Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Zur körperlichen kommt die psychische Belastung
So blickt eine Intensivpflegerin nach einem Jahr Corona-Krise auf ihre Arbeit zurück
RAVENSBURG - In den Krankenhäusern, isoliert hinter verschlossenen Türen, hat die Corona-Pandemie ihr schlimmstes Gesicht gezeigt. Gesehen hat es kaum jemand – nur Ärzte und Intensivpfleger. Eine Mitarbeiterin der Covid-Intensivstation am Elisabethen-Krankenhaus (EK) erzählt von der psychischen Belastung ihrer Arbeit in den vergangenen Monaten – und der aus ihrer Sicht mangelnden Wertschätzung für sie und ihre Kollegen.
Wenn Covid-Patienten auf die Intensivstation kommen, geht es oft sehr schnell bergab: Viele von ihnen müssen ins künstliche Koma gelegt und beatmet werden. „Man sieht, wie unberechenbar die Krankheit ist und was sie aus Menschen machen kann“, sagt die Intensivpflegerin (Name ist der Redaktion bekannt). „Man steht hilflos am Bett.“Angehörige können nur telefonisch über den Zustand der Patienten informiert werden, Besuche sind verboten. „Oft sterben Patienten, ohne dass ein Angehöriger da war. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass es so eine Situation bei uns mal gibt“, sagt die Pflegerin, die gerade diesen Umstand als psychisch belastend erlebt.
Seit September lagen immer Covid-Patienten auf ihrer Station. Die Arbeit für sie und ihre Kollegen sei mit der Krise noch anstrengender geworden. Und wenn sie von anstrengend spricht, dann geht es nicht nur um den Schweiß unter den vielen Schichten Schutzkleidung, sondern auch um die Angst vor dem Virus und davor, dass Kollegen nicht mehr können. „Wenn bei uns noch mal 10, 15 Kollegen krank werden, dann bricht der Laden zusammen“, habe sie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle im Januar gedacht, als die Klinik so viele Covid-Patienten zu versorgen hatte wie nie zuvor (siehe Kasten).
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin fordert, es müsse nun endlich eine „Verschnaufpause“für die Intensivpfleger geben – doch, das räumt auch Intensivstationsleiter Frank Sauter ein – die wird es auf Intensivstationen nie geben. Er lobt die Belegschaft aber: Im vergangenen Jahr habe es beim Personal so wenige Krankheitsausfälle gegeben wie noch nie. „Ich bin stolz auf meine Kollegen, die brutal viel geleistet und toll zusammengearbeitet haben“, sagt er.
Ein Alarmsignal, wenn die Belastung überhand nimmt, sind sogenannte Gefährdungsanzeigen – auf diese Weise können Mitarbeiter der Klinik melden, dass sie aufgrund von Überlastung zum Beispiel nicht mehr in der Lage waren, alle Patienten wie gefordert zu versorgen. Im Jahr 2020 kamen am Ravensburger Elisabethen-Krankenhaus drei solcher Anzeigen aus den Intensivstationen. In Gesprächen mit den Mitarbeitern, die so eine Meldung gemacht haben, komme immer wieder die Forderung nach mehr Personal auf.
Die Personalausstattung in der Corona-Intensivstation am EK sei in der ersten Welle im Frühjahr 2020 noch gut gewesen, weil Pfleger der geschlossenen Normalstationen mithalfen. In der zweiten Welle waren weitaus mehr Intensivbetten belegt, aber die damalige Unterstützung außerhalb der Patientenzimmer sei nicht auf die dramatischere Lage angepasst worden.
Die Versorgung isolierter CovidPatienten klappt der Erfahrung der Intensivpflegerin zufolge aber am besten, wenn eine Pflegekraft in Schutzmontur (zwei Paar Handschuhe, einen Schutzkittel, ein Schutzvisier oder eine Art Taucherbrille sowie eine FFP3-Maske) ins Zimmer geht und dort erst einmal bleibt. Damit das geht, braucht sie jemanden vor der Tür, der ihr hilft: der abgenommenes Blut entgegennimmt oder benötigtes Material ins Zimmer hineinreicht. Gibt es diese Unterstützung nicht, müssen andere Intensivpfleger ihre nichtisolierten Patienten ständig verlassen, um diese Hilfe zu leisten. „Es ist eine Belastung auch für mich, wenn andere Kollegen immer rennen müssen und nicht bei ihren Patienten bleiben können“, erzählt die Pflegerin. Nicht selten versorge sie drei Stunden am Stück in Vollmontur Patienten im Zimmer. „Die Patienten haben einen riesigen Pflegeaufwand.“
Die Intensivpflegerin mit langjähriger Berufserfahrung erinnert sich auch an bessere Zeiten: „Da konnte ich auch mal jemandem die Haare waschen, ohne besonders schnell zu machen, weil ich denke, es könnte ja noch ein Zugang auf die Station kommen.“Die ständige Hektik kennt sie aus ihren ersten Berufsjahren nicht. In den letzten Jahren sei Personal eingespart worden, die Zahl der Betten aber sei gestiegen, außerdem gebe es immer mehr Technik auf den Intensivstationen. „Das ist gut, weil man den Patienten damit besser helfen kann“, sagt sie. „Aber wir müssen die Maschinen auch bedienen. Und das passt nicht zusammen: mehr Arbeit, aber weniger Personal“.
