Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Von der Wiege bis zur Bahre
Ellen Matzdorf ist dabei, wenn das Leben beginnt und wenn es endet – Sie ist Hebamme und Bestatterin
OLDENBURG (dpa) - Masha ist zwar schon ein gutes halbes Jahr alt, ihre Mama Ramona Perthold nimmt aber immer noch die Beratung ihrer Hebamme Ellen Matzdorf in Anspruch. „Sie gibt Tipps, die man braucht“, sagt Ramona Perthold. Normalerweise kommt Matzdorf zu Mutter und Tochter nach Hause, heute passt es aber besser, sich woanders zu treffen: in ihrem Beerdigungsinstitut „Stern Bestattungen“. Denn Matzdorf ist nicht nur seit 25 Jahren Hebamme, seit vier Jahren ist sie auch Bestatterin.
Die 57-Jährige weiß, dass ihre Berufskombination ungewöhnlich klingt. Doch für sie ergibt das Sinn: „Beruflich hat sich ein Kreis geschlossen.“Stephan Neuser, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Bestatter, sagt: „Das wird sicherlich die absolute Ausnahme bleiben.“Trotzdem sieht auch er nur einen scheinbaren Gegensatz. Schließlich hätten beide Berufe mit den sensibelsten Punkten des Lebens zu tun. „Entscheidend ist, dass die Menschen sich in einer emotionalen Ausnahmesituation sicher, qualifiziert und fachgerecht aufgehoben und begleitet fühlen“, sagt Neuser.
Wäre Ellen Matzdorf nicht Hebamme geworden, wäre sie wohl jetzt auch nicht Bestatterin. Denn: „Leben und Tod liegen sehr nah beieinander“, sagt sie. Und manchmal kommt der Tod bereits, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat. Als Hebamme erlebte sie, wie
Kinder während einer späten Schwangerschaft im Mutterleib starben. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen begleitete Matzdorf solche Geburten gerne. „Obwohl die Situation für die Mütter emotional extrem belastend ist, haben wir trotzdem manch richtig schöne Geburt erlebt“, erzählt sie.
Nach solchen Geburten setzte sie sich dafür ein, dass die Eltern die toten Kinder mit nach Hause nehmen durften – was nicht üblich war. „Zuhause können sie in aller Ruhe Abschied nehmen.“
Hebamme wurde Matzdorf erst mit über 30. Davor war sie persönliche Assistentin eines Schwerstbehinderten. „Ich habe eine Woche rund um die Uhr gearbeitet und hatte dann eine Woche frei“, erzählt sie. Als sie schwanger wurde, war klar, dass sie den Job mit Kind nicht weitermachen konnte. Ihr kam die Idee,
Hebamme zu werden. Sie machte die passende Ausbildung und arbeitete freiberuflich. „Ich empfinde es nach wie vor als Privileg, dass Familien mich aussuchen, sie beim Start in einen neuen Lebensabschnitt begleiten zu dürfen.“
Sie eröffnete das erste Geburtshaus in Oldenburg, bot Hausgeburten an und begleitete Gebärende ins Krankenhaus. „Ich fand es immer wichtig, dass Frauen wählen dürfen, wo sie ihr Kind bekommen.“Vor fünf Jahren machte sie ihr Geburtshaus trotzdem dicht. Es ging finanziell nicht mehr. Sie ist nicht die einzige: Bundesweit schließen immer mehr Geburtshäuser, weil die Haftpflichtbeiträge für die Geburtshilfe stetig steigen. Außerdem seien die bürokratischen Anforderungen größer geworden, sagt Matzdorf: „Die Arbeit ging immer weiter weg von dem, was Hebammen eigentlich tun.“
Sie betreute weiter freiberuflich Schwangere und Mütter im Wochenbett. Gleichzeitig schaute sie sich nach einem zweiten Standbein um.
„Mit meiner Erfahrung, dass Schwangerschaften nicht immer gut laufen, hat der Tod für mich Normalität bekommen“, sagt sie. Und so begann sie diverse Praktika bei Bestattungsunternehmen. Dort sah sie auch, wie ein Bestatter eng mit einer Hebamme zusammenarbeitete. „Das hat mich sehr berührt und inspiriert“, sagt sie. „Ich dachte mir: Was die beiden zu zweit können, kann ich allein.“
Der Beruf der Bestatterin ist nicht geschützt, man muss keine Ausbildung durchlaufen. Ellen Matzdorf eignete sich alles selbst an und kaufte einen gebrauchten Bestattungswagen. „In blau, das war mir wichtig“, sagt sie. Räume mietete sie zunächst nicht an, Leichname können auch in öffentlichen Leichenhallen gekühlt werden.
Zunächst wollte sie nur Familien mit verstorbenen Kindern betreuen – damit kannte sie sich aus. Sie informierte Kinderärzte und Gynäkologen über ihr Angebot. Daraufhin bekam sie eine Mail vom Vater eines Kleinkindes, das bald sterben würde. Sie half der Familie über die schwere Zeit, begleitete das Kind in den Tod, organisierte die Beerdigung gemeinsam mit der Familie, ließ Eltern und Geschwister den Sarg bemalen. „Es hat sich gezeigt: Ich kann das“, sagt Matzdorf, „aber es war auch eine echte Herausforderung. Wenn ein Kind stirbt, bricht alles zusammen.“Nach der Beerdigung fragte die Mutter Matzdorf, ob sie ihre Hebamme sein möchte – die Frau war wieder schwanger.
Weil alles gut lief, konnte sich Matzdorf schließlich doch vorstellen, auch erwachsene Tote zu beerdigen. 2019 mietete sie Räume an, in die nun Ramona Perthold und Masha gekommen sind. Dir Räume sind hell, haben große Fensterfronten – früher war hier ein Blumenladen. Ramona Perthold hat mit den Räumlichkeiten, in denen Urnen und Särge ausgestellt sind, kein Problem. „Ellen ist eine Hebamme, wie man sie sich als Mutter vorstellt“, sagt sie. „Sie ist sehr herzlich und verständnisvoll. Sie hat eine sehr ruhige Art.“
Matzdorf sagt, müsste sie sich heute entscheiden, entweder den einen oder den anderen Beruf – sie könnte es nicht. „Hebamme ist meine Berufung, aber als Bestatterin fühle ich mich jetzt genauso berufen.“