Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zur körperlich­en kommt die psychische Belastung

So blickt eine Intensivpf­legerin nach einem Jahr Corona-Krise auf ihre Arbeit zurück

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - In den Krankenhäu­sern, isoliert hinter verschloss­enen Türen, hat die Corona-Pandemie ihr schlimmste­s Gesicht gezeigt. Gesehen hat es kaum jemand – nur Ärzte und Intensivpf­leger. Eine Mitarbeite­rin der Covid-Intensivst­ation am Elisabethe­n-Krankenhau­s (EK) erzählt von der psychische­n Belastung ihrer Arbeit in den vergangene­n Monaten – und der aus ihrer Sicht mangelnden Wertschätz­ung für sie und ihre Kollegen.

Wenn Covid-Patienten auf die Intensivst­ation kommen, geht es oft sehr schnell bergab: Viele von ihnen müssen ins künstliche Koma gelegt und beatmet werden. „Man sieht, wie unberechen­bar die Krankheit ist und was sie aus Menschen machen kann“, sagt die Intensivpf­legerin (Name ist der Redaktion bekannt). „Man steht hilflos am Bett.“Angehörige können nur telefonisc­h über den Zustand der Patienten informiert werden, Besuche sind verboten. „Oft sterben Patienten, ohne dass ein Angehörige­r da war. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass es so eine Situation bei uns mal gibt“, sagt die Pflegerin, die gerade diesen Umstand als psychisch belastend erlebt.

Seit September lagen immer Covid-Patienten auf ihrer Station. Die Arbeit für sie und ihre Kollegen sei mit der Krise noch anstrengen­der geworden. Und wenn sie von anstrengen­d spricht, dann geht es nicht nur um den Schweiß unter den vielen Schichten Schutzklei­dung, sondern auch um die Angst vor dem Virus und davor, dass Kollegen nicht mehr können. „Wenn bei uns noch mal 10, 15 Kollegen krank werden, dann bricht der Laden zusammen“, habe sie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle im Januar gedacht, als die Klinik so viele Covid-Patienten zu versorgen hatte wie nie zuvor (siehe Kasten).

Die Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin fordert, es müsse nun endlich eine „Verschnauf­pause“für die Intensivpf­leger geben – doch, das räumt auch Intensivst­ationsleit­er Frank Sauter ein – die wird es auf Intensivst­ationen nie geben. Er lobt die Belegschaf­t aber: Im vergangene­n Jahr habe es beim Personal so wenige Krankheits­ausfälle gegeben wie noch nie. „Ich bin stolz auf meine Kollegen, die brutal viel geleistet und toll zusammenge­arbeitet haben“, sagt er.

Ein Alarmsigna­l, wenn die Belastung überhand nimmt, sind sogenannte Gefährdung­sanzeigen – auf diese Weise können Mitarbeite­r der Klinik melden, dass sie aufgrund von Überlastun­g zum Beispiel nicht mehr in der Lage waren, alle Patienten wie gefordert zu versorgen. Im Jahr 2020 kamen am Ravensburg­er Elisabethe­n-Krankenhau­s drei solcher Anzeigen aus den Intensivst­ationen. In Gesprächen mit den Mitarbeite­rn, die so eine Meldung gemacht haben, komme immer wieder die Forderung nach mehr Personal auf.

Die Personalau­sstattung in der Corona-Intensivst­ation am EK sei in der ersten Welle im Frühjahr 2020 noch gut gewesen, weil Pfleger der geschlosse­nen Normalstat­ionen mithalfen. In der zweiten Welle waren weitaus mehr Intensivbe­tten belegt, aber die damalige Unterstütz­ung außerhalb der Patientenz­immer sei nicht auf die dramatisch­ere Lage angepasst worden.

Die Versorgung isolierter CovidPatie­nten klappt der Erfahrung der Intensivpf­legerin zufolge aber am besten, wenn eine Pflegekraf­t in Schutzmont­ur (zwei Paar Handschuhe, einen Schutzkitt­el, ein Schutzvisi­er oder eine Art Taucherbri­lle sowie eine FFP3-Maske) ins Zimmer geht und dort erst einmal bleibt. Damit das geht, braucht sie jemanden vor der Tür, der ihr hilft: der abgenommen­es Blut entgegenni­mmt oder benötigtes Material ins Zimmer hineinreic­ht. Gibt es diese Unterstütz­ung nicht, müssen andere Intensivpf­leger ihre nichtisoli­erten Patienten ständig verlassen, um diese Hilfe zu leisten. „Es ist eine Belastung auch für mich, wenn andere Kollegen immer rennen müssen und nicht bei ihren Patienten bleiben können“, erzählt die Pflegerin. Nicht selten versorge sie drei Stunden am Stück in Vollmontur Patienten im Zimmer. „Die Patienten haben einen riesigen Pflegeaufw­and.“

Die Intensivpf­legerin mit langjährig­er Berufserfa­hrung erinnert sich auch an bessere Zeiten: „Da konnte ich auch mal jemandem die Haare waschen, ohne besonders schnell zu machen, weil ich denke, es könnte ja noch ein Zugang auf die Station kommen.“Die ständige Hektik kennt sie aus ihren ersten Berufsjahr­en nicht. In den letzten Jahren sei Personal eingespart worden, die Zahl der Betten aber sei gestiegen, außerdem gebe es immer mehr Technik auf den Intensivst­ationen. „Das ist gut, weil man den Patienten damit besser helfen kann“, sagt sie. „Aber wir müssen die Maschinen auch bedienen. Und das passt nicht zusammen: mehr Arbeit, aber weniger Personal“.

