Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Einschulungsuntersuchung fällt weitgehend aus
Gesundheitsamt setzt auf Erfahrung und Kooperation der Pädagogen – Kein Kind soll ungesehen bleiben
BODENSEEKREIS - Die Corona-Pandemie stellt vieles auf den Kopf – auch die Arbeit im Gesundheitsamt. Deutlich wird das beispielsweise bei den Einschulungsuntersuchungen (ESU), die seit März auf Eis liegen. Eigentlich eine Pflichtaufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Diese so genannte Schuleingangsuntersuchung ist im Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg geregelt.
Normalerweise macht sich ein Amtsarzt bereits im vorletzten Kindergartenjahr ein Bild von den künftigen Erstklässlern. Wie steht es mit der Seh- und Hörfähigkeit? Was macht die Feinmotorik? Diese und viele weitere Fragen stehen im Mittelpunkt der Einschulungsuntersuchung. Sie sollen helfen, rechtzeitig gesundheitliche Einschränkungen und Entwicklungsverzögerungen aufzudecken. Denn werden die Probleme früh erkannt, lassen sich rechtzeitig vor dem Schulbeginn Behandlungen oder Fördermaßnahmen einleiten.
In Deutschland müssen alle Kinder vor der Einschulung einmal zum Schularzt um körperlich und kognitiv durchgecheckt zu werden. Eigentlich. Denn der Umgang mit der aktuellen Pandemie hat viele Gesundheitsämter in den Ausnahmezustand katapultiert. Die Bewältigung der Pandemie hat oberste Priorität. Und so steht es auch im Bodenseekreis in den Sternen, wann die sozialmedizinischen Assistentinnen diese Routinetätigkeit wieder vollständig aufnehmen können.
„Weitere Untersuchungen des ESU-Jahrgangs 2020/2021 finden, wenn möglich, nur bei besonderen Fragestellungen statt“, heißt es in einem Brief des Landratsamts Bodenseekreis an die betreffenden Eltern. Das bedeutet, nicht alle Schulanfänger sind untersucht worden. Und auch der nächste Jahrgang wird wohl eher sporadisch unter die Lupe genommen. Denn das Amt schreibt: „Wir gehen derzeit davon aus, dass aufgrund der anhaltenden CoronaPandemielage auch der ESU-Jahrgang 2021/2022 nur bei besonderen Fragestellungen untersucht wird.“
Eingeschult werden die Kinder natürlich trotzdem – obwohl die Untersuchung verpflichtend ist. Doch welche Folgen haben mögliche Ausfälle für die Kinder und die Schulen? Anders als früher, geht es bei den Untersuchungen nicht mehr darum, dass die Kinder ihre Schulreife demonstrieren. Im Mittelpunkt steht heute der Aspekt, den Entwicklungsstand des Kindes festzustellen und die Chancen aller Kinder auf einen gelungenen Schulstart zu verbessern.
Die Erziehungswissenschaftlerin Helga Kelle, die zu Schuleingangsuntersuchungen geforscht hat, beruhigt: Aus pädagogischer Sicht sei es nicht unbedingt bedenklich, wenn die Eingangsuntersuchungen in diesem Jahr teils ausfallen müssten. Auch das Gesundheitsamt weist darauf hin, dass Kinder mittlerweile eng beobachtet werden: „Die pädagogischen Fachkräfte der Einrichtungen begleiten und beobachten die Kindergartenkinder während des gesamten Kindergartenjahrs und haben den verpflichtenden Auftrag, die Entwicklung ihrer Schützlinge schriftlich festzuhalten.“Kinder, die vor der Einschulung keinen Kindergarten besuchen, bekommen auf jeden Fall eine Einschulungsuntersuchung im Gesundheitsamt.
Zudem gebe es schon vor den Einschulungsuntersuchungen zahlreiche Termine wie etwa die Sprachstandserhebung oder die Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9 der Kinderärzte, bei denen Besonderheiten registriert werden können. „Es ist also nicht so, dass die Kinder ungesehen bleiben“, schreibt das Gesundheitsamt auf Nachfrage der SZ.
Auch im Rahmen des Kinderschutzes und der Frühen Hilfen gebe es zahlreiche Maßnahmen, bei denen noch vor der Schule präventiv auf Kinder geschaut werde, ergänzt das Sozialministerium Baden-Württembergs. „Viele Schulen und Kitas arbeiten zudem beim Übergang eng zusammen und tauschten sich über die Kinder aus.“Die pädagogischen Fachkräfte seien darüber hinaus auch geschult, eventuelle Förderbedarfe eigenständig zu erkennen. Es sei deshalb unwahrscheinlich, so ein Sprecher des Sozialministeriums, dass Kinder erst bei der Einschulungsuntersuchung auffallen.
Gleichzeitig betont das Ministerium, wie wichtig die Untersuchungen auch im Rahmen des Kinderschutzes ist und spricht sich klar für die Wiederaufnahme der Pflichtaufgabe aus, sobald es die Situation zulässt. So lange sollen vor Ort „pragmatische Lösungen für die Priorisierung der noch zu untersuchenden Kinder in der Zusammenarbeit von Gesundheitsamt und den Kindertageseinrichtungen und Schulen gefunden werden, indem die vorliegenden Unterlagen gesichtet und die Daten erfasst und bewertet werden.“