Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Preisverleihung im Zeichen von Pandemie und Protesten
Auch als selbst ernannte „ Beste Band der Welt“ist man vor Eifersucht nicht gefeit – im Song „Warum spricht niemand über Gitarristen?“vom aktuellen Album „Hell“klagt die Berliner Punkrock-Institution Die Ärzte, dass Gitarristen gegen die Topthemen der Aufmerksamkeitsökonomie nicht ankommen: „Das Wetter immer wieder, der Fußball gestern Nacht – und alle reden drüber, was Beyoncé grade macht.“
Gestern war mal wieder so ein Tag. Klar, auch andere Stars wurden bei der Grammy-Verleihung ausgezeichnet und die Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen war auch nicht ganz unwichtig. Aber für besondere Aufmerksamkeit in den sozialen und sonstigen Medien sorgte dann doch der Rekord von Beyoncé Knowles, die mit ihren Grammys Nummer 25 bis 28 zur am meisten ausgezeichneten Künstlerin aller Zeiten aufstieg. Preise gab es unter anderem für die „beste R&B-Performance“bei „Black Parade“, den besten Rap-Song und das beste Musikvideo mit „Brown Skin Girl“.
Das ist schon ein beachtliches Spektrum, aber nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gesamtkunstwerk, das Beyoncé verkörpert. Sängerin,
Nicht nur Beyoncé räumte bei den Grammys ab, auch alle anderen Preise in den Königskategorien gingen bei der diesjährigen Gala an Frauen: Taylor Swift gewann mit „Folklore“die Auszeichnung für das „Album des Jahres“– und bedankte sich bei den Fans und bei ihrem Freund Joe Alwyn. „Ich hatte die beste Zeit dabei, mit dir in der Quarantäne Songs zu schreiben.“Es war bereits ihr dritter Sieg in dieser Kategorie. Vorjahres-Abration
Tänzerin, Regisseurin, Schauspielerin, Produzentin, Stilikone, Aktivistin und Philanthropin zählen zu den Rollen, die die 1981 geborene Amerikanerin einnimmt. Und die Kollaborationen mit ihrem Ehemann, dem Rapper Jay-Z, sind damit noch gar nicht aufgelistet.
All diese Aktivitäten verdichten sich in den jetzt ausgezeichneten Werken und man bräuchte wohl eine ganze Häuserwand, um all die Querverweise und Mitwirkenden bei den Projekten aufzuzeichnen.
So stellte Beyoncé bereits 2019 den Soundtrack zur filmischen Neuauflage des Disney-Klassikers „Der König der Löwen“zusammen und arbeitete dafür mit zahlreichen afrikanischen und amerikanischen Musikern. Von dem Album inspiriert ersann die Musikerin dann letztes Jahr einen neuen Film, „Black is King“, bei dem sie unter anderem als Regisseurin, Autorin, Produzentin und Schauspielerin mitwirkte.
Das Ergebnis war dann weitaus mehr als ein Hochglanz-Musikvideo, eine künstlerische Auseinandersetzung mit so relevanten wie brisanten Themen: Sklaverei, die Rolle der afrikanischen Diaspora, die Identität von Menschen mit dunkler Hautfarbe. Verbunden wurde dies in dem auf drei Kontinenten gefilmten Werk mit räumerin Billie Eilish bekam den Grammy für die „Aufnahme des Jahres“für „Everything I Wanted“– auch wenn die Sängerin diese Auszeichnung eigentlich lieber bei der ebenfalls nominierten Rapperin Megan Thee Stallion gesehen hätte. „Megan, du verdienst ihn“, sagte Eilish. „Du hattest ein unvergleichbares Jahr.“Die Rapperin gewann den Preis als „Beste neue Künstlerin“und gleich noch zwei weitere für „Savage“, ihre Koopeeinem Tribut an die Vielfalt afrikanischer Kultur. Wer weniger Wert auf die historische Botschaft legte, ließ sich dann etwas von den im jetzt ausgezeichneten Musikvideo „Brown Skin Girl“gezeigten Frisuren inspirieren – was natürlich auch hochgradig politisch ist. Diskriminierung war oft mit der Beschaffenheit von Haaren verbunden, einst diente diese gar der Rechtfertigung der Sklaverei; andererseits ist der sogenannte Afrolook ein Wahrzeichen der Bürgerrechtsbewegung.
Noch politischer ist bekanntlich die Hautfarbe und wer die Zeit findet, kann einen ganzen Tag damit verbringen, in den sozialen Medien Botschaften von Menschen zu finden, die eine Textzeile in dem Song besonders berührt hat: „Deine Haut ist nicht nur dunkel, sie strahlt und erzählt eine Geschichte.“Die Kommentare reichen von amerikanischen Müttern bis hin zur 17-jährigen Nigerianerin und zeigen, was für eine globale Ausstrahlung Beyoncé schon lange erreicht hat.
