allerdings offenbar wenig. Die Idee werde „von der Mehrheit der Minister kritisch gesehen“, sagte Ministerin Kalayci in der „Berliner Morgenpost“. Niemand könne vor und nach dem Spiel große Menschenansammlungen und Alkoholkonsum ausschließen und kontrollieren. Testkapazitäten würden in vielen anderen Bereichen benötigt.
Fakt ist: Großveranstaltungen sind bundesweit noch bis Ende Oktober untersagt, auch wenn die Bundesländer dies unterschiedlich interpretieren. Tausende Menschen in den Stadien im September? Das klingt derzeit sehr nach Illusion. Nach den jüngsten Aussagen scheinen Ausnahmegenehmigungen weiter entfernt denn je.
„Tausende Menschen in einem Stadion sind aus unserer Sicht aber derzeit nicht darstellbar.“
Regelmäßige Tests für UEFA-Bosse: Im Rahmen des Finalturniers der Champions League in Lissabon (12. bis 23. August) werden auch die UEFA-Verantwortlichen regelmäßig auf das Coronavirus getestet. Wie Europas Fußballverband mitteilte, werden die Tests „vor der Abreise zum ersten Spiel“und „in regelmäßigen Abständen dazwischen“stattfinden. UEFAPräsident Aleksander Ceferin, der die Trophäe sowie Medaillen an die siegreiche Mannschaft übergeben wird, soll genauso wie Generalsekretär Theodore Theodoridis zwei Tage vor dem Finale getestet werden. Die gleichen Abläufe gelten auch für das Finalturnier der Europa League in Nordrhein-Westfalen sowie für das Champions-League-Turnier der Frauen in Spanien. Außerdem werden nach dem UEFAKonzept alle Mitarbeiter, die mit Spielern, Trainern oder Offiziellen in Kontakt treten, auf Covid-19 getestet.