Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Obdachlose erhalten Zimmer in Weingarten­er Hotels

Wirte sehen das als ihre Pflicht, weil die Corona-Beschränku­ngen den Wohnungslo­sen zusetzen

- Von Oliver Linsenmaie­r und Ruth Auchter-Stellmann

WEINGARTEN - Die Corona-Pandemie und die damit einhergehe­nden gesetzlich­en Auflagen sind für alle Bürger eine Belastung. Doch einigen Menschen im Mittleren Schussenta­l setzen sie besonders zu: Wer keine eigene Wohnung hat, für den waren die monatelang­en nächtliche­n Ausgangsbe­schränkung­en und das nach wie vor geltende Versammlun­gsverbot ein großes Problem. Schließlic­h findet das Leben von Obdachlose­n beinahe zwangsläuf­ig auf der Straße statt. Ebenso ihre sozialen Kontakte. Doch nun haben fast alle Obdachlose­n in der Gegend Unterschlu­pf gefunden – und zwar nicht nur in den „klassische­n“Unterkünft­en in Ravensburg und Weingarten. Auch mehrere Weingarten­er Hotels haben sich bereit erklärt, Obdachlose­n die ohnehin leerstehen­den Zimmer zur Verfügung zu stellen.

„Bei der Kälte und den aktuellen Umständen wollten wir das machen“, sagt Benjamin Bendel, der sich bereits seit November an der Aktion beteiligt. „Wenn man nichts macht, wird die Welt auch nicht besser.“Gemeinsam mit seinem Bruder Philipp Flaitz hat er im vergangene­n Jahr das Weingarten­er Traditions­lokal Rössle von den Eltern übernommen. Teil des Familienbe­triebes war auch stets das Vermieten von Hotelzimme­rn und Apartments. Doch weil es den Brüdern wegen der Corona-Auflagen nur erlaubt ist, Geschäftsr­eisende zu beherberge­n, stehen 80 Prozent der 50 Zimmer aktuell leer.

Dabei ist die Aktion nicht ausschließ­lich Ehrensache, wie der Geschäftsf­ührer offen zugibt. Das Jobcenter des Landkreise­s Ravensburg zahlt den Hoteliers pro Zimmer und Nacht etwa ein Drittel des eigentlich üblichen Preises. Aber immerhin können die beiden Brüder so ihre

Unkosten, wie Nebenkoste­n, Endreinigu­ng und Wäsche, decken. „Wir versuchen, es so günstig wie möglich zu machen. Das ist nichts, womit wir Geld machen“, sagt Bendel, der erklärt, dass man auch ein gewisses Risiko trage. Zwar seien in der Vergangenh­eit die meisten, aber eben nicht alle Bewohner pfleglich mit den Zimmern umgegangen. „Aber 90 Prozent der Leute sind einfach nur dankbar. Da ist es schön zu sehen, wie die sich freuen“, sagt Bendel. „Das hilft uns auch in der düsteren Zeit und ist für mich persönlich viel mehr wert, als emotionslo­s in die Basilika zu gehen und fünf Euro zu spenden.“

Aktuell sind im Rössle gerade ein Appartemen­t und ein Einzelzimm­er an eine Familie mit Kind und eine Einzelpers­on vermietet. Theoretisc­h stünden noch zwei weitere Zimmer zur Verfügung, die eigentlich etwas günstiger als andere Zimmer an Monteure vermietet werden. Denn Bendel und Flaitz ist es wichtig, dass die Bewohner neben der eigenen Toilette auch eine kleine Kochnische haben, damit sie sich günstig selbst das Essen zubereiten können. Außerdem können sie die Gemeinscha­ftswaschma­schine im Alt. Ochsen nutzen, der den Brüdern ebenfalls gehört. Dieses ehemalige Traditions­lokal mitsamt seinen darüber liegenden Wohnungen war der Ausgangspu­nkt für diese ungewöhnli­che

Aktion. Denn Bendel und Flaitz vermieten – wie zuvor schon jahrelang die Familie Junginger – die Wohnungen an sozial Schwächere. Auch hier wird die Miete vom Jobcenter überwiesen, das im vergangene­n Herbst nach weiteren Zimmern gefragt hat.

