Schwäbische Zeitung (Tettnang)
BGH-Entscheidung zu Diesel-Klagen gegen Daimler vertagt 3, 2, 1 – Nobelpreis
Verfahren der Auktionsforscher Wilson und Milgrom kam auch bei Deutschlands 5G-Versteigerung zum Einsatz
KARLSRUHE (dpa) - Eine höchstrichterliche Entscheidung über mögliche Schadenersatz-Ansprüche von Diesel-Käufern gegen Daimler verzögert sich. Eine für den 27. Oktober angesetzte Verhandlung dazu sagte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Montag ab. Der klagende Autokäufer habe seine Revision zurückgenommen, hieß es zur Begründung. Gleichzeitig kündigte der BGH für den 14. Dezember eine neue Verhandlung in einem vergleichbaren Fall an. Die Grundsatz-Frage dürfte dann dort geklärt werden. Ob an dem Tag auch schon das Urteil verkündet wird, ist offen. Ein Daimler-Sprecher teilte auf Anfrage mit, der Kläger habe „für uns völlig überraschend die Revision zurückgezogen“.
In den Verfahren geht es um eine Technologie des Stuttgarter Autobauers in Diesel-Fahrzeugen, die sich Thermofenster nennt. Dabei werden die Abgase zum Teil wieder im Motor verbrannt. Das verringert den Stickoxid-Ausstoß. Wie viele Abgase zurückgeführt werden, ist unterschiedlich und hängt mit von der Außentemperatur ab.
Die Kläger halten dies für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Sie führe dazu, dass das Auto bei behördlichen Prüfungen Grenzwerte einhalte, die auf der Straße überschritten würden. Auch im neuen Fall, der wie der alte vom Oberlandesgericht (OLG) Koblenz kommt, sieht sich der Käufer getäuscht und will erreichen, dass Daimler sein Auto zurücknimmt und ihm den Kaufpreis zum Teil erstattet. Daimler hält die Technik für zulässig, sie diene dem Schutz des Motors.
BERLIN - Der 83-jährige Robert Wilson war am frühen Montagmorgen erst einmal zu seinem 72-jährigen Kollegen Paul Milgrom hinübergegangen, um an seine Tür zu klopfen und ihn zu wecken. Denn die Nachbarn haben zusammen den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gewonnen. In der ersten TelefonPressekonferenz musste Wilson dann erst überlegen, bevor er die Frage beantworten konnte: Wann er selbst zuletzt etwas bei einer Auktion ersteigert habe? „Meine Frau sagt gerade, wir haben Skistiefel auf E-Bay gekauft! Das ist doch eine Auktion, oder?“
Auch wenn es mit der Praxisanwendung noch etwas hapert: Wilson und Milgrom wissen sehr viel über das Funktionieren von Versteigerungen. Sie haben die Auktionstheorie verfeinert, neue Auktionsformate erfunden und generell zum Verständnis einer sinnvollen Preisfindung beigetragen. Beide Preisträger forschten an der Stanford-Universität in Kalifornien.
Der gedankliche Ausgangspunkt von Wilsons und Milgroms Arbeiten war ein gewisses Misstrauen gegenüber der verbreiteten Annahme, dass Märkte immer den optimalen Preis für ein Produkt finden und dadurch für seine faire Verteilung sorgen. Milgrom sieht sich als Experte für „Marktdesign“, eine Disziplin, für die es beispielsweise 2012 bereits einen Nobelpreis gab. Bestimmte Märkte brauchen einen Rahmen, der die Interessen der Teilnehmer in die richtigen Kanäle lenkt, um ein befriedigendes Ergebnis zu erhalten.
In den 90er-Jahren gab es gleich mehrere Anwendungen für Milgroms Ideen. In Fachkreisen weltweit berühmt wurde er mit seinem Entwurf
für die Auktionen der Mobilfunkfrequenzen in den USA. Zusammen mit seinem Mentor und Doktorvater Wilson entwarf er im Auftrag der US-Fernmeldebehörde ein Verfahren, um von Mobilfunkfirmen einen realistischen Preis für das kostbare öffentliche Gut der Frequenzen zu erhalten. Die „offene aufsteigende simultane Mehrrundenauktion“war dann auch das Format, in dem in Deutschland beispielsweise die 5GLizenzen versteigert wurden.
Die simultane Mehrrundenauktion berücksichtigt, dass es für das zu verkaufende Wirtschaftsgut bisher keinen Marktpreis gab, an dem sich die Teilnehmer orientieren können. Außerdem spiegelt sie wider, dass die Marktteilnehmer selbst nicht alle Fakten parat haben, die sie für ein sinnvolles Gebot kennen müssten. Ihre Einschätzung der Lage kann sich im Verlauf der Auktion ändern.
Daher stehen bei diesem Typ der Auktion von Anfang an alle Frequenzen auf einmal zum Verkauf. Das unterscheidet sie etwa von einer Kunstauktion, wo ein Bild nach dem anderen unter den Hammer kommt. Dafür gibt es mehrere Runden. In jeder Runde geben alle Teilnehmer Gebote für alle Frequenzpakete ab. Dadurch kristallisiert sich schnell heraus, wer welche Bänder besonders dringend haben will. Bietergefechte konzentrieren sich dann auf wenige besonders begehrte Frequenzen.
Zwischen den Auktionsrunden können die Manager der Mobilfunkfirmen sich über ihre Strategie beraten. Sie sind daher nicht zu hastigen Schnellentscheidungen gezwungen wie bei anderen Auktionstypen. Dafür ist die Zahl der Runden nicht festgelegt. Deshalb konnte die Bundesnetzagentur auch zu Beginn der 5GAuktion im März 2019 nicht sagen, wie lange sie dauern würde. Sie zog sich dann bis Juni hin. Oft sind bestimmte Frequenzen besonders wertvoll, wenn ein Spieler sie zusammen besitzt – so wie drei Straßen einer Farbe beim Monopoly. Dann wird er mehr für beide zusammen bezahlen. All das ist in diesen Auktionstyp gut reflektiert. Ein anderes Beispiel für so einen dynamischen Markt, das Milgrom gerne anführt, ist der Arbeitsmarkt für Krankenhausärzte. Mediziner-Ehepaare nehmen geringere Gehälter in Kauf, wenn sie dafür am gleichen Krankenhaus arbeiten können. Eine andere Anwendung ist die Vergabe von Start-/Landezeitfenstern von Flughäfen. Sie haben für unterschiedliche Fluglinien je nach Verteilung über den Tag einen ganz unterschiedlichen Wert. Auch vorhandene Slots an anderen Flughäfen spielen eine Rolle.
So verdient die Auszeichnung für Wilson und Milgrom ist: Mit den Preisträgern dieses Jahres setzt sich ein Muster mangelnder Vielfalt fort. Der Wirtschaftsnobelpreis geht in der Regel an weiße, männliche Professoren aus den USA. Er ging bisher an 84 Männer und nur an zwei Frauen. Davon waren 64 Amerikaner. Und die einzigen Asiaten, die den Preis gewonnen haben, zwei Inder, forschen an bekannten US-Unis. Nach Afrika ging der Preis noch nie.