Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Erhebliche Missstände in Schlachthöfen
Südwest-Agrarminister Hauk legt erst auf Druck seit Monaten bekannte Mängelliste vor
STUTTGART - Ob Allgäu oder Nordwürttemberg: immer wieder Tierschutz-Skandale bekannt. Seit dieser Woche ist nun klar: In fast allen Schlachthöfen in Baden-Württemberg hat es in den vergangenen Jahren massive Probleme bei der Betäubung der Tiere gegeben. Das geht aus einem Bericht hervor, den Agrarminister Peter Hauk (CDU) nun den Fachpolitikern im Landtag gegeben hat und der auch der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt – ein Jahr, nachdem der Minister von den Mängeln erfuhr.
Seit Oktober fordern Abgeordnete eine Liste der Mängel, die das Schlachthof-Monitoring 2018 ergeben hat. Zunächst hatte Hauk in einer Pressemitteilung erklärt: „Im Rahmen der Prüfungen wurde in keinem der untersuchten Schlachthöfe ein offensichtliches Fehlverhalten im Umgang mit Schlachttieren festgestellt. Der Großteil der Beanstandungen betraf Dokumentations- und Eigenkontrollverpflichtungen, sowie bauliche Mängel.“In einem Brief an die Abgeordneten ergänzte er das pauschale Fazit um ein weiteres: „Die Ergebnisse des Sonderkontrollprogramms spiegeln den momentan guten Stand der Betriebe wider.“
Details lieferte Hauk ein Jahr lang nicht – weder auf Bitten des Tierschutzbeirats des Landes, noch auf Anfrage etwa vom SPD-Abgeordneten Jonas Weber. Seitdem die Missstände im Schlachthof Gärtringen durch Videoaufnahmen der Aktivisten von Soko Tierschutz Anfang September bekannt wurden, steigt der Druck auf Hauk, transparenter zu sein. Diese Woche hat er Details nachgeliefert. Warum erst jetzt? Die vor Ort zuständigen Behörden hätten „zunächst nicht einheitlich“Bericht erstattet, so ein Sprecher.
Laut der nun vorgelegten Übersicht haben die Schlachthöfe mittlerweile fast alle Mängel behoben. Wo noch welche bestehen, sollen die Behörden vor Ort von den Betreibern einen Zeitplan zur Beseitigung der Mängel einfordern, hat Hauk ihnen laut einer Sprecherin aufgetragen. Es gibt Betriebe mit besonders vielen offenen Punkten. Einer ist der Schlachthof Gärtringen. Die Betriebe sind in Hauks Aufstellung anonymisiert. Bei Betrieb drei gibt es allerdings den Zusatz „Derzeit keine Schlachtung“, was eindeutig auf den inzwischen geschlossenen Schlachthof im Kreis Böblingen hinweist.
29 Kritikpunkte hatten die Kontrolleure 2018 für Gärtringen festgehalten. 15 dieser Mängel bestehen weiter, vor allem bei der Betäubung: 13 Prozent aller Rinder waren im Schlachthof Gärtringen nicht ausreichend betäubt. Bei Schweinen waren es 7,4 Prozent – bei weiteren 6,1 Prozent war fraglich, ob die Betäubung ausreichte. Der Strom zur Betäubung floss nur 2,5 Sekunden – rechtlich vorgegeben sind vier Sekunden. All das wusste Hauk, als er den Betrieb im Februar besuchte. Er hatte sich zuvor über den aktuellen Stand berichten lassen, wie aus einem internen Bericht des Regierungspräsidiums Stuttgart hervorgeht.
Trotz dieses Wissens hat Hauk im April veranlasst, ein Zwangsgeld gegen den Schlachthof-Betreiber auszusetzen. Das Landratsamt hatte dieses verhängt und weitere angedroht – gerade wegen der mangelhaften Betäubung der Schweine mit Strom. Hauk erklärt den Zwangsgeld-Stopp mit der Corona-Pandemie: Er habe sicherstellen wollen, dass das Fleisch im Land nicht knapp werde.
In Gärtringen gab es laut Bericht zwar Fehler bei der Betäubung. In solchen Fällen müsse nachbetäubt werden, betont ein Sprecher Hauks. Ob es Probleme mit der Nachbetäubung gab, steht aber nicht im Bericht. „Klar ist im Rückblick: Wären die durch die Soko Tierschutz dokumentierten Verstöße schon im März bekannt gewesen, wären von allen Beteiligten andere Entscheidungen getroffen worden. Dann hätte kein Zwangsgeld verhängt werden dürfen, sondern dann wäre damals eine Schließung des Schlachthofs erfolgt“, so Hauks Sprecher.
Der SPD-Abgeordnete Weber lässt das nicht gelten. „Ich fühle mich gewaltig hinters Licht geführt“, sagt er – gerade in Bezug auf die Mängelliste bei der Betäubung in den Schlachthöfen. „Konkret heißt das, dass Tiere bei Bewusstsein geschlachtet werden. Ich weiß nicht, was ein schwerwiegenderer Verstoß sein sollte gegen den Tierschutz, als dass Lebewesen bei Bewusstsein getötet werden.“
Ähnlich äußert sich Thekla Walker von den Grünen. „Dass es zu so einer hohen Rate an Fehlbetäubungen kommt, schockiert mich. Das ist ein erheblicher Mangel, der ist tierschutzrelevant, das hätte schon vor einem Jahr bekannt gemacht werden müssen.“Walker spricht von einem „gravierenden Verstoß gegen das Tierwohl, wenn nicht richtig betäubt wurde“. Das betont sie auch in einem Brief, den sie Hauk am Freitag geschickt hat.
Überrascht zeigt sich auch die Tierschutzbeauftragte des Landes, Julia Stubenbord, deren Stabsstelle in Hauks Ministerium angesiedelt ist. Bisher sei sie hauptsächlich von Verstößen bei der Dokumentation und der Eigenkontrolle in den Betrieben
ausgegangen. „In dem mir jetzt vorliegenden Dokument werden auch grobe Fehler in den allgemeinen Abläufen, mit dem Handling der Tiere, beziehungsweise bei der Betäubung und Tötung sowie der Betäubungsgeräte an sich und baulicher Gegebenheiten beschrieben“, stellt sie fest. „Man muss betonen, dass tierschutzrechtliche Mindestanforderungen im Zusammenhang mit dem Schlachten von Tieren getroffen wurden, um die Tiere vor Schmerzen, Leiden oder unnötigen Schäden zu bewahren.“Das betreffe auch bauliche Vorgaben. „Die fehlende Umsetzung baulicher Maßnahmen geht also immer mit der Gefahr einher, den Tieren unnötiges Leid zuzufügen.“
Der FDP-Abgeordnete Klaus Hoher wirft Hauk „Versagen auf ganzer Linie“vor. Die Mängel seien schlimm. „Minister Hauk macht es schlimmer, indem er die untragbaren Missstände und sein Fehlverhalten vor der Öffentlichkeit leugnet und das Parlament belügt!“, so Hoher. Auch SPD-Mann Weber nimmt Hauk ins Visier. „Es wird noch die Frage nach persönlichen Konsequenzen gestellt werden müssen.“