Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Varta steigt ins Automotive-Geschäft ein
Das Unternehmen will auf einer Pilotanlage am Stammsitz Ellwangen Batteriezellen für E-Autos herstellen
ELLWANGEN/RAVENSBURG - Einen Hinweis auf den Einstieg in die Batteriezellenproduktion für E-Autos hat Varta-Chef Herbert Schein bereits im Juli des vergangenen Jahres gegeben. Damals legte der Manager zusammen mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in Nördlingen, gut 30 Kilometer vom Hauptsitz Ellwangen entfernt, den Grundstein für eine der modernsten Lithium-Ionen-Batteriezellenfabriken. Auf der neuartigen, hochautomatisierten Produktionsstraße sollen jährlich 200 Millionen Batteriezellen – sogenannte Coins – von den Bändern rollen. Produktionsstart ist Mitte dieses Jahres. Einsatz finden die Knopfzellen in Geräten, die direkt am Körper getragen werden (Wearables) – in Fitnessuhren, in Ohrhörern oder in Brillen mit Displays.
Die Lithium-Ionen-Technologie, sagte Schein auf dem Festakt, sei für die „nächsten zehn bis 15 Jahre“das Maß der Dinge – nicht nur für Knopfzellen, wie sie in Wearables eingesetzt werden, sondern auch für Batterien für Elektroautos, für Industrieroboter, für fahrerlose Transportsysteme und für Energiespeicher. Deshalb wolle Varta seine innovative Technologie im Bereich der Knopfzellen so bald wie möglich auch auf größere Formate übertragen. Ob damit der Einstieg ins Automotive-Geschäft folgt, ließ Schein auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“offen. „Natürlich freuen wir uns, wenn Varta zusammen mit der Automobilindustrie an der