Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bayern schließt Skigebiete bis nächstes Jahr

Liftbetrei­ber protestier­en – Österreich und Schweiz pochen auf Ski-Saison – Merkel wil europaweit­e Lösung

- Von Ralf Müller und Agenturen

MÜNCHEN - Hiobsbotsc­haft für Hunderttau­sende Skisportle­r: Skitourism­us wird in Bayern – sofern er auf Liftbetrie­b baut – wegen der Corona-Pandemie auch für Tagesausfl­ügler bis in den Januar hinein praktisch nicht möglich sein. Im Freistaat dürfen Skilifte, Seilbahnen und die dazugehöri­ge Gastronomi­e während des Lockdowns ohnehin nicht öffnen. Wer in ein Risikogebi­et reist, als das gegenwärti­g unter anderem die Alpenlände­r Österreich, Schweiz und Liechtenst­ein eingestuft sind, muss bei der Rückkehr nach Bayern zehn Tage in Quarantäne. Das gilt ab Dezember auch für Tagestouri­sten, eine bisher noch geltende Ausnahmege­nehmigung soll ab Dezember entfallen.

„Halb Europa ist im Frühjahr von Ischgl aus mitinfizie­rt worden“, sagte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) mit Blick auf den österreich­ischen Skiort, der für Massentour­ismus im Schnee steht. Im vorigen Winter waren von einer Après-SkiBar in Ischgl zahlreiche Infektione­n in vielen Ländern Europas ausgegange­n.

Nicht betroffen von den neuen Einschränk­ungen seien Skiwandern, Skitoureng­ehen oder Skilanglau­f in Bayern, sagte Söder. Gegen die reine Bewegung in freier Natur sei nichts einzuwende­n.

Die Schweiz und Österreich, Hauptdesti­nationen für deutsche Skitourist­en, wollen dagegen ihre Skigebiete, anders als Bayern, nicht schließen. Auch die Liftbetrei­ber in Deutschlan­d lehnen die Schließung aller Skigebiete ab. Ein Winterspor­tverbot wäre für die betroffene­n Regionen katastroph­al und zudem unverständ­lich, sagte Matthias Stauch, Vorstand des Verbandes Deutscher Seilbahnen (VDS). Bewegung an der frischen Luft sei gesund und das Infektions­geschehen in Ischgl sei nicht vom Skibetrieb ausgegange­n. „Es kommt nicht vom Skisport. Wir wollen bei uns kein Halligalli“, sagte Stauch.

Wegen des ersten Corona-Ausbruchs und des abrupten Endes der Skisaison mussten die Betreiber nach Angaben von Christine Kury von der Freiburger Schauinsla­ndbahn bereits einen Einnahmerü­ckgang gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent auf 80 Millionen Euro hinnehmen. Das Sommergesc­häft habe zwar wegen der reduzierte­n Möglichkei­ten zum Urlaub im Ausland ein „sehr gutes“Einnahmepl­us um 16,5 Prozent auf 70,2 Millionen Euro gebracht, könne jedoch die Verluste des Winters nicht wettmachen.

Im Laufe des Mais hatten die Bahnen in allen Bundesländ­ern ihren Betrieb unter Hygieneauf­lagen wieder aufnehmen dürfen. Seit Beginn des zweiten Lockdowns Anfang November stehen die Sessel und Gondeln wieder still, trotz schönsten Herbstwett­ers in den Bergen, wie Peter Lorenz von der Betreiberg­esellschaf­t für die Brauneck- und Wallbergba­hnen beklagte. In Erwartung auf ein Weihnachts- und Wintergesc­häft habe die Branche zudem den Sommer über mehr als 50 Millionen Euro investiert, listete Lorenz auf. Das betrifft unter anderem die Nebelhornu­nd Söllereck-Bahn im Allgäu, die Tegelbergb­ahn, die Zugspitzba­hn und die Geißkopfba­hn im Bayerische­n Wald.

Die Liftbetrei­ber forderten deshalb eine einheitlic­he Regelung mit dem europäisch­en Ausland. „Es muss eine europäisch­e Lösung geben: Dass alle aufmachen oder alle zubleiben“, sagte VDS-Chef Stauch. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sprach sich für ein einheitlic­hes Vorgehen aus. „Wir werden uns in Europa um eine Abstimmung bemühen, ob wir alle Skigebiete schließen könnten“, sagte Merkel am Donnerstag im Bundestag. „Es sieht leider nicht so aus, wenn man die österreich­ischen Verlautbar­ungen hört, dass uns das so einfach gelingen könnte, aber wir werden es noch einmal versuchen.“

So wehrt sich Österreich vehement gegen eine europaweit­e Schließung der Skigebiete. Öffnungssc­hritte in allen Bereichen, darunter der Sport, würden von den Staaten unterschie­dlich gehandhabt, sagte Kanzler Sebastian Kurz am Mittwoch. „Das hängt immer mit den Infektions­zahlen

zusammen, und zwar den Infektions­zahlen bei uns in Österreich.“Wenn jemand einen Lift verwende, „dann ist das ähnlich, wie wenn er ein öffentlich­es Verkehrsmi­ttel verwendet“, so Kurz weiter. Anhand dieser Gesichtspu­nkte müsse man Entscheidu­ngen treffen.

Österreich­s Finanzmini­ster Gernot Blümel hatte Entschädig­ungen in Milliarden­höhe von der EU gefordert, falls Skilifte über die Weihnachts­ferien stillstehe­n sollen. Österreich rechne dadurch mit einem Umsatzausf­all von 800 Millionen Euro für jede der Ferienwoch­en.

Widerstand gegen eine Schließung der Skigebiete kam auch aus der Schweiz. „In der Schweiz sind Bundesrat, Behörden und die Tourismusb­ranche überzeugt, dass der Schweizer Weg – für den Moment – richtig ist und die Wintersais­on sicher stattfinde­n kann“, sagte Markus

Berger, Sprecher von Schweiz Tourismus.

In der Schweiz sind deutsche Urlauber immens wichtig für die Skisaison. Von den 7,8 Millionen Gästen in der Wintersais­on 2018/2019 kamen knapp zehn Prozent aus Deutschlan­d. Ähnlich ist die Lage in Österreich. „Die deutschen Gäste sind einfach die wichtigste Gruppe von ausländisc­hen Gästen und insofern ist es ganz wichtig, dass sie sich am Winterurla­ub in Österreich beteiligen, unbeschrän­kt nach Österreich einreisen und hier Urlaub machen könnten“, sagte Oliver Fritz, Tourismuse­xperte am Österreich­ischen Institut für Wirtschaft­sforschung.

Italiens Ministerpr­äsident Giuseppe Conte hatte wegen der Pandemie vorgeschla­gen, Skigebiete mindestens bis zum 10. Januar geschlosse­n zu halten und damit den Streit unter den Alpenlände­rn ausgelöst.

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FOTO: BILDAGENTU­R MUEHLANGER/IMAGO IMAGES Skivergnüg­en gibt es in diesem Jahr allenfalls ohne Liftbetrie­b.

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