Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nazi-Bilder auf dem Handy sind kein Spaß
Verbreiten von Hakenkreuzen und anderen Nazi-Bildchen wird streng bestraft – Täter müssen Aufsatz schreiben
LINDAU - Wenn ein Jugendlicher mit seinen Eltern zur Polizei muss oder gar mehrere Beamte zur Hausdurchsuchung anrücken, ist der Schock groß. Polizei und Justiz gehen in Bayern verstärkt gegen Nazi-Propaganda vor. Die Urteile des Lindauer Amtsgerichts fallen zumeist sehr originell aus.
Seit Wochen stehen regelmäßig junge Männer vor dem Lindauer Amtsgericht, denen die Staatsanwaltschaft Volksverhetzung oder Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen vorwirft. Weil es sich um Jugendliche oder Heranwachsende handelt, verhandelt Jugendrichterin Brigitte Grenzstein diese Delikte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auf Anfrage der SZ erklärt sie aber die Hintergründe.
Dabei verneint Grenzstein die Frage, ob es im Kreis Lindau ein größeres Problem mit Neo-Nazis gibt. Zumindest lasse sich das nicht an diesen Verhandlungen ablesen. Grenzstein erklärt vielmehr, dass der Staat schärfer gegen die Delikte vorgeht. Denn die jungen Leute – es handelt sich in Lindau bisher ausschließlich um junge Männer, die vor Gericht standen – sollen begreifen, dass das nicht witzig ist, sondern dass es sich um eine Straftat handelt.
Grenzstein ist dabei sicher, dass ihr im Gerichtssaal in den bisher verhandelten Fällen keine angehenden Faschisten gegenübersaßen. Vielmehr
handele es sich zumeist um „jugendlichen Leichtsinn“oder „Gedankenlosigkeit“. Sie will das aber keineswegs kleinreden, denn die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda sei eben kein Spaß, sondern ist aus guten Gründen verboten: „Ich finde es vollkommen richtig, dass die Staatsanwaltschaft diese Dinge ermittelt.“
Vor Gericht treffe sie dann auf junge Männer, die sehr betroffen sind, wenn sie auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Polizeiliche Vernehmung und andere Maßnahmen haben sie dann schon hinter sich, vor allem die Beschlagnahme des Handys und Laptops. Denn beides zieht die Polizei ein, um Beweise zu sichern. „Das trifft die Jugendlichen am meisten“, weiß Grenzstein. Nicht nur, dass sie einige Wochen ohne Smartphone auskommen müssen. Hinzu kommt, dass die Polizei alle Chatverläufe lesen darf, wobei sie nicht nur weiteren Tätern auf die Spur kommt, die Nazi-Bilder verbreitet haben. Die Jugendlichen müssen mit dem Gefühl leben, dass jemand alles kennt, das sie geschrieben haben und das zum Teil die Eltern sicher nicht kennen und das sie in manchen Fällen nicht mal dem besten Freund zum Lesen geben würden.
Eltern fallen meist aus allen Wolken, wenn sie hören und lesen, was ihr Nachwuchs da verbreitet hat. Dabei
lassen sich die Täter nicht näher einordnen. „Sie kommen aus allen sozialen Schichten, sie kommen aus dem ganzen Landkreis“, berichtet Grenzstein. Sie habe junge Männer aus Lindau ebenso vor sich gehabt wie solche aus kleinen Dörfern.
Dass es vermehrt zu diesen Anklagen kommt, erklärt Grenzstein mit einer neuen Linie der Strafverfolgungsbehörden. Die Staatsregierung hat sogenannte Hate-Speech-Beauftragte bei allen Staatsanwaltschaften eingesetzt. Die kümmern sich nicht nur um Beleidigungen im Netz, sondern auch um Nazi-Propaganda und Rassismus. Und wenn erst ein Fall aufgedeckt ist, folgen aus den Chatverläufen auf dem beschlagnahmten Handy meist weitere Fälle.
Denn die Bilder und Sprüche verbreiten sich vor allem in Chats von Schulklassen oder anderen Gruppen auf WhatsApp. „Sie bekommen etwas zugeschickt und leiten es weiter, ohne sich etwas dabei zu denken“, beschreibt Grenzstein die Mechanismen. Dabei ist es rechtlich ein großer Unterschied, ob man solche Bilder oder Sprüche erhält oder selbst weiterleitet. Denn der Besitz ist nicht verboten, das Weiterleiten aber schon. Manche Täter fallen auch auf, weil die Polizei bei einem Haschischfall die Handys überprüft und auf solche Inhalte stößt.
An Anzeigen von aufgebrachten Mitlesern oder empörten Eltern kann sich Grenzstein nicht erinnern. Da funktioniere wohl der Gruppenzwang und die Angst, als nicht cool dazustehen. Auch finde sich in den Chats leider kaum Widerspruch, wenn solche Bilder auftauchen. Das ist für die Richterin ein weiterer Grund, durch Urteile sehr klar zu machen, dass es sich bei diesen Verstößen nicht um Kleinigkeiten handelt.
Normal wären Gerichtsurteile, die Geldzahlungen oder Arbeitsauflagen enthalten. Aber in der Pandemie sei es schwierig, junge Männer irgendwo zu Arbeitseinsätzen zu zwingen. Deshalb kam Grenzstein auf eine Idee, die sie inzwischen auch unabhängig von der Pandemie für eine sehr gute hält, weil sie tatsächlich sehr gute Erfahrungen damit gemacht hat. „Die müssen Aufsätze schreiben“, erklärt Grenzstein. Innerhalb einer Frist müssen die jungen Männer auf drei bis vier Seiten beschreiben, welche Einstellung sie zum Nationalsozialismus haben.
Damit niemand mogeln kann, verlangt Grenzstein diese Aufsätze handschriftlich und lässt sich eine Schriftprobe geben, damit sie sicher sein kann, dass die Täter dies auch tatsächlich selbst geschrieben haben. Sie habe tatsächlich schon junge Männer vor sich gehabt, denen eine Geldauflage lieber gewesen wäre – zumal die wohl die Eltern bezahlt hätten. Doch so einfach kommen sie nicht davon. Für den Aufsatz müssen sie sich ernsthaft mit dem Thema befassen: „Das zwingt die Jugendlichen eher zum Nachdenken als wenn sie zehn Stunden beim Bauhof arbeiten müssen.“