Trotz der vielfältigen Belastung komme für sie ein Wechsel auf die Normalstation nicht in Frage. Sie hat die Fachweiterbildung für Intensivund Anästhesiemedizin und mag ihren Job. „Es sind nur die Bedingungen, die mir zu schaffen machen“, sagt die Teilzeitkraft. Als Pfleger heutzutage bis 67 in Vollzeit zu arbeiten, sei nahezu unmöglich – „ich kenne niemanden, der das schafft“. Die Teilzeitquote unter Pflegern auf den beiden Intensivstationen in Ravensburg liegt nach Angaben der Oberschwabenklinik bei 59 beziehungsweise 66 Prozent, das Durchschnittsalter zwischen 43 und 44 Jahren.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Klinikums, Michael Müller, verweist auf die politische Dimension der Forderung nach mehr Personal. Derzeit werde wieder darüber diskutiert, ob für Dienstpläne der tatsächliche Pflegebedarf von Patienten berücksichtigt werden soll oder nicht. „Es ist die Frage, ob das politisch gewünscht ist“, so Müller. Aktuell sieht der Personalschlüssel auf Intensivstationen laut OSK vor, dass tagsüber ein Pfleger für zwei Patienten zuständig ist, nachts für drei. Im Notfall könne ein in der Krise eingerichteter Rufdienst oder Personal aus anderen Bereichen der Klinik zu Hilfe geholt werden.
Dass eine Erhöhung des Personals kaum zu machen ist, liegt nicht nur an den politischen Vorgaben, sondern auch daran, dass der Arbeitsmarkt an Intensivpflegern laut Oberschwabenklinik wie leergefegt ist. Es komme sogar vor, dass Mitarbeiter auf der Arbeit von Headhuntern angerufen werden, die sie abwerben wollen. Die grundsätzliche Bezahlung müsse besser werden, damit junge Menschen den Beruf überhaupt noch ergreifen und die Pfleger auch langfristig in diesem Beruf bleiben, ist auch eine Forderung der Intensivpflegerin.
Unterm Strich hänge nicht alles am Geld, ihr gefalle aber auch immer weniger, wie mit ihr und ihren Kollegen umgegangen wird. Nur ein Teil ihrer Kritik richtet sich an ihren Arbeitgeber, der spezielle Spritzschutzvisiere, die sich die Intensivpfleger für ihren eigenen Schutz wünschten, erst zwei Monate später auf Station lieferte. Bis dahin habe sich mindestens die Hälfte ihrer Kollegen schon selbst ein solches Modell gekauft. „Es fehlt an kleinen Dingen, die so wenig kosten. Wir haben das jetzt aus eigener Tasche bezahlt, das ist schon traurig“, sagt sie.
Ein viel größerer Teil der Kritik betrifft übergeordnete Entscheidungen, etwa, was die Impfung betraf: Von „maßloser Enttäuschung“sprach die Pflegerin im Januar, als bekannt wurde, dass sie und ihre Kollegen trotz ihres Kampfes gegen Covid an vorderster Front sich beim Bemühen um einen Impftermin wie alle anderen Impfwilligen in die Warteschleife hängen sollten. Inzwischen werden Pflegekräfte in der Klinik geimpft. Auch die Pflegerin ist jetzt immunisiert – ein positive Nachricht in einer schwierigen Zeit.
Belegung der Intensivstation: Die Oberschwabenklinik behandelte am Höhepunkt der Corona-Pandemie in der ersten Januarwoche 106 Covid-Patienten und CovidVerdachtsfälle. Seitdem ist deren Zahl stark gesunken, in der ersten Februarwoche wurde auch der Höchststand aus der ersten Welle (30 Patienten) unterschritten. Der Rückgang hat sich aber nicht weiter so rasant fortgesetzt. Die Klinik behandelt inzwischen – Stand vom Freitag, 26. Februar, 20 Covid-Patienten: sechs Fälle auf den Intensivstationen (5 in Ravensburg, 1 in Wangen), zwölf auf der Normalstation in Isolation (5 in Ravensburg, 7 in Wangen) sowie zwei Verdachtsfälle.