Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Neue Regeln für den Kampf gegen die Corona-Pandemie
Bundestag und Bundesrat verabschieden überarbeitetes Infektionsschutzgesetz – Was das für die Bürger bedeutet
BERLIN - Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz, das Bundestag und Bundesrat am Mittwoch verabschiedet haben, sollen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eine solidere gesetzliche Grundlage bekommen. Worum es in dem Gesetz geht und woran sich Kritik entzündet hat.
Was wird zu Schutzmaßnahmen festgeschrieben?
Im Gegensatz zu vorher werden nun im neuen Paragrafen 28a penibel Schutzmaßnahmen gegen Corona aufgelistet, die aus der Praxis der vergangenen Wochen längst bekannt sind: etwa Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebot, Mund-Nasen-Bedeckung, das Verbot von Kultur- und Sportveranstaltungen, Beherbergungsverbote, Beschränkungen für den Einzel- und Großhandel oder auch Alkoholverkaufsverbote. Allerdings lässt die vorangestellte Formulierung, notwendige Maßnahmen könnten „insbesondere“die aufgeführten 17 Punkte sein, eine Hintertür für weitere Verbote. Bisher war im Gesetz nur allgemein von „notwendigen Schutzmaßnahmen“die Rede gewesen, die die zuständige Behörde treffen könne. Zudem steht nun im Gesetz, dass einzelne Personen oder Gruppen nicht vollständig isoliert werden dürfen.
Regeln für Ausrufen der Notlage Klarer ist nun auch, was mit einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“gemeint ist, die die Maßnahmen überhaupt erst ermöglicht: Entweder ruft die Weltgesundheitsorganisation eine internationale Notlage aus oder es breitet sich in Deutschland eine bedrohliche Lage über mehrere Länder aus.
Wie könnten Einschränkungen umgesetzt werden?
Angeordnet werden Schutzmaßnahmen weiterhin durch Verordnungen der Länder sowie bei Zuständigkeit auch des Bundes. Dabei wird noch einmal ausdrücklich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingewiesen. Zudem müssen neben Gesundheitsaspekten auch soziale und wirtschaftliche Folgen geprüft werden. Weiterhin müssen Einschränkungen künftig immer befristet sein und die Regierenden müssen den Parlamenten eine Begründung vorlegen, warum die jeweilige konkrete Maßnahme erforderlich ist. Einschränkungen von Demonstrationen oder von Gottesdiensten sollen nur dann zulässig sein, wenn es dafür zur Pandemieabwehr keine Alternative gibt. Diese Arten von Veranstaltungen schützt die Verfassung ganz besonders.
Endet der oft kritisierte Flickenteppich bei Corona-Maßnahmen? Auch künftig wird es unterschiedliche Verordnungen auf Länderebene geben. Allerdings erwartet die Koalition eine größere Einheitlichkeit zumindest bei den Kriterien für angeordnete Maßnahmen. Ausdrücklich genannt wird im Gesetz als Schwellenwert für Schutzmaßnahmen die Zahl von 35 beziehungsweise 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen.
Bekommen die Parlamente mehr Mitspracherechte?
Mit der Forderung nach einem Parlamentsvorbehalt, also einem Recht von Bundestag oder Landtagen, Verordnungen
zumindest im Nachhinein wieder zu kassieren, konnte sich die SPD nicht durchsetzen. Insofern bleibt es bei Informationsrechten und der Begründungspflicht. Allerdings dürfte es für Regierungen schwer sein, sich über ein anderslautendes Parlamentsvotum hinwegzusetzen.
Was wird für die im kommenden Jahr erwarteten Impfungen und für die Tests festgelegt?
Geregelt wird die Priorisierung von Impfungen: Zuerst sollen Menschen aus Risikogruppen und Beschäftigte im Gesundheitswesen und anderen als besonders wichtig eingestuften Bereichen geimpft werden. Auf längere Sicht sollen Impfungen jedem offenstehen. Diese sind freiwillig. Impfzentren sollen nach dem Willen der Bundesregierung bundesweit bis zum 15. Dezember einsatzbereit sein. Um mehr Corona-Tests machen zu können, sollen künftig auch veterinärund zahnmedizinische Labore in Anspruch genommen werden können. Besonders gefährdete Menschen wie chronisch Kranke können einen Anspruch auf besondere Schutzmasken erhalten.
Was wird für Urlaubs-Rückkehrer aus Risikogebieten geregelt? Sie erhalten anders als bisher keinen Verdienstausfall, wenn sie nach der Rückkehr aus dem Urlaub in Quarantäne
müssen. Das Gesetz regelt zudem die digitale Einreiseanmeldung und die Pflicht, den Aufenthaltsort in den zehn Tagen vor und nach der Rückkehr anzugeben. Wer allerdings aus einem Risikogebiet nach Deutschland einreist, muss eine Untersuchung auf eine Corona-Infektion „dulden“. Bus, Bahn und Fluggesellschaften sind verpflichtet, Reisende aus Risikogebieten im Ausland, die keinen negativen Test oder keine Nachweise für eine Impfung vorweisen können, nicht zu befördern
Was ist noch vorgesehen? Fortgeführt wird die Regelung, dass Eltern einen Verdienstausfall erhalten, wenn ihr Kind in Quarantäne muss. Neu festgelegt werden Kriterien für Ausgleichsansprüche von Krankenhäusern, die Betten für Corona-Kranke freihalten.
Was kritisiert die Opposition? FDP-Fraktionschef Christian Lindner sprach von einer „Aufzählung von Freiheitseinschränkungen“, deren Anordnung nicht einmal an konkrete Situationen gebunden sei. „Der Entwurf gibt keine Leitplanken vor, sondern stellt im Gegenteil den Regierenden einen Freifahrschein aus“, sagte Lindner. Es sei eine demokratische Grundsatzfrage, dass niemals Regierungen über solche massiven Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte entscheiden dürften, kritisierte der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte. Für die AfD nannte deren parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann das Gesetz eine „Ermächtigung“für die Regierung – eine Anspielung auf das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten 1933. Anders als FDP, AfD und die Linke stimmten die Grünen der Regierungsvorlage zu. Es sei kein perfektes Gesetz, aber es sei notwendig, sagte ihre Obfrau im Rechtsausschuss, Manuela Rottmann. Es lege die Grundlage dafür, dass „gut begründete Maßnahmen einer gerichtlichen Kontrolle standhalten.