Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Zweifel an Wohnbauprojekt von Eriskircher Gemeinderat
Wohnungen statt Büros und vollendete Tatsachen am Bau – Tobias Plümer wehrt sich gegen Vorwürfe
ERISKIRCH - Drei Mehrfamilienhäuser mit 30 Wohnungen, zwei Büroeinheiten sowie ein Café. Das ist der Plan aus dem Jahr 2016 für ein circa 3200 Quadratmeter großes Grundstück der Gemeinde in der „Neuen Mitte“im Eriskircher Ortsteil Schlatt. Den Zuschlag für das Projekt erhielt die Baufirma Plümer Wohnbau GmbH von Gemeinderat und CDU-Fraktionsvorsitzendem Tobias Plümer. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die Zusage, Wohnungen für Menschen mit Behinderung, Gewerbe und Gastronomie in den Häusern unterzubringen. Ob diese eingehalten wird, daran gibt es in der Gemeinde nun Zweifel. Eines der Häuser ist schon bezogen, das zweite noch im Bau und über das dritte wurde ein Baustopp verhängt. Plümer sieht keinen Grund für den Vorwurf, er habe sich im Verfahren etwas erschlichen.
Über eines der drei Häuser, das Haus C, hat die Bauverwaltung des Gemeindeverwaltungsverbands einen Baustopp für das Erdgeschoss verhängt. Zwei Dinge seien ihnen am Gebäude aufgefallen, die so nicht genehmigt waren, erklärt Fachbereichsleiter Christoph Metzler: „Statt zwei vorgesehenen Büroeinheiten im Erdgeschoss sind drei Einheiten entstanden. Wie diese genutzt werden sollen, ist uns noch nicht klar. Der Baustopp wurde verfügt, bevor sie bezogen werden konnten.“Eine weitere Baugenehmigung müsse erteilt werden, bevor an Haus C weiter gebaut werden könne.
Auch sei die Höhe des Erdgeschosses geringer als geplant und genehmigt, erklärt Metzler. Ob das auf eine andere Nutzung als vorgesehen hindeuten könnte, das könne er nicht sagen.
Für das Haus B, an dem derzeit noch die größte Baustelle zu sehen ist, sei erst kürzlich die Baufreigabe für das geplante Café erteilt worden. „Wir gehen davon aus, dass das Café auch kommt. Auch bei den darüber geplanten Wohnungen gehen wir davon aus, dass das inklusive Wohnen noch kommt“, so Metzler.
Die drei Häuser gehören zum Kerngebiet der Gemeinde. Reine Wohngebäude sind in diesem Gebiet eigentlich nicht erlaubt. Die drei
Häuser werden allerdings als Gesamtprojekt betrachtet, deswegen sei das eine Wohnhaus rein mit Wohnfläche in Ordnung. Sollte ein weiteres allerdings auch nur für Wohnungen genutzt werden, müsste der Gemeinderat einen neuen Bebauungsplan für das Gebiet erlassen, erklärt Metzler.
Das ursprüngliche Konzept mit Café, Büroeinheiten und vor allem dem inklusiven Wohnen sei gut, sagt Bürgermeister Arman Aigner. Er wünsche sich, dass das Projekt genau so wie geplant und genehmigt umgesetzt werde. Dass ein Café in Haus B gebaut werden soll sowie dauerhafte, inklusive Wohnungen, sei rechtlich im Vertrag der Gemeinde mit der Baufirma aber nicht gesichert. Dieser wiederum wurde 2017 noch von Aigners Vorgänger Markus Spieth aufgesetzt und wenige Tage vor der Amtsübergabe unterschrieben.
Das Schriftwerk habe er intern rechtlich noch einmal prüfen lassen, sagt Aigner. Anlass dafür sei eine Anfrage des Bauträgers gewesen, einen
Teil des Gebäudes anderweitig, also die Büroeinheiten als Wohnungen nutzen zu können. Er sei nicht mit allen Regelungen des Vertrags einverstanden und distanziere sich davon, erklärt der Bürgermeister. „Wir haben keine Handhabe als Gemeinde, wenn es sich der Investor anders überlegt. Das Café ist noch nicht gebaut und inklusive Wohnungen werden erst solche, wenn wirklich Menschen mit Handicap einziehen“, so Aigner. Der Vertrag sei nicht zum Wohle der Gemeinde geschlossen worden.
