Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Schutz von Risikogruppen rückt in den Fokus
Feiern Hauptquelle von Corona-Infektionen – Mediziner wollen Über-50-Jährigen mehr Aufmerksamkeit widmen
BERLIN - Die Corona-Pandemie hat das Bundeskabinett erreicht – und neue Höchstwerte bei der Zahl der Infizierten. Der Überblick.
Der Gesundheitsminister ist an Covid-19 erkrankt. Und jetzt?
Im Bundesgesundheitsministerium blieben am Donnerstag ein paar Büros auf der Leitungsetage leer. Alle, die mit dem Corona-positiven Minister Jens Spahn (CDU) in den vergangenen Tagen persönlichen Kontakt hatten, mussten zu Hause bleiben. „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus seinem engeren Umfeld sind negativ getestet worden“, teilte ein Sprecher mit. Führungslos ist das Haus nicht. Der Minister sei im Homeoffice, aber „arbeitsfähig“, hieß es. Spahn gehe es den Umständen entsprechend gut, er habe kein Fieber, aber Erkältungssymptome.
Muss die gesamte Bundesregierung in Quarantäne?
Nein. Spahn hatte zwar an einer Kabinettssitzung teilgenommen. Ein Regierungssprecher verwies aber darauf, dass die Runde in einem Konferenzsaal des Kanzleramtes tage, der „hinsichtlich des Infektionsschutzes optimiert und vom Gesundheitsamt Berlin-Mitte fachlich überprüft worden“sei. Bei Spahn ist den Ministeriumsinformationen zufolge unklar, wo er sich angesteckt haben könnte. Andere Mitglieder der Bundesregierung ließen sich inzwischen ebenfalls testen – mit negativem Ergebnis. Regelmäßige Tests gibt es vor allem für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) bei Auslandsreisen. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) unterzog sich nach Angaben einer Sprecherin am Mittwoch einem Schnelltest, der negativ ausfiel.
11 287 Infizierte – ist die Lage jetzt so schlimm wie im Frühjahr? Nein, zwar handelt es sich um den höchsten jemals gemessenen Wert an neuen Infektionen, doch die Zahl ist erheblich davon beeinflusst, dass derzeit mehr getestet wird. Derzeit liegt die Zahl der Tests bei zwischen 1,1 und 1,2 Millionen, das ist etwa viermal so viel wie zur Zeiten der höchsten Neuinfektionen im Frühjahr.
Das Verhältnis der Zahl von positiven Tests zur Zahl aller Tests heißt Positivrate. Im Frühjahr lag sie zeitweise bei etwa zehn Prozent, zuletzt laut RKI bei 3,63 Prozent. Im Sommer aber lag sie bei 0,75 Prozent. Das zeigt, dass das Infektionsgeschehen insgesamt deutlich zunimmt.
Sagt die Zahl 11 287 etwas über die gesamten Infektionen aus?
Leider nein. Es gibt eine gewisse Dunkelziffer. Die meisten Tests finden immer noch statt, wenn Menschen Symptome aufweisen oder sie in Kontakt mit Erkrankten gekommen sind. Das heißt, es gibt eine schwer einzuschätzende Zahl von Infizierten, die aber keine Symptome zeigen. Um ein besseres Bild der tatsächlichen Infektionsraten zu bekommen, müsste systematischer getestet werden. Diese Forderung gibt es schon lange, bislang hat die Politik aber darauf verzichtet.
Wäre es sinnvoll, Risikogruppen besser zu schützen?
Der Pandemie-Experte Matthias Schrappe vertritt diese Meinung. Für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen
empfahl er „zielgruppenspezifische Maßnahmen“. So sollen Supermärkte bestimmte Zeiten freihalten, in denen ausschließlich Angehörige von Risikogruppen einkaufen gehen können. Kinos und andere Kulturbetriebe könnten spezielle Veranstaltungen ins Programm nehmen, sagte das frühere Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung des Gesundheitswesens.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang die 50plus-Strategie? Der Chefvirologe der Charité, Christian Drosten, glaubt nicht, dass es ohne Weiteres möglich ist, die Älteren zu schützen, etwa wenn Familien zusammenleben. Trotzdem will er dieser Gruppe besondere Aufmerksamkeit widmen. Er schlägt deshalb vor, die Zahl der Neuinfizierten, die älter als 50 sind, gesondert auszuweisen. So könnte man beispielsweise erkennen, wann es im Gesundheitswesen zu einer Überlastung kommt. Die Bundesregierung hält die derzeitigen Parameter aber für ausreichend.
Wie kommt es zu der hohen Zahl von Infizierten?
Das liege vor allem an den privaten Feiern, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. „Dort, wo Menschen zusammenkommen und eine starke Interaktion etwa durch lautes Sprechen oder Lachen stattfindet, ist das Ansteckungsrisiko besonders groß“, betonte er. Deshalb spiele auch der öffentliche Nahverkehr, bei dem es weniger Interaktion gebe, bei den Infektionen nur eine geringe Rolle.
Warum gibt es in Deutschland weniger Infizierte als anderswo? Zum einen gibt es in Deutschland viele Einpersonen-Haushalte – ein Infizierter steckt daher nicht so leicht seine Familie an. Nach Überzeugung des Bielefelder Soziologen Michael Huber wirkt sich aber auch das föderale System der Bundesrepublik mit seinen Möglichkeiten, auf Bedrohungslagen flexibel zu reagieren, positiv aus.
Informationen zur CoronaLage auch unter www.schwaebische.de/ corona-aktuell