Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das Morgenland im Abendland
Brian A. Catlos erzählt die Geschichte des Islam in Spanien
Dieses Buch hat zwei anregende Texte: Vorwort und Nachwort. Brian A. Catlos zeichnet in seinem Buch die „Geschichte des islamischen Spanien“nach. In Vor- und Nachwort geht es darum, wie man diese Geschichte erzählen kann. Und wie sie erzählt worden ist. Diese Narrative, also die Möglichkeiten, Geschichte zu erzählen, haben nicht nur die Vergangenheit im Blick. Sie zielen auf die Gegenwart.
Und was für die politische Geschichte gilt, trifft auch für die Geschichte der beiden Weltreligionen zu, die sich in Spanien – je nachdem, wie man das sehen will – begegneten, einander gegenüberstanden oder bekämpften. Die Wahl der Formulierung hängt davon ab, auf welche Region man genauer schaut oder welchen Zeitrahmen man sich setzt. Und ob man sich auf Kriegszeiten oder Friedensperioden konzentriert. Je nachdem lässt sich die Geschichte eines machtvollen Ringens inszenieren, mit heldenhaften Eroberern oder Verteidigern, die so glaubenswie waffenfest sind. Oder aber man beschwört ein Zauberland aus konfessioneller Eintracht und Kaffeeduft.
Beim friedfertigeren Narrativ bekommt man ein Problem mit dem Pogrom. Denn auf die Blütezeit des multikulturellen, monotheistischen Miteinanders im Kalifat von Córdoba (929-1031), also unmittelbar im Anschluss an die Epoche, in der die islamische Herrschaft im Westen ihre größte Ausdehnung erreichte und Wissenschaft, Wirtschaft und
Ackerbau in Blüte standen, folgt 1066 das erste Pogrom gegen Juden auf europäischem Boden.
Die ganze Geschichte, in denen das heutige Spanien in unterschiedlicher Ausdehnung und Durchdringung islamisch war, also die Zeit zwischen 700 und 1600, ist nicht zu trennen von den allgemeinen Einschätzungen des Islam. Auch nicht von der Grobsortierung in Morgenland und Abendland, die unser Geschichtsbild geprägt hat. Und schon gar nicht von weltanschaulichen Perspektiven auf den „Kampf der Kulturen“oder einem multikulturellen „Zusammenleben“.
Gerade diese Alternative, die heute als Wahrnehmungsmuster so virulent ist, gehörte bereits in eine Kontroverse der spanischen Geschichtswissenschaft um 1950, die sich am Begriff „Zusammenleben“festmachte. Leider gönnt sich Catlos – und damit seinem Lesepublikum – nur einen kurzen Hinweis darauf. Aber ohne zu wissen, wie es zu diesem Denkschema von Gegeneinander und Miteinander gekommen ist, lässt sich sein eigenes Bemühen gar nicht würdigen, die Geschichte des islamischen Spanien verstehen zu wollen.
Catlos lehrt an der Universität in Boulder in den USA Religionswissenschaften und beschäftigt sich mit Muslimen im christlichen Mittelalter und den Kulturen des Mittelmeerraumes. Sein Buch „al-Andalus“ist das historische Buch eines Religionswissenschaftlers, der bei seiner Arbeit an der „Geschichte des islamischen Spanien“zu der Einsicht gelangt, dass sich seine eigentliche Disziplin, die Religionswissenschaft, dabei als völlig nachrangig erweist. Die Religionen sind dabei kein relevanter Faktor, schreibt Catlos. Auch wenn ihre Rolle immer wieder wie ein „opernhaftes“Spektakel inszeniert werde. Eine Formulierung, die einen glauben lässt, er hätte Erdogans Rückeroberung der Hagia Sophia in Istanbul vorausgeahnt, die nun zum Abschluss der international finanzierten Bauarbeiten erfolgt ist, mit denen das Bauwerk vor dem Kollaps seiner Statik bewahrt wurde.
Catlos nimmt jegliche Zielgerichtetheit aus seiner Beschreibung heraus. Er lässt die Geschichte des Islam im Westen als Ansammlung von Einzelereignissen erscheinen – und den Effekten, die sich daraus ergeben haben. Was im islamischen Spanien an Kooperationen entstanden ist, waren in dieser Sicht der Dinge lediglich überkonfessionelle Zweckbündnisse, die sich gegen die politischen oder wirtschaftlichen Konkurrenten des gleichen Glaubens richteten. Leider banalisiert Catlos dieses spezifische Muster unnötig dadurch, dass er es als „Pragmatismus im Alltag“tituliert. Es gehe, schreibt er, dabei nicht um Werte, sondern um Zweckmäßigkeit. Und was in Spanien auf diese Weise in den Phasen des Miteinanders gelungen ist, hält er nicht für ein Verdienst der Religionen. Im Gegenteil: Es sei ein Miteinander, das der „religiösen Differenzen zum Trotz“entstanden ist.
Catlos entwickelt quasi eine Theorie des Durchwurstelns. Am plausibelsten wird sie, wenn er für die Zeit nach 700 die islamische Eroberung Spaniens beschreibt. Dessen Bevölkerung umfasste damals vorrömische Bewohner, Römer, Kelten und die vom Norden eingewanderten Westgoten. Sie alle mussten sich zwangsläufig mit den über Nordafrika per Schiff angereisten Arabern zusammenraufen. Die brachten fürs schlichte Kriegshandwerk Berber aus Nordafrika mit, die dann auch die Eroberung zügig vorantrieben: systematische Plünderungen südlich der Pyrenäen, strategisch geplante Beutezüge bis in die Mitte des heutigen Frankreichs. Unter diesen Rahmenbedingungen gab es vieles, was Identität stiften konnte: ethnische Gemeinschaften, die Zugehörigkeit zu arabischen Familienclans, die sich mal als strategische Partner, mal als konkurrierende Rivalen aufführten, soziale Stände, Lebensformen oder Berufsgruppen. Religion erscheint da ein Kriterium unter vielen. Und so habe sich der Islam in Spanien weniger durch Zuwanderung ausgebreitet als durch Übertritte. Dabei entstand eine Gesellschaft, die auf Klientelverhältnissen beruhte: Die Nähe zur neuen arabischen Oberschicht wurde ausschlaggebend für Überleben und wirtschaftlichen Erfolg.
Dem Niveau dieses Konzepts, das Catlos im Vor- und Nachwort mit so erstaunlich leichter Hand entwirft, halten die 400 Seiten, die dazwischen liegen, nicht stand. Die fast 1000 Jahre des Islams in Spanien werden in einer Weise referiert, als wären da weit schlichtere Gemüter am Werk gewesen.
Brian A. Catlos: al-Andalus, Beck, München, 490 Seiten, 29,95 Euro.
C.H.