Der Kaufpreis von 380 Euro pro Quadratmeter sei um 40 Euro auf 340 Euro pro Quadratmeter im Verkaufsverfahren vom Gemeinderat reduziert worden. Grund dafür: das besondere Konzept. Damit habe die Gemeinde auf eine erhebliche Summe von gut 130 000 Euro verzichtet. „Und nun ist nicht klar, ob das Vorhaben wie vereinbart umgesetzt wird“, so Aigner.
Sein Wunsch, so der Bürgermeister: „Der Eigentümer sollte nachträglich den Betrieb, nicht nur die Errichtung, der inklusiven Wohnungen und der Gastronomie ins Grundbuch eintragen lassen. Das hat er bisher noch nicht getan.“Das Vertrauen in die Zusammenarbeit zum Wohle der Gemeinde mit dem CDU-Fraktionschef sei derzeit nicht mehr vorhanden. Vor allem, da eine Schadenersatzforderung über 60 000 Euro aus dem Grundstückserwerb bei der Gemeinde eingegangen sei. Dabei gehe es um eine Bodenverunreinigung, die Mehrkosten bei den Bauarbeiten verursacht habe. „So lange das nicht geklärt ist, ist es schwierig mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden über andere Sachthemen zu sprechen.“
Er selbst habe nichts mit dem Vertragsabschluss zu tun gehabt, so Aigner. Aber er habe den Vertrag auch
Arman Aigner Bürgermeister Eriskirch lange nicht geprüft, weil er bis zur Anfrage, die Einheiten umnutzen zu dürfen, keinen Anlass dafür gesehen habe. Doch nun seien durch den Bau der drei Einheiten, statt der genehmigten zwei, Fakten geschaffen worden.
„Als der Baubeginn 2018 nicht wie genehmigt eingehalten wurde, hätten wir als Gemeinde vom Vertrag zurücktreten können. Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass wir in einem freien Wettbewerb deutlich mehr für das Grundstück hätten erhalten können“, so der Bürgermeister. Doch unterschrieben sei der Vertrag nun mal, und „wir als Gemeinde halten uns natürlich auch daran“.
Der Gemeinderat habe den Kaufvertrag mit Tobias Plümer bereits 2016, also einige Monate vor der Unterzeichnung, beraten und beschlossen, sagt Markus Spieth, ehemaliger Bürgermeister von Eriskirch. Im Vertrag sei damals festgeschrieben worden, dass neun inklusive Wohnungen gebaut werden müssen, zwei Büros und ein Café. Auch die Gestaltung der Außenfassade wurde festgehalten, so Spieth. Im Grundbuch seien außerdem ein Wiederkaufsrecht der Gemeinde und eine Vertragsstrafe festgeschrieben worden. Ein Bürgermeister habe nur das Recht dazu, genau das in einen Vertrag zu schreiben, was der Gemeinderat beschließt, nicht mehr und nicht weniger. Das habe er getan. Über eine Betriebssicherung sei nicht beraten worden. „Die Grundsicherungen im Grundbuch wurden nach meiner Amtszeit, gelöscht“, sagt Spieth. Der Eigentümer habe ein Recht auf Löschung, und zwar jeweils nach Verkauf der fertig gebauten Einheiten. „Zwei Gebäude sind aber noch im Bau und ich habe momentan keinen Anlass zu zweifeln, dass die inklusiven Wohnungen, Büros und das Café nicht wie vorgesehen kommen“, so der ehemalige Bürgermeister.