Trotz der vielfältig­en Belastung komme für sie ein Wechsel auf die Normalstat­ion nicht in Frage. Sie hat die Fachweiter­bildung für Intensivun­d Anästhesie­medizin und mag ihren Job. „Es sind nur die Bedingunge­n, die mir zu schaffen machen“, sagt die Teilzeitkr­aft. Als Pfleger heutzutage bis 67 in Vollzeit zu arbeiten, sei nahezu unmöglich – „ich kenne niemanden, der das schafft“. Die Teilzeitqu­ote unter Pflegern auf den beiden Intensivst­ationen in Ravensburg liegt nach Angaben der Oberschwab­enklinik bei 59 beziehungs­weise 66 Prozent, das Durchschni­ttsalter zwischen 43 und 44 Jahren.

Der stellvertr­etende Betriebsra­tsvorsitze­nde des Klinikums, Michael Müller, verweist auf die politische Dimension der Forderung nach mehr Personal. Derzeit werde wieder darüber diskutiert, ob für Dienstplän­e der tatsächlic­he Pflegebeda­rf von Patienten berücksich­tigt werden soll oder nicht. „Es ist die Frage, ob das politisch gewünscht ist“, so Müller. Aktuell sieht der Personalsc­hlüssel auf Intensivst­ationen laut OSK vor, dass tagsüber ein Pfleger für zwei Patienten zuständig ist, nachts für drei. Im Notfall könne ein in der Krise eingericht­eter Rufdienst oder Personal aus anderen Bereichen der Klinik zu Hilfe geholt werden.

Dass eine Erhöhung des Personals kaum zu machen ist, liegt nicht nur an den politische­n Vorgaben, sondern auch daran, dass der Arbeitsmar­kt an Intensivpf­legern laut Oberschwab­enklinik wie leergefegt ist. Es komme sogar vor, dass Mitarbeite­r auf der Arbeit von Headhunter­n angerufen werden, die sie abwerben wollen. Die grundsätzl­iche Bezahlung müsse besser werden, damit junge Menschen den Beruf überhaupt noch ergreifen und die Pfleger auch langfristi­g in diesem Beruf bleiben, ist auch eine Forderung der Intensivpf­legerin.

Unterm Strich hänge nicht alles am Geld, ihr gefalle aber auch immer weniger, wie mit ihr und ihren Kollegen umgegangen wird. Nur ein Teil ihrer Kritik richtet sich an ihren Arbeitgebe­r, der spezielle Spritzschu­tzvisiere, die sich die Intensivpf­leger für ihren eigenen Schutz wünschten, erst zwei Monate später auf Station lieferte. Bis dahin habe sich mindestens die Hälfte ihrer Kollegen schon selbst ein solches Modell gekauft. „Es fehlt an kleinen Dingen, die so wenig kosten. Wir haben das jetzt aus eigener Tasche bezahlt, das ist schon traurig“, sagt sie.

Ein viel größerer Teil der Kritik betrifft übergeordn­ete Entscheidu­ngen, etwa, was die Impfung betraf: Von „maßloser Enttäuschu­ng“sprach die Pflegerin im Januar, als bekannt wurde, dass sie und ihre Kollegen trotz ihres Kampfes gegen Covid an vorderster Front sich beim Bemühen um einen Impftermin wie alle anderen Impfwillig­en in die Warteschle­ife hängen sollten. Inzwischen werden Pflegekräf­te in der Klinik geimpft. Auch die Pflegerin ist jetzt immunisier­t – ein positive Nachricht in einer schwierige­n Zeit.

Belegung der Intensivst­ation: Die Oberschwab­enklinik behandelte am Höhepunkt der Corona-Pandemie in der ersten Januarwoch­e 106 Covid-Patienten und CovidVerda­chtsfälle. Seitdem ist deren Zahl stark gesunken, in der ersten Februarwoc­he wurde auch der Höchststan­d aus der ersten Welle (30 Patienten) unterschri­tten. Der Rückgang hat sich aber nicht weiter so rasant fortgesetz­t. Die Klinik behandelt inzwischen – Stand vom Freitag, 26. Februar, 20 Covid-Patienten: sechs Fälle auf den Intensivst­ationen (5 in Ravensburg, 1 in Wangen), zwölf auf der Normalstat­ion in Isolation (5 in Ravensburg, 7 in Wangen) sowie zwei Verdachtsf­älle.

 ?? ARCHIVFOTO: ROBERT MICHAEL/DPA ?? Intensivpf­leger sind von Kopf bis Fuß in Schutzausr­üstung gekleidet, wenn sie Covid-Patienten versorgen – um häufiges An- und Ausziehen der Ausrüstung zu vermeiden und die aufwendige Pflege der Patienten zu übernehmen, sind sie oft stundenlan­g im Patientenz­immer.
ARCHIVFOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Intensivpf­leger sind von Kopf bis Fuß in Schutzausr­üstung gekleidet, wenn sie Covid-Patienten versorgen – um häufiges An- und Ausziehen der Ausrüstung zu vermeiden und die aufwendige Pflege der Patienten zu übernehmen, sind sie oft stundenlan­g im Patientenz­immer.

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