Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Corona-Steigerung gibt den Fachleuten Rätsel auf
Auf manche wichtige Fragen gibt es auch aus dem Landratsamt keine umfassende Antwort
Erkenn, wo du stehst, wo du hinwillst. Mach deinen Plan. Und dann geh! (Ken Cadiganm *1953, US-amer. SF-Autorin)
Bei Beurteilung der politischen Ereignisse kann als Regel dienen, dass hinter allem, was den Anschein des Unverfänglichen hat, ein geheimer Plan steckt, wogegen das, was planmäßig zu sein scheint, gewöhnlich keinen Hintergrund hat als die vollkommenste Gedankenlosigkeit. (Franz Grillparzer, 1791 – 1872, österr. Dichter)
Wenn ich durch die Straßen gehe / Und etwas Neues, Schönes sehe / Weis' ich stolz darauf: / Das hat mein Freund getan! / Mein Freund, der Plan! (Walter Ulbricht, 1893 – 1973, DDR-Politiker)
Sie planen Bosheit: Wir haben es erreicht!. Der Plan ist gut geplant! (Ps 64,7)
Leo, Andrea, Andreas
Bundestagspräsident Philipp Jenninger hält 1988 zum Jahresgedenken der Reichskristallnacht 1938 eine Rede vor dem Parlament. Der schon vor der Rede unabhängig von ihrem Inhalt geplante Protest führt zum Rücktritt Jenningers am darauffolgenden Tag.
LINDAU - Die Zahl der Coronafälle im Landkreis Lindau steigt deutlich stärker als in anderen Teilen Bayerns. Die Bürger sind beunruhigt. Und auch die Fachleute können nicht alle Fragen umfassend beantworten.
Warum steigt die Zahl der Coronafälle in Lindau sehr viel stärker als in anderen Landkreisen?
Nur in Augsburg sowie in Stadt und Landkreis Rosenheim gab es in der vergangenen Woche in Bayern mehr Coronafälle als im Kreis Lindau. Andere Landkreise, die früher hohe Fallazhlen hatten, wie das Berchtesgadener Land oder Rottal-Inn, haben es inzwischen geschafft, die Steigerung bei den Neuansteckungen zu bremsen. Warum das Bremsen in Lindau nicht gelingt, das kann auch das Landratsamt nicht beantworten. Auf Anfrage der SZ verweist Pressesprecherin Sibylle Ehreiser auf steigende Zahlen in ganz Bayern. Dass Lindau „leider zu den Spitzenreitern“bei der Sieben-Tage-Quote zählt, könne man nicht mit einem bestimmten Ereignis erklären, „sondern es handelt sich weiterhin um viele unterschiedliche Infektionsherde“. Ehreiser verweist darauf, dass mittlerweile auch acht Schulen im Landkreis betroffen seien. Vor allem diese Fälle würden aufgrund der oftmals vielen Kontakte, die ermittelt werden müssen, die Ressourcen im Fachteam des Gesundheitsamts binden. „Dieses arbeitet mit Hochdruck an sieben Tagen die Woche und bis spät in die Abendstunden daran, dem Infektionsgeschehen gerecht zu werden.“
Reichen die Bemühungen der Menschen im Landkreis Lindau? Auf die Frage, ob die Menschen im Landkreis Lindau ihre Kontakte in ausreichendem Maß eingeschränkt haben, antwortet Ehreiser: „Dies können wir nicht beurteilen.“Sie wiederholt den Appell an jeden, „in der nächsten Zeit mit möglichst wenig Freunden, Verwandten, Nachbarn usw. Kontakt zu haben und immer den Mindestabstand einzuhalten“.
Können oder sollten die Bürger noch mehr tun?
Auf die Frage, ob die Bürger im Landkreis noch mehr tun können, um die weitere Ausbreitung von Corona zu bremsen, verweist Ehreiser auf die bekannten AHA-Regeln: „Es gilt, die bekannten Regeln (Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Mindestabstand, allgemeine Hygieneregeln, wenige Kontakte) konsequent umzusetzen.“Leider sei immer wieder festzustellen, dass Menschen die Mund-Nasen-Bedeckungen nicht richtig tragen, weil sie zum Beispiel die Nase nicht vollständig bedecken. „Das alleinige Bedecken des Mundes ist nicht ausreichend, da eine Verbreitung des Virus auch über die aus Nase abgegebene Atemluft erfolgen kann.“Sie appelliert deshalb an alle, „die Masken immer korrekt zu tragen.“
Wie ist die Lage in Vorarlberg? Jenseits der Grenze sind die Zahlen noch weitaus höher als im Kreis Lindau. Die Sieben-Tage-Quote liegt bei 662, Spitzenreiter war am Freitag der Bezirk Dornbirn mit 904. Auch dort sind Behörden ratlos, weil das Infektionsgeschehen diffus ist. Die Menschen stecken sich vor allem im privaten Umfeld und bei der Arbeit an. Weil zunehmend ältere Menschen betroffen sind, füllen sich die Kliniken. Von 51 Intensivbetten waren am Freitag 28 mit Corona-Patienten belegt. Laut Landesregierung lagen 145 Menschen in Krankenhäusern.
Weil die Behörden sich sorgen, dass die Zahl der Klinikbetten nicht ausreicht, lassen sie ein Notversorgungszentrum in einer Messehalle in Dornbirn einrichten. Im Frühjahr wurden die Betten letztlich nicht benötigt, jetzt aber lässt sich die Regierung den neuerlichen Aufbau 300 000 Euro kosten. Der Aufbau wird etwa zwei Wochen dauern, dann stehen zwei Stationen mit jeweils hundert Betten bereit. Die Betten sind in Kojen für jeweils zwei Patienten aufgeteilt. Für jedes Bett steht eine Sauerstoffversorgung zur Verfügung, dafür wird im Außenbereich ein Tank installiert. Geeignet ist das Notversorgungszentrum, das vom Landeskrankenhaus in Bregenz betrieben wird, für Patienten, die in eine Klinik müssen, aber keine Intensivstation brauchen. Im Notfall kann das Land Vorarlberg zu den bestehenden 51 kurzfristig weitere 53 Beatmungsplätze in Intensivbetten aufrüsten.
Wie ist der Grenzübergang geregelt?
Einige Anrufer haben am Freitag bei der SZ ihre Sorge darüber geäußert, dass Vorarlberger das Virus in den Landkreis Lindau tragen und damit verantwortlich seien dafür, dass es in Lindau deutlich mehr Coronafälle gibt als in anderen Kreisen der Region. Dafür gibt es keine Belege. Allerdings wendet sich auch Landrat Elmar Stegmann seit Tagen dagegen, dass der Freistaat Bayern ab Montag, 9. November, die Beschränkungen für Vorarlberger löst, die dann wieder uneingeschränkt zum Einkaufen oder für Freizeittätigkeiten nach Lindau kommen dürfen. Das war zuletzt verboten, auch wenn sich wegen mangelnder Kontrollen einige Vorarlberger daran nicht gehalten haben. Nichts geändert hat sich für Berufspendler, die einmal pro Woche einen Coronatest machen müssen.
Warum sollen Mädchen und Jungen in den Schulen Abstand halten, wo sie das in überfüllten Bussen gar nicht können?
Auch das ärgert einige SZ-Leser: Sie berichten, dass die Schulbusse vor den Ferien so voll gewesen seien, dass an Abstand nicht zu denken war. Das mache die in den Schulen strikt einzuhaltenden Abstandsregeln lächerlich. Das Landratsamt verweist auf Anfrage der SZ darauf, das seit Beginn des Schuljahres zusätzliche Busse im Einsatz sind. Einige Linien seien verstärkt worden. „Mit diesen zusätzlichen Bussen haben wir die Kapazitäten ausgeschöpft, da weiteres Personal und Fahrzeuge nicht zur Verfügung stehen“, schreibt Ehreiser, die zudem erwartet, dass weniger Schüler die Busse nutzen, weil ein Teil der Mädchen und Jungen nicht täglich in den Schulen unterrichtet werden. Ehreiser ergänzt, dass es zudem beim Landratsamt bisher nur eine Beschwerde über eine überfüllte Buslinie im Westallgäu gegeben habe. In Lindau hätten sich bisher weder Eltern, noch Schulen oder die Busunternehmen entsprechend beschwert.