Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Corona-Quarantäne-Tagebuch
Zwei Söhne infizieren sich mit einer Corona-Mutation – Wie eine Wangener Familie die Quarantäne erlebt
WANGEN - Es dauerte fast eine Woche, bis klar war, dass die erkrankten Söhne an der britischen Mutation des Corona-Virus leiden. Wie gefährlich sie ist, zeigt die Tatsache, dass offensichtlich der Jüngere den Älteren angesteckt haben muss - bei einer nur sehr kurzen Begegnung. Gerade deshalb müsste sehr vieles sehr viel schneller passieren. Doch auch ein Jahr nach dem Corona-Ausbruch hierzulande mahlen die Mühlen häufig langsam und setzen mehr oder minder auf Selbstverantwortung. Das Corona-Tagebuch einer Wangener Familie.
Mittwoch, 24. Februar:
Es klingelt an der Haustür. Der älteste Sohn, der nicht mehr zu Hause lebt, steht – mit großem Abstand – davor. „Ich bin positiv“, sagt er nur. Als Pendler nach Österreich hat man ihn beim Testen „herausgefischt“. „Kannst du mir einkaufen gehen?“, fragt er. Klar. Bis ich nachdenke. Wir hatten am Sonntag im Garten Kontakt. Ich will sicher sein. Eine halbe Stunde später sitze ich im DRKHeim auf dem Stuhl. Ergebnis: negativ. Ich kann also einkaufen und tue das auch sofort.
Zur Mittagszeit kommt die nächste Schreckensnachricht. „Ich habe leider nicht so gute Nachrichten“, schreibt die Freundin des jüngsten Sohnes. Sie ist ebenfalls positiv. Es dauert nur wenige Stunden, bis wir wissen: Der Jüngste ist es auch. Ich rufe meinen Mann an. Mir ist klar: Als unmittelbare Kontaktpersonen müssen auch wir uns absondern – und zwar sofort. Nicht erst dann, wenn die offizielle Quarantäne verhängt wird.
Die beiden Söhne werden mündlich in die Isolation geschickt. Der Älteste wählt noch im Laufe des Vormittags die „Corona-Hotline“des Landkreises, um möglichst schnell einen PCR-Test zu bekommen. Das aber geht nur über den Hausarzt. Der Jüngste bezieht im ersten Stock Stellung, hat seine eigene Toilette, trägt im Flur Maske, wo wir uns rein theoretisch begegnen könnten. Wir haben schon Erfahrung mit „Unter einem Dach lebend getrennt“. Schon an Weihnachten hatten wir eine ähnliche Situation, weil der Jüngste in Quarantäne musste. Auf privater Basis werden alle verständigt, die in Frage kommen könnten, sich angesteckt zu haben. In den nächsten Tagen wird klar: Zum Glück hat es neben unseren Dreien niemanden sonst „erwischt“. Die Linie wird bei uns enden.
Donnerstag, 25. Februar:
Beide Söhne haben in Ravensburg einen Termin „ergattert“und fahren zum Test. Ich telefoniere erst mal, informiere Mitmenschen, informiere mich.
Die Schwiegertochter in spe, die ihren Erstwohnsitz in Kempten hat, ist derweil schon durch. Sie weiß bereits von ihrem positiven PCR-Test, von der Höhe ihrer Virenlast (die meine Söhne bis heute nicht erfahren haben) – und dass sie die britische Mutation hat.
Sie ist auch darüber informiert, dass sie am Ende ihrer Quarantänezeit einen negativen PCR-Test abliefern muss, um wieder unter die Menschen zu dürfen.
In Bayern scheint so manches anders und bedeutend schneller zu laufen. Wir dagegen bewegen uns im Nebel. Wir können nur annehmen, dass damit zumindest auch der jüngste Sohn die britische Variante haben dürfte. Denn die Kollegen, die ihn vermutlich angesteckt haben, haben sie auch.
Freitag, 26. Februar:
Zumindest werden am Nachmittag die Positivtestungen des PCR-Testes telefonisch bestätigt. Beide Jungs hinterlassen ihre Kontaktpersonen und -daten. Es könnte jetzt also so richtig zackig schnell gehen. Könnte. Mutationen? Keine Ahnung. Das dauert. Die Corona-Warn-Apps der Jungs bleiben in ihrem bisherigen Zustand. Sie warnen nicht.
Auch über die mitgebrachte Registriernummer ist – auch nach dem Anruf aus Ravensburg – nichts zu erfahren von einer Coronaerkrankung meiner Söhne. Derweil erledigt der auswärts wohnende, mittlere Sohn die Einkäufe fürs Wochenende. Für uns und für seinen Bruder.
Sonntag, 28. Februar:
Das darf doch nicht wahr sein. Ausgerechnet jetzt hat mein Mann in der Nacht Zahnschmerzen bekommen. Natürlich erzählen wir dem Notdienst, welche Vorgeschichte dahinter steht und dass wir in Quarantäne sind, die offiziell allerdings noch gar nicht ausgesprochen ist. Der Arzt empfiehlt ein Antibiotikum und Schmerztabletten.
Sonst aber geht es uns allen mehr oder minder gut. Der Älteste hat leichte Symptome, die Schwiegertochter (bei sich zu Hause lebend) etwas Schnupfen und Geschmacksirritationen, der Jüngste nichts. Auch mein Mann und ich warten darauf, ob sich irgendetwas einstellt.
Montag, 1. März:
Wir werden am Vormittag ganz offiziell und schriftlich unter Quarantäne gestellt. Die Dauer ist unterschiedlich, abhängig von der angenommenen Ansteckung und Begegnung. Bei meinem Mann und mir dauert sie bis zum 5. März. Eine lange Zeit für jemanden, der unter Zahnschmerzen leidet und sich angesichts der einzunehmenden Medikamente schon fast wie ein Junkie vorkommt.
So allmählich wäre es auch für uns wichtig zu wissen: Sind wir denn nun krank oder nicht? Ein schwieriges Unterfangen, denn: Aus dem Haus können, wollen und dürfen wir jetzt nicht mehr. Niemand darf uns testen, der sonst vermeintlich Gesunde testet. Ein PCR-Test, der ärztlich angeordnet werden müsste, kommt nach Rücksprache mit der Hausärztin nicht in Frage, da wir ja keine Symptome haben.
Genau aus diesem Grund kann mein Mann auch keine Krankmeldung erhalten. Er ist ja schließlich nicht krank und streng genommen am Donnerstag und Freitag erst einmal auf eigene Faust und ohne Anordnung zu Hause geblieben.
Zumindest die können wir jetzt mit der von der Stadt angeordneten Quarantäne nachweisen. Am Abend „untersuchen“wir uns durch einen Schnelltest. Wir sind beide negativ. Das ändert erst einmal nichts, ist aber gut für den eigenen Kopf.
In der Zwischenzeit macht auch die 22 Jahre alte Heizungsanlage Mucken und es bräuchte ein Sanitärfachgeschäft. Aber das lassen wir jetzt erst einmal, da wir niemanden in Gefahr bringen wollen.
Der älteste Sohn setzt alle Hebel in Bewegung, dass seine App endlich auf „positiv“umgeschaltet wird. Nach einigen Anrufen wird dies nun händisch gemacht. Ein Prozess, der eigentlich längst vollautomatisch laufen sollte, ohne dass ein Eingreifen nötig ist.
Der Jüngere ist in der App noch immer negativ und wird es auch bleiben. Gott sei Dank sind beide nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen und sind dort womöglich anderen begegnet, deren Namen sie nicht kennen.
Dienstag, 2. März:
Jetzt ist es klar: Beide Söhne haben die Mutation. Der Anruf von der Stadt kommt gleich am Morgen. Damit verlängert sich unser aller Quarantäne, obwohl sie beim Jüngsten ansonsten um Mitternacht vorüber gewesen wäre.
Natürlich schlägt das auf die Laune. Und: Mein Mann und ich müssen jetzt als Kontaktpersonen sogar zum PCR-Test. Wir entscheiden uns für Freitag. Zur Not könnte mein Mann sogar zu einer Corona-Zahnarztpraxis nach Memmingen fahren. Nach Rücksprache mit dem eigenen Zahnarzt warten wir aber erst einmal ab.
Noch aber sind die Aussagen zu einem endgültigen PCR-Test der Söhne unterschiedlich. Problem: Die Regeln haben sich zwischen dem 24. und 25. Februar verändert, also von jenem Tag, als wir es eigentlich schon wussten, dass beide krank sind, auf jenen Tag, als der PCR-Test als „anerkannte“Testung und Instanz Klarheit brachte. Erst auf nochmalige Nachfrage wird klar: Ja, sie müssen (oder dürfen) zum abermaligen PCR-Test.
Der Jüngste wünscht sich einen Zitronenquarkkuchen, also etwas für die Seele. Eine kleine Freude im „Knastalltag“, die ihm der mittlere Sohn mit seinem nochmaligen Einkauf ermöglicht.
Freitag, 5. März:
Für mich ist es das „Highlight“der Woche: Wir dürfen nach mehr als einer Woche Isolation im eigenen Haus tatsächlich selbiges verlassen und nach Ravensburg fahren, um uns testen zu lassen. Auch die Söhne haben am Nachmittag noch einen Termin erhalten.
Wir fahren jeweils getrennt und mit insgesamt drei Fahrzeugen. Nun können wir nur hoffen, dass wir alle negativ sind – und das Ergebnis uns auch noch irgendwann erreicht.
Für meinen Mann und mich ändert auch dies nichts. Bis Dienstagabend bleibt die Quarantäne bestehen. Wir wissen jetzt schon, dass wir um Mitternacht noch einen Spaziergang unternehmen werden, nachdem wir dann zwei Wochen lang keinen Fuß mehr auf eine öffentliche Straße gesetzt haben.
Und: Wir sind dankbar, dass nach jetzigem Stand alles doch irgendwie gut endete. An jene, die im Krankenhaus oder noch schlimmer im Sterben liegen, haben wir in diesen Tagen oft gedacht.