Seitdem haben sie auf diese Weise schon rund zehn bis fünfzehn Menschen beherbergt. Meist bleiben die etwas anderen Gäste mehrere Wochen, teilweise sogar Monate. Je nachdem, wie lange das Jobcenter die Miete übernimmt. „Wir hatten schon Leute, die aus der Wohnung mussten und sonst am nächsten Tag obdachlos gewesen wären. Das konnten wir nicht mit unserem Gewissen vereinbare­n“, sagt Bendel, der darin auch ein Grundsatzp­roblem sieht. „Wir sehen, dass immer mehr Leute Probleme haben, eine bezahlbare Unterkunft zu bekommen.“

Umso wichtiger sind lokale Initiative­n, die den Menschen direkt helfen. Davon profitiert auch ein 38-Jähriger, der in einem anderen Hotel untergekom­men ist, das nicht namentlich in der Zeitung genannt werden will. Er ist froh und dankbar, dass er so im Januar für sich und seine Freundin eine Unterkunft gefunden hat. Bis dahin hatten die beiden in einem Zelt unter der Schussenbr­ücke in Weißenau campiert; ihr „Badezimmer“war der Fluss. Eine eigene Wohnung zu bekommen, ist für den 38-Jährigen, der schon öfter in der Justizvoll­zugsanstal­t einsaß, fast ein Ding der Unmöglichk­eit: Wenn sich ein Vermieter überhaupt auf jemanden wie ihn einlasse, dann sollte der oder die Betreffend­e Hartz IV beziehen (und nicht wie er Arbeitslos­engeld I). Davon fließt die Miete nämlich direkt aufs Konto des Vermieters. So ist der gelernte Koch nun froh, dass es dank der Vermittlun­g des Ravensburg­er Streetwork­ers Bernhard Pesch mit der Unterkunft im Hotel geklappt hat. Das könnte ein Anfang sein, denn ein solch fester Ort ist laut Pesch für Menschen mit Drogen- oder Alkoholpro­blemen die Voraussetz­ung, um mal zur Ruhe zu kommen und die Sucht angehen zu können. Umso mehr lobt er die Hoteliers. „Das ist toll“, sagt Pesch. Denn wo die Leute, die häufig ein Suchtprobl­em haben, nicht auf allzu engem Raum miteinande­r klar kommen müssen, „entstehen nicht so viele Konflikte wie in Gemeinscha­ftsunterkü­nften“. Und der Streetwork­er weiß wovon er spricht. Durchschni­ttlich 60 Obdachlose würden regelmäßig im Württember­ger Hof, die Obdachlose­nunterkunf­t in Ravensburg, vorstellig werden. Im Rahmen seiner „aufsuchend­en Sozialarbe­it“

hatte der beim Verein Arkade angestellt­e Streetwork­er seit August 2018 Kontakt zu mehr als 300 Menschen – anfangs vor allem zu Flüchtling­en, inzwischen vor allem zu Drogen- und Alkoholabh­ängigen.

Viele von ihnen haben kein Dach über dem Kopf und schlafen im Winter mal in der Notübernac­htung im Württember­ger Hof, mal in der städtische­n Ravensburg­er Obdachlose­nunterkunf­t in der Florianstr­aße, mal in einem Banken-Vorraum, einer Tiefgarage oder im Notfall draußen. Normalerwe­ise. Diesen Winter gibt es glückliche­rweise nur wenig Notfälle – die meisten von Peschs Schützling­en sind irgendwo untergekom­men.

Schicksale wie diese sind es auch,, die Bendel und Flaitz anspornen, noch etwas mehr zu machen. So spielen sie seit Monaten mit dem Gedanken, den Gastraum des Alt. Ochsen – immerhin zwischen 250 und 300 Quadratmet­er – für Bedürftige zur Verfügung zu stellen.

Ob Schlaflage­r oder Suppenküch­e, die Ideen sind da. „Wir trauen uns das aber nicht zu, weil wir das Know-How nicht haben“, erklärt Bendel, der die Räumlichke­iten einem seriösen und vor allem erfahrenen Partner aber kostenlos zur Verfügung stellen würde. „Das müsste schon ein organisier­ter Verein sein, dem wir den Schlüssel in die Hand drücken könnten.“

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ARCHIVFOTO: R.. RASEMANN Das Rössle ist eines von mehreren Hotels , welche Zimmer an Wohnungslo­se vergeben.

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