In der Entscheidung, sich für den Entwurf von Plümer und Architektin Tanja Scheibitz auszusprechen, waren sich die Fraktionen in der Ratssitzung
2016 durchweg einig. „Wir durften akzeptable Planungsentwürfe sehen. Letztlich hat uns der soziale Aspekt mit inkludiertem Wohnen überzeugt“, meinte Thilo Reiss (CDU), mittlerweile aus dem Gremium ausgeschieden, damals dazu.
Gisela Walzer (FWV), ebenfalls nicht mehr im Rat, forderte, die festgelegten Vorgaben, wie die Einbindung einer Gastronomie, die Bevorzugung einheimischer Mieter oder Käufer oder auch das Modell des integrativen Wohnens, vertraglich festzuschreiben, um vor Überraschungen gefeit zu sein.
Auf der Internetplattform immobilio.de findet sich derzeit eine Wohnung in Gebäude B zum Kaufpreis von rund 415 000 Euro. Beschrieben wird in der Anzeige, dass diese Wohnung im Rahmen des inkludierten Wohnens in Eriskirch zum Kauf angeboten werde. Für die ersten zehn Jahre solle ein Mietvertrag mit einer Behinderteneinrichtung vereinbart werden, um eine Wohngemeinschaft mit behinderten Menschen zu ermöglichen. Die Höhe des Mietpreises werde sich am Mietspiegel der Gemeinde orientieren, heißt es in der Anzeige weiter.
Die Stiftung Liebenau habe mit der Firma Plümer vereinbart, dass sie sechs Wohnungen anmietet, fünf mal eine Ein- und einmal eine ZweiZimmer-Wohnung. Das teilt Sprecherin Anne Luuka auf Anfrage mit. Diese Wohnungen würden dann weiter vermietet an sieben Menschen mit Unterstützungsbedarf im so genannten „Ambulant Betreuten Wohnen“. Alle Wohnungen seien barrierefrei. Die Mietverträge sollen über zehn Jahre laufen. Wenn der Bau pünktlich fertig wird, soll Mitte bis Ende 2021 der Bezug sein. Die Zahl der Wohnungen entspreche dem von der Stiftung Liebenau ermittelten Bedarf an Wohnungen für
Menschen mit Handicap in Eriskirch, so Luuka weiter.
Ursprünglich stehen neun inklusive Wohnung mit elf Plätzen im Gemeinderatsbeschluss für den Bau des Hauses. Dass sie dauerhaft als solche genutzt werden müssen, steht nicht im Grundbuch. Trotzdem würden Inklusionswohnungen bezogen werden, so Plümer: „Die Stiftung Liebenau wirbt auch mit den Wohnungen.“
Es sei richtig, dass er und sein Geschäftspartner Christoph Hartmann im Sommer bei der Gemeinde angefragt haben, ob diese die Umnutzung der beiden geplanten Büros in Wohnungen mittragen würde. „Für uns war die Verschiebung von ein paar Innenwänden baurechtlich nicht relevant. An der Größe des Hauses insgesamt ändert sich dadurch nichts“, erklärt Plümer. Dass es sich bei der Errichtung von dreien statt zwei Einheiten im Erdgeschoss um einen baurechtlichen Fehler handeln soll, sei ihnen nicht bewusst gewesen.
Sie hätten aufgrund des verhängten Baustopps über das Erdgeschoss das Gespräch mit der Bauverwaltung sowie mit der Gemeinde schon gesucht, allerdings sei nur die Bauverwaltung zu einem klärenden Gespräch bereit, so Plümer. Die Vermarktung von Büroeinheiten sei sehr schwierig, in einem Nachbargebäude eines anderen Bauträgers sei der Versuch vor Kurzem gescheitert und die geplanten Büroeinheiten seien nun Wohnungen, sagt Plümer. Dieses Gebäude steht allerdings im sogenannten Misch- und nicht im Kerngebiet der Gemeinde, wo andere Regeln gelten.
„Ausschlaggebend für unser Konzept sind die inklusiven Wohnungen sowie die Gastronomie, die wir auf jeden Fall bauen werden. Die Büros sind nur dem geschuldet, dass das
Tobias Plümer CDU-Fraktionsvorsitzender
Grundstück als Kerngebiet eingestuft ist“, so der Gemeinderat weiter.
