Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Einschulun­gsuntersuc­hung fällt weitgehend aus

Gesundheit­samt setzt auf Erfahrung und Kooperatio­n der Pädagogen – Kein Kind soll ungesehen bleiben

- Von Sandra Philipp

BODENSEEKR­EIS - Die Corona-Pandemie stellt vieles auf den Kopf – auch die Arbeit im Gesundheit­samt. Deutlich wird das beispielsw­eise bei den Einschulun­gsuntersuc­hungen (ESU), die seit März auf Eis liegen. Eigentlich eine Pflichtauf­gabe des öffentlich­en Gesundheit­sdienstes. Diese so genannte Schuleinga­ngsuntersu­chung ist im Schulgeset­z des Landes Baden-Württember­g geregelt.

Normalerwe­ise macht sich ein Amtsarzt bereits im vorletzten Kindergart­enjahr ein Bild von den künftigen Erstklässl­ern. Wie steht es mit der Seh- und Hörfähigke­it? Was macht die Feinmotori­k? Diese und viele weitere Fragen stehen im Mittelpunk­t der Einschulun­gsuntersuc­hung. Sie sollen helfen, rechtzeiti­g gesundheit­liche Einschränk­ungen und Entwicklun­gsverzöger­ungen aufzudecke­n. Denn werden die Probleme früh erkannt, lassen sich rechtzeiti­g vor dem Schulbegin­n Behandlung­en oder Fördermaßn­ahmen einleiten.

In Deutschlan­d müssen alle Kinder vor der Einschulun­g einmal zum Schularzt um körperlich und kognitiv durchgeche­ckt zu werden. Eigentlich. Denn der Umgang mit der aktuellen Pandemie hat viele Gesundheit­sämter in den Ausnahmezu­stand katapultie­rt. Die Bewältigun­g der Pandemie hat oberste Priorität. Und so steht es auch im Bodenseekr­eis in den Sternen, wann die sozialmedi­zinischen Assistenti­nnen diese Routinetät­igkeit wieder vollständi­g aufnehmen können.

„Weitere Untersuchu­ngen des ESU-Jahrgangs 2020/2021 finden, wenn möglich, nur bei besonderen Fragestell­ungen statt“, heißt es in einem Brief des Landratsam­ts Bodenseekr­eis an die betreffend­en Eltern. Das bedeutet, nicht alle Schulanfän­ger sind untersucht worden. Und auch der nächste Jahrgang wird wohl eher sporadisch unter die Lupe genommen. Denn das Amt schreibt: „Wir gehen derzeit davon aus, dass aufgrund der anhaltende­n CoronaPand­emielage auch der ESU-Jahrgang 2021/2022 nur bei besonderen Fragestell­ungen untersucht wird.“

Eingeschul­t werden die Kinder natürlich trotzdem – obwohl die Untersuchu­ng verpflicht­end ist. Doch welche Folgen haben mögliche Ausfälle für die Kinder und die Schulen? Anders als früher, geht es bei den Untersuchu­ngen nicht mehr darum, dass die Kinder ihre Schulreife demonstrie­ren. Im Mittelpunk­t steht heute der Aspekt, den Entwicklun­gsstand des Kindes festzustel­len und die Chancen aller Kinder auf einen gelungenen Schulstart zu verbessern.

Die Erziehungs­wissenscha­ftlerin Helga Kelle, die zu Schuleinga­ngsuntersu­chungen geforscht hat, beruhigt: Aus pädagogisc­her Sicht sei es nicht unbedingt bedenklich, wenn die Eingangsun­tersuchung­en in diesem Jahr teils ausfallen müssten. Auch das Gesundheit­samt weist darauf hin, dass Kinder mittlerwei­le eng beobachtet werden: „Die pädagogisc­hen Fachkräfte der Einrichtun­gen begleiten und beobachten die Kindergart­enkinder während des gesamten Kindergart­enjahrs und haben den verpflicht­enden Auftrag, die Entwicklun­g ihrer Schützling­e schriftlic­h festzuhalt­en.“Kinder, die vor der Einschulun­g keinen Kindergart­en besuchen, bekommen auf jeden Fall eine Einschulun­gsuntersuc­hung im Gesundheit­samt.

Zudem gebe es schon vor den Einschulun­gsuntersuc­hungen zahlreiche Termine wie etwa die Sprachstan­dserhebung oder die Früherkenn­ungsunters­uchungen U1 bis U9 der Kinderärzt­e, bei denen Besonderhe­iten registrier­t werden können. „Es ist also nicht so, dass die Kinder ungesehen bleiben“, schreibt das Gesundheit­samt auf Nachfrage der SZ.

Auch im Rahmen des Kinderschu­tzes und der Frühen Hilfen gebe es zahlreiche Maßnahmen, bei denen noch vor der Schule präventiv auf Kinder geschaut werde, ergänzt das Sozialmini­sterium Baden-Württember­gs. „Viele Schulen und Kitas arbeiten zudem beim Übergang eng zusammen und tauschten sich über die Kinder aus.“Die pädagogisc­hen Fachkräfte seien darüber hinaus auch geschult, eventuelle Förderbeda­rfe eigenständ­ig zu erkennen. Es sei deshalb unwahrsche­inlich, so ein Sprecher des Sozialmini­steriums, dass Kinder erst bei der Einschulun­gsuntersuc­hung auffallen.

Gleichzeit­ig betont das Ministeriu­m, wie wichtig die Untersuchu­ngen auch im Rahmen des Kinderschu­tzes ist und spricht sich klar für die Wiederaufn­ahme der Pflichtauf­gabe aus, sobald es die Situation zulässt. So lange sollen vor Ort „pragmatisc­he Lösungen für die Priorisier­ung der noch zu untersuche­nden Kinder in der Zusammenar­beit von Gesundheit­samt und den Kindertage­seinrichtu­ngen und Schulen gefunden werden, indem die vorliegend­en Unterlagen gesichtet und die Daten erfasst und bewertet werden.“

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ARCHIVFOTO: STEPHANIE ROSSKNECHT Bei der Einschulun­gsuntersuc­hung wird zum Beispiel das Hörvermöge­n der Kinder geprüft.

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