Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Obdachlose erhalten Zimmer in Weingartener Hotels
Wirte sehen das als ihre Pflicht, weil die Corona-Beschränkungen den Wohnungslosen zusetzen
WEINGARTEN - Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden gesetzlichen Auflagen sind für alle Bürger eine Belastung. Doch einigen Menschen im Mittleren Schussental setzen sie besonders zu: Wer keine eigene Wohnung hat, für den waren die monatelangen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen und das nach wie vor geltende Versammlungsverbot ein großes Problem. Schließlich findet das Leben von Obdachlosen beinahe zwangsläufig auf der Straße statt. Ebenso ihre sozialen Kontakte. Doch nun haben fast alle Obdachlosen in der Gegend Unterschlupf gefunden – und zwar nicht nur in den „klassischen“Unterkünften in Ravensburg und Weingarten. Auch mehrere Weingartener Hotels haben sich bereit erklärt, Obdachlosen die ohnehin leerstehenden Zimmer zur Verfügung zu stellen.
„Bei der Kälte und den aktuellen Umständen wollten wir das machen“, sagt Benjamin Bendel, der sich bereits seit November an der Aktion beteiligt. „Wenn man nichts macht, wird die Welt auch nicht besser.“Gemeinsam mit seinem Bruder Philipp Flaitz hat er im vergangenen Jahr das Weingartener Traditionslokal Rössle von den Eltern übernommen. Teil des Familienbetriebes war auch stets das Vermieten von Hotelzimmern und Apartments. Doch weil es den Brüdern wegen der Corona-Auflagen nur erlaubt ist, Geschäftsreisende zu beherbergen, stehen 80 Prozent der 50 Zimmer aktuell leer.
Dabei ist die Aktion nicht ausschließlich Ehrensache, wie der Geschäftsführer offen zugibt. Das Jobcenter des Landkreises Ravensburg zahlt den Hoteliers pro Zimmer und Nacht etwa ein Drittel des eigentlich üblichen Preises. Aber immerhin können die beiden Brüder so ihre
Unkosten, wie Nebenkosten, Endreinigung und Wäsche, decken. „Wir versuchen, es so günstig wie möglich zu machen. Das ist nichts, womit wir Geld machen“, sagt Bendel, der erklärt, dass man auch ein gewisses Risiko trage. Zwar seien in der Vergangenheit die meisten, aber eben nicht alle Bewohner pfleglich mit den Zimmern umgegangen. „Aber 90 Prozent der Leute sind einfach nur dankbar. Da ist es schön zu sehen, wie die sich freuen“, sagt Bendel. „Das hilft uns auch in der düsteren Zeit und ist für mich persönlich viel mehr wert, als emotionslos in die Basilika zu gehen und fünf Euro zu spenden.“
Aktuell sind im Rössle gerade ein Appartement und ein Einzelzimmer an eine Familie mit Kind und eine Einzelperson vermietet. Theoretisch stünden noch zwei weitere Zimmer zur Verfügung, die eigentlich etwas günstiger als andere Zimmer an Monteure vermietet werden. Denn Bendel und Flaitz ist es wichtig, dass die Bewohner neben der eigenen Toilette auch eine kleine Kochnische haben, damit sie sich günstig selbst das Essen zubereiten können. Außerdem können sie die Gemeinschaftswaschmaschine im Alt. Ochsen nutzen, der den Brüdern ebenfalls gehört. Dieses ehemalige Traditionslokal mitsamt seinen darüber liegenden Wohnungen war der Ausgangspunkt für diese ungewöhnliche
Aktion. Denn Bendel und Flaitz vermieten – wie zuvor schon jahrelang die Familie Junginger – die Wohnungen an sozial Schwächere. Auch hier wird die Miete vom Jobcenter überwiesen, das im vergangenen Herbst nach weiteren Zimmern gefragt hat.
Seitdem haben sie auf diese Weise schon rund zehn bis fünfzehn Menschen beherbergt. Meist bleiben die etwas anderen Gäste mehrere Wochen, teilweise sogar Monate. Je nachdem, wie lange das Jobcenter die Miete übernimmt. „Wir hatten schon Leute, die aus der Wohnung mussten und sonst am nächsten Tag obdachlos gewesen wären. Das konnten wir nicht mit unserem Gewissen vereinbaren“, sagt Bendel, der darin auch ein Grundsatzproblem sieht. „Wir sehen, dass immer mehr Leute Probleme haben, eine bezahlbare Unterkunft zu bekommen.“
Umso wichtiger sind lokale Initiativen, die den Menschen direkt helfen. Davon profitiert auch ein 38-Jähriger, der in einem anderen Hotel untergekommen ist, das nicht namentlich in der Zeitung genannt werden will. Er ist froh und dankbar, dass er so im Januar für sich und seine Freundin eine Unterkunft gefunden hat. Bis dahin hatten die beiden in einem Zelt unter der Schussenbrücke in Weißenau campiert; ihr „Badezimmer“war der Fluss. Eine eigene Wohnung zu bekommen, ist für den 38-Jährigen, der schon öfter in der Justizvollzugsanstalt einsaß, fast ein Ding der Unmöglichkeit: Wenn sich ein Vermieter überhaupt auf jemanden wie ihn einlasse, dann sollte der oder die Betreffende Hartz IV beziehen (und nicht wie er Arbeitslosengeld I). Davon fließt die Miete nämlich direkt aufs Konto des Vermieters. So ist der gelernte Koch nun froh, dass es dank der Vermittlung des Ravensburger Streetworkers Bernhard Pesch mit der Unterkunft im Hotel geklappt hat. Das könnte ein Anfang sein, denn ein solch fester Ort ist laut Pesch für Menschen mit Drogen- oder Alkoholproblemen die Voraussetzung, um mal zur Ruhe zu kommen und die Sucht angehen zu können. Umso mehr lobt er die Hoteliers. „Das ist toll“, sagt Pesch. Denn wo die Leute, die häufig ein Suchtproblem haben, nicht auf allzu engem Raum miteinander klar kommen müssen, „entstehen nicht so viele Konflikte wie in Gemeinschaftsunterkünften“. Und der Streetworker weiß wovon er spricht. Durchschnittlich 60 Obdachlose würden regelmäßig im Württemberger Hof, die Obdachlosenunterkunft in Ravensburg, vorstellig werden. Im Rahmen seiner „aufsuchenden Sozialarbeit“
hatte der beim Verein Arkade angestellte Streetworker seit August 2018 Kontakt zu mehr als 300 Menschen – anfangs vor allem zu Flüchtlingen, inzwischen vor allem zu Drogen- und Alkoholabhängigen.
Viele von ihnen haben kein Dach über dem Kopf und schlafen im Winter mal in der Notübernachtung im Württemberger Hof, mal in der städtischen Ravensburger Obdachlosenunterkunft in der Florianstraße, mal in einem Banken-Vorraum, einer Tiefgarage oder im Notfall draußen. Normalerweise. Diesen Winter gibt es glücklicherweise nur wenig Notfälle – die meisten von Peschs Schützlingen sind irgendwo untergekommen.
Schicksale wie diese sind es auch,, die Bendel und Flaitz anspornen, noch etwas mehr zu machen. So spielen sie seit Monaten mit dem Gedanken, den Gastraum des Alt. Ochsen – immerhin zwischen 250 und 300 Quadratmeter – für Bedürftige zur Verfügung zu stellen.
Ob Schlaflager oder Suppenküche, die Ideen sind da. „Wir trauen uns das aber nicht zu, weil wir das Know-How nicht haben“, erklärt Bendel, der die Räumlichkeiten einem seriösen und vor allem erfahrenen Partner aber kostenlos zur Verfügung stellen würde. „Das müsste schon ein organisierter Verein sein, dem wir den Schlüssel in die Hand drücken könnten.“