Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Volksbankkunden zu Fondssparern machen
Der Präsident des Genossenschaftsverbands will Anleger für Aktien interessieren
STUTTGART/RAVENSBURG - Die Volks- und Raiffeisenbanken in Baden-Württemberg wollen ihrer Kundschaft in den nächsten Jahren verstärkt Aktien- und Fondsanlagen schmackhaft machen. Das sagte der Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), Roman Glaser, auf der Jahrespressekonferenz am Donnerstag in Stuttgart. „Das wird ein Beratungsschwerpunkt unserer Banken und für Kunden gleich jeden Alters empfohlen“, erklärte Glaser. Anleger würden in den kommenden Jahren nämlich doppelt bestraft: Zum einen werde sich am Nullzinsniveau auf absehbare Zeit nichts ändern. Und zum anderen sei mit anziehenden Inflationsraten zu rechnen. Um unter dem Strich das Vermögen zu erhalten, müssten Anleger daher diversifizieren. Ein Investment in Wertpapiere, etwa über Fondssparpläne, sei dafür eine probate Lösung, wenn sie „mit Augenmaß“umgesetzt werde.
Dass sich das über steigende Provisionen auch für die Genossenschaftsbanken lohnt, verhehlte Glaser nicht. Er sieht für die Institute bei dieser Einnahmequelle noch „Luft nach oben“. Beim Zinsüberschuss, der traditionell wichtigsten Ertragssäule, wird das hingegen immer schwieriger. Im vergangenen Jahr sank die Differenz aus Zinserträgen und Zinsaufwendungen der 159 Volks- und Raiffeisenbanken im Südwesten um gut drei Prozent auf 2,7 Milliarden Euro. Der Provisionsüberschuss legte um 1,7 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro zu. Unter Berücksichtigung der Kosten von 2,65 Milliarden Euro blieb so ein Betriebsergebnis vor Risikovorsorge von 1,17 Milliarden Euro übrig.
Glaser bezeichnete das als eine „solide Ertragslage“, die eine Stärkung des Eigenkapitals zugelassen habe. Mit einer Kernkapitalquote von 16,1 Prozent (Vorjahr: 15,7 Prozent) könne die Finanzgruppe daher auch mehr Kredite vergeben.
In dieser Funktion waren die Volks- und Raiffeisenbanken im Corona-Jahr 2020 bereits stark gefragt. Wie BWGV-Präsident Glaser berichtete, legten die Kredite an Unternehmen um fünf Prozent auf 46,6 Milliarden Euro zu, die an Privatkunden um 6,6 Prozent auf 65,8 Milliarden Euro. Bei den Firmenkunden dominierte das Förderkreditgeschäft. Laut Glaser wurden 2020 zusammen mit den Förderinstituten L-Bank und Bürgschaftsbank Baden-Württemberg 6700 Anträge für Corona-Hilfskredite im Volumen von 2,1 Milliarden Euro gestellt, von denen 1,7 Milliarden Euro zugesagt und bis Jahresende 1,3 Milliarden Euro zur Auszahlung kamen. Privatkunden nutzten das ausgereichte Geld hauptsächlich zur Immobilienfinanzierung.
Da die Bürger infolge der Pandemie weniger Geld ausgeben konnten und weil aus Sorge um den Arbeitsplatz
die Sparquote auf rekordverdächtige 16 Prozent emporschnellte, stiegen auch die Kundeneinlagen kräftig. Sie legten um 6,9 Prozent auf 141,6 Milliarden Euro zu – wobei das Gros in täglich kündbare Einlagen floss.
Mit Blick auf 2021 sprach Glaser von einem „herausfordernden Jahr“und „größeren Unsicherheiten“. Dem BWGV-Präsidenten zufolge käme ein Anstieg der Firmenpleiten um 20 bis 30 Prozent „nicht überraschend“. Die Bund-Länder-Beschlüsse zu den Lockdown-Lockerungen vom Mittwoch seien zwar ein wichtiges und längst überfälliges Signal an die Wirtschaft, Sektoren wie die Gastronomie oder der Handel würden aber nach wie vor hängen gelassen. „Wir brauchen klare Perspektiven, sonst geht den Unternehmen die Luft aus“, forderte Glaser.
Gravierende Auswirkungen auf das Kreditportfolio der Volks- und Raiffeisenbanken erwartet der BWGV-Präsident aber auch bei einem Worst-Case-Szenario nicht. „Wir haben einen breiten Branchenmix und keine Klumpenrisiken.“
Erneute Kritik übte der Verbandspräsident an den Vorgaben der Bankenaufsicht, die vor allem kleine und mittlere Institute belasteten. Um die einlagenfinanzierte Kreditvergabe an den Mittelstand nicht zu schwächen, bräuchten diese Institute mit einem risikoarmen Kreditgeschäft stärkere Entlastungen von den Vorgaben.
Diese Rahmenbedingungen – niedrige Zinsen, steigende Kosten für die Regulierung und die zunehmende Digitalisierung – zwängen die Volksund Raiffeisenbanken zu weiteren Zusammenschlüssen. In diesem Jahr seien Stand heute weitere sieben Fusionen geplant, gab Glaser zu Protokoll. Damit würde die Zahl der genossenschaftlichen Institute die Marke von 150 ins Visier nehmen. Ende 2010 lag deren Zahl noch bei 242.