Weiterhin sind die jüngsten Veröffentlichungen der Musikerin auch ein Kommentar zu den politischen Gräben, die sich in den letzten Jahren in den Vereinigten Staaten aufgetan haben. Im Gegensatz zu vielen anderen sogenannten Diven scheut sich
mit Beyoncé. Die Live-Gala war von der Corona-Pandemie geprägt: Die Auftritte und Preisübergaben fanden auf unterschiedlichen Bühnen statt, zum Teil unter freiem Himmel. Auch die Proteste gegen Rassismus in den USA, die im vergangene Sommer nach dem Tod des Afroamerikaner George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz hochgekocht waren, spielten bei der Gala immer wieder eine Rolle. „Diesen Kampf, den wir im Sommer 2020 in uns hatten? Lasst uns diese Energie beibehalten“, forderte die Sängerin H.E.R., nachdem sie den Preis in der Kategorie „Song des Jahres“für ihre als Reaktion auf die Proteste geschriebene Hymne „I Can't Breathe“bekommen hatte. Während eines Auftritts des Rappers Lil Baby wandte sich zudem die Aktivistin Tamika Mallory direkt an US-Präsident Joe Biden: „Präsident Biden, wir verlangen Gerechtigkeit.“Überschattet wurde die Gala von schon seit Längerem anhaltenden Debatten über Transparenz und Diversität bei der Preisvergabe. Der kanadische Sänger The Weeknd – der zu den derzeit erfolgreichsten Musikern gehört, aber nicht nominiert worden war – hatte schon im Vorfeld angekündigt, die Grammys künftig zu boykottieren. (dpa)
Beyoncé nicht, klar politisch Stellung zu nehmen und die „Black Lives Matter“Bewegung zu unterstützen. Der ebenfalls ausgezeichnete Song „Black Parade“erschien wenige Wochen nach dem Tod von George Floyd als Wohltätigkeitssingle, mit der kleine Geschäfte von schwarzen Amerikanern unterstützt werden sollen – vom Waschsalon bis zum Skateboard-Laden. Damit man diese auch findet, verband die Sängerin den Song gleich noch mit „Black Parade Route“, einem Firmenverzeichnis. Ein weiterer Beleg dafür, dass die Enddreißigerin so ziemlich alles, was sie macht, mit voller Kraft anzupacken scheint.
Dieser Ehrgeiz und Perfektionismus zeichnete sich schon früh ab. Im Jahr 2003, mit 22 Jahren, hatte Beyoncé bereits enorme Erfolge in dem Musiktrio Destiny’s Child gefeiert, als sie ihre erste Soloplatte veröffentlichte. In einem Interview mit dem britischen Q-Magazin legte sie seinerzeit ihren weiteren Plan dar: „Ich hoffe, ich werde zu den Großen zählen. Ich will legendär sein und als sehr talentierte Sängerin, Künstlerin, Autorin und Schauspielerin in Erinnerung bleiben.“Der Artikel zitiert zudem einen Musikmanager, der Beyoncé als „sehr professionell und ehrgeizig“wahrgenommen hatte – zum Zeitpunkt des Treffens war sie neun Jahre alt.
Wie ihr großes Vorbild Michael Jackson hatte Beyoncé Knowles – der Vorname ist der Mädchenname ihrer Mutter – ehrgeizige Eltern, die ihre Berufe für die Karriere des talentierten Nachwuchses aufgaben, allerdings wohl nicht ganz so tyrannisch agierten wie Jackson senior. Die beste Freundin und spätere Destiny’s Child-Mitstreiterin Kelly Rowland zog bei den Knowles ein; da reguläre Schule mit den vielen frühen Auftritten schwer in Verbindung zu bringen war, gab es Heimunterricht. Zwei weitere Mitglieder der Gruppe störten sich daran, dass Vater Matthew die Band managte und klagten, dass er Beyoncé und Kelly bevorzuge – kurz darauf waren sie nicht mehr Mitglieder der Gruppe. Auch in dem folgenden Trio mit Michelle Williams mangelte es nicht an internen Konflikten, denen sich Beyoncé schließlich auch durch ihre Solokarriere entzog. Der fortwährenden Popularität der gemeinsamen Musik, die in Songs wie „Independent Women“auch schon auf Selbstermächtigung setzte, hat dies keinen Abbruch getan. Im jetzt preisgekrönten Musikvideo zu „Brown Skin girl“hat Kelly Rowland zudem einen Gastauftritt, ebenso Beyoncés Mutter Tina – und die neunjährige Tochter Blue Ivy, die ebenfalls einen Grammy gewann. Um eine mögliche Nachfolge muss sich die Monarchin – ihr Spitzname ist „Queen B“, „Bienenkönigin“– also wohl keine Sorge machen.