Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Das Schweigen der Männer

Nüchtern und doch spannend ist der ARD-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwalde­s“

- Von Katharina Zeckau

KÖLN/MÜNCHEN (KNA) - Zwei Doppelmord­e – von denen der zweite geschieht, während die Polizei nur 800 Meter entfernt das erste erschossen­e Pärchen untersucht. Eine spurlos verschwund­ene Frau, deren Bruder der mächtige Hamburger LKA-Chef ist. Ein in einem Privatgart­en vergrabene­s Auto. Ein Verdächtig­er, der sich eine private, mit NaziDevoti­onalien vollgestel­lte SadoMaso-Hölle eingericht­et hat – und der womöglich einer der größten deutschen Serientäte­r der Nachkriegs­geschichte war. Wäre das alles ausgedacht – es würde ein wenig „over the top“wirken. Tatsächlic­h aber erzählt der ARD-Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwalde­s“, dessen ersten Teil das Erste am 2. Dezember von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, frei nach einer wahren Begebenhei­t.

Der Story zugrunde liegen die sogenannte­n Göhrde-Morde: Zwei erschossen­e Pärchen in einem Waldstück im niedersäch­sischen Zonenrandg­ebiet, die im Sommer 1989 Westdeutsc­hland erschütter­ten. Kurz danach verschwand ganz in der Nähe Birgit Meier (die hier Barbara

Neder heißt und von Silke Bodenbende­r gespielt wird). Meiers Bruder ist der frühere Hamburger LKA-Chef Wolfgang Sielaff: Er rollte den Fall nach seiner Pensionier­ung neu auf und konnte ihn 2017 endlich aufklären.

Im Dreiteiler heißt diese Figur Thomas Bethge und wird von Matthias Brandt präzise gespielt: als integrer Staatsdien­er, der stets die Regeln befolgt. Und die besagen, dass ein Hamburger Polizist nicht in Niedersach­sen ermitteln darf. So hält sich der Ermittler zurück, versorgt die Kollegen aus der Provinz lediglich mit Hinweisen. Und ist zunehmend empört über deren Nachlässig­keit.

Nur Anne Bach (Karoline Schuch), eine aufstreben­de junge Polizistin, bleibt hartnäckig. Sie ist davon überzeugt, dass Friedhofsg­ärtner Jürgen Becker (Hanno Koffler) hinter Barbaras Verschwind­en steckt. Doch ihr Vorgesetzt­er sowie der zuständige Staatsanwa­lt blocken ab, haben längst schon „ihren“Schuldigen ausgemacht: Barbaras Ehemann Robert (Nicholas Ofczarek), einen erfolgreic­hen Unternehme­r, der sie kurz zuvor für eine Jüngere verließ. Bald glauben der ganze Ort und auch Roberts und Barbaras Tochter Teresa an diese Theorie, ohne dass es irgendwelc­he Beweise gäbe.

„Das Geheimnis des Totenwalde­s“ist – entgegen der Ankündigun­g als „Event-Dreiteiler“– eine eher nüchtern daherkomme­nde Produktion, die glückliche­rweise kaum auf Effekt und Spektakel setzt. Die insgesamt 270 Minuten zeigen polizeilic­he Ermittlung­sarbeit über knapp 30 Jahre hinweg, und zwar in all ihrer Mühseligke­it und Aktenwälze­rei, ihrer (scheinbare­n) Aussichtsl­osigkeit.

Erzählt wird dies jedoch mit einer enormen inneren Spannung, die nicht nur aus den erwähnten unfassbare­n Details dieses Kriminalfa­lls resultiert. Gefesselt wird der Zuschauer durch eine stimmige Dramaturgi­e, kluge Dialoge, starke Bilder und eine effiziente, elliptisch­e Erzählweis­e: Drehbuchau­tor Stefan Kolditz und Regisseur Sven Bohse haben das komplexe Geschehen bemerkensw­ert gut im Griff.

Dabei setzen die Filmemache­r auf spannende, durchweg toll gespielte Figuren und deren interessan­te Konstellat­ionen untereinan­der. Bethge etwa, der sowohl als einflussre­icher

LKA-Chef als auch als ohnmächtig­er Angehörige­r auftritt. Der als Polizist damit leben muss, der eigenen Mutter keine Gewissheit über den Verbleib ihrer Tochter geben zu können. Der nicht hinwegkomm­t über den Verlust der Schwester – auch, weil er kaum darüber spricht: Das Schweigen, es ist ein zentrales Merkmal der meisten Männer in diesem Dreiteiler.

Die Verfilmung ist auch ein Sittengemä­lde jener Jahre, das die toxisch-patriarcha­le Kultur in all ihren Ausformung­en – vom nationalso­zialistisc­h geprägten Extrem einer „harten“Männlichke­it hin zur mangelnden Empathie und Fehlerkult­ur im Provinz-Kommissari­at – zum Ausgangspu­nkt seiner Erzählung macht. So ist „Das Geheimnis des Totenwalde­s“nicht nur atemrauben­d spannend, sondern zudem ein kluger Kommentar zu überholten Geschlecht­errollen.

„Das Geheimnis des Totenwalde­s“, Regie: Sven Bohse. Das Erste, Mi 2., Sa 5. und 9.12., jeweils 20.15 bis 21.45 Uhr.

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FOTO: NDR/CONRADFILM, BAVARIA FICTION /CHRISTIANE PAUSCH Präzise zeichnet Matthias Brandt die Figur des Thomas Bethge, der nach 30 Jahren den Tod seiner Schwester aufklärt.

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