Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Handspiel der unerhörten Art
Artjom Dsjuba, Kapitän der russischen Fußballauswahl, muss um seine Karriere bangen
ST. PETERSBURG - Sportlich war der Skandal eigentlich schon ausgestanden. Am Sonntag schoss Artjom Dsjuba den Siegtreffer für Zenit St. Petersburg gegen FK Krasnodar, wurde danach zum Spieler des Tages ernannt und gab diesen Ehrentitel an einen Mitspieler weiter, dessen Vater gerade gestorben war. Feine Geste eines 32-Jährigen, der in Russland seit der Heim-WM als Sport-Idol gilt. Damals schoss er sein Land mit drei Treffern ins Viertelfinale und wurde zum Fußballer des Jahres gewählt. In 47 Länderspielen traf er stolze 26-mal.
Doch das Idol bröckelt. Am Vortag war im russischen Internet ein peinliches Video aufgetaucht, es zeigt den Fußballer nackt, er befriedigt sich selbst. Smartphone-Sex nennt man so etwas. Für den Spieler geriet es zum öffentlichen Schandfleck, der nicht mit einem Tor und einer feinen Geste abzuwaschen war. Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow gab bekannt, er werde seinen Kapitän und Mittelstürmer nicht zu den nächsten Spielen einladen. Das Team müsse sich mit maximaler Konzentration vorbereiten. „Um die Mannschaft wie auch den Spieler selbst vor überflüssigen Negativreaktionen zu bewahren“, verzichte man auf Dsjuba. Der brauche Zeit, um in sich zu gehen, bei seiner Familie zu sein.
Andrej Sosin, Ethikfunktionär des russischen Fußballverbandes, erklärte, die „Sbornaja“könne ja nicht so tun, als sei nichts passiert. „Das mag auch für Artjom besser sein, viele sagen, er sei müde, nicht besonders fit.“Es bleibe eine große Frage, ob Dsjuba sich von diesem Imageschaden erholen werde.
Ganz offensichtlich, dass Dsjuba nach Ansicht der russischen Fußballverantwortlichen etwas sehr Schlimmes getan hat. Etwas, über das sich jetzt halb Russland ereifert. „Dsjuba hat Hand gespielt“, witzelt das Massenblatt „Moskowski Komsomoljez“. Der Goalgetter selbst bat um Verzeihung: „Ich bin schuldig, kann niemand anderem Vorwürfe machen. Aber ich bin nicht perfekt – wie jeder andere auch. Ich mache Fehler. Wir sind alle Sünder, leider. Ich kann mich nur schämen“, schrieb er in den sozialen Medien. Dabei wurde das Skandalvideo offenbar von Hackern aus seinem Smartphone gestohlen.
Fürsprecher Dsjubas verweisen darauf, er sei in dieser Affäre Opfer, nicht Täter. Vor allem liberale Kreise machen Front für ihn. Popstar Sergei Lasarew und Star-Moderator Andrei Malachow fotografierten sich ebenso nackt und in lasziver Pose – unter dem Hashtag: #IchWirDsjuba.
Auch diese Solidaritätskampagne wirkt irgendwie schräg. Dsjuba wird wie jemand beschuldigt und verteidigt, der etwas Ungeheuerliches getan hat. Dabei hat er niemanden sexuell missbraucht, nicht mal belästigt. Aber Dsjuba hat Hand an sich gelegt. In Russland ist Selbstbefriedigung noch immer eine abgrundtiefe Peinlichkeit. Nur absolute Loser, schreibt der Bestsellerautor Sergei Minajew in seinem Kultroman „Duchless“, säßen verängstigt im Gebüsch und masturbierten. Das Land lebt im Spagat zwischen sexueller Ausschweifung und Verklemmtheit, Roman Popow, Chefredakteur der Boulevardzeitschrift „Tainy Swjosd“, spricht von Heuchelei.
Tatsächlich erinnert sich die Öffentlichkeit plötzlich an alte Sünden Dsjubas. Der Ehemann und zweifache Vater wurde einmal ertappt, als er mit einer TV-Moderatorin herumknutschte. Ein andermal filmte jemand mit, als er bei einer Kabinenfeier mit einem Mannschaftskameraden eine Begattung simulierte. Aber all das verzieh man dem WM-Helden von 2018, im Gegensatz zum fatalen Griff ans eigene Gemächt.
Zenit-Generaldirektor Alexander Medwedew meinte, dass nun alles von Dsjuba selbst abhänge, aus der schwierigen Lage herauszukommen. „Eine persönliche Information des Stürmers ist zum Allgemeingut und zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung geworden, was so nicht sein sollte.“Dsjuba sagte, er hoffe, sein Leben in Würde weiterzuführen.