Der Verdacht steht allerdings im Raum, dass die Umnutzung von Büros in Wohnungen auf höhere Einnahmen abzielt. Vom gemeinsamen Gutachterausschuss mit Sitz in Friedrichshafen heißt es, dass Wohnungen oft einfacher und schneller zu vermarkten seien als Büros.
Ein Blick in den Mietpreisspiegel der IHK Bodensee-Oberschwaben zeigt Quadratmeterpreise für die Vermietung von Gewerberäumen, die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2018. Für Friedrichshafen wird eine Nettokalt-Mietpreisspanne pro Quadratmeter Bürofläche von 8 bis 11,50 Euro angegeben, für Langenargen 7 bis 9 Euro. Eriskirch wird nicht separat aufgelistet. Auf der Immobilienseite immobilienscout24.de wird eine Dreieinhalb-ZimmerWohnung im Obergeschoss im Haus C mit einem deutlich höheren Quadratmeter-Mietpreis von 14,90 Euro angeboten. Im selben Haus sollten die Büroeinheiten im Erdgeschoss auf Wunsch des Investors in Wohnraum umgewandelt werden.
Er sehe keinerlei Grund, warum ihm vorgeworfen werden könnte, dass er sich beim Kauf des Grundstücks oder beim Bau der Gebäude etwas erschlichen habe, sagt Plümer. Bei den Beratungen zum Kaufvertrag in nicht-öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats sei er befangen und darum auch nie anwesend gewesen. Von Kollegen aus dem Gemeinderat sei er nie darauf angesprochen worden, dass ihnen am Projekt etwas nicht gefalle, so wie es derzeit gebaut wird. Das Wort Schwarzbau treffe ihn persönlich sehr.
Das Grundstück an der Greuther Straße/Einmündung Schubertstraße mit 3244 Quadratmetern ist im Jahr 2017 für 1,1 Millionen Euro an sein Unternehmen verkauft worden. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von rund 339 Euro. In der Jahresrechnung 2018 ist der Grundstücksverkauf auch im Posten Sonderergebnis erkennbar. Im Herbst 2018 wurde ein weiteres Grundstück mit 2717 Quadratmetern am anderen Ende der Straße beim Supermarkt Netto an einen anderen Bauträger von der Gemeinde verkauft – allerdings weitaus teurer: Der Quadratmeterpreis lag dort bei 640 Euro. Auch dieser Verkauf ist dann in der Jahresrechnung 2019 im Posten Sonderergebnis erkennbar.
Die beiden Verkäufe könne man nicht miteinander vergleichen, sagen Plümer und Hartmann. Zum einen lägen sie zeitlich auseinander und der Wert des Grundstücks verändere sich im Laufe der Jahre, zum anderen sei das Verfahren ein völlig anderes gewesen. „Im Fall unseres Projekts hat das Gremium aufgrund unseres Konzepts einstimmig entschieden, beim zweiten Verkauf ging es darum, wer am meisten bietet“, so Plümer.
„Ich wage als ortsansässiger Unternehmer, dieses Projekt umzusetzen. Uns ist Regionalität beim Bau sehr wichtig. Außerdem wollen wir die mehrgeschossige Holzbauweise auf dem Markt etablieren“, so Plümer. Das sei die Intention der Wohnbau GmbH, nicht „Geld zu scheffeln“. Er sehe sein politisches Engagement und das Bauunternehmen komplett getrennt.
Sie würden mittlerweile davon absehen, die Büros in Wohnungen umwandeln zu wollen, so Plümer und Hartmann: „Wenn die Büros dann leerstehen, stehen sie eben leer.“Der Plan nun: zwei Büros und eine Wohnung im Erdgeschoss.
„Der Kaufvertrag ist nicht zum Wohle der Gemeinde vereinbart worden.“
„Bei den Beratungen zum Kaufvertrag war ich nicht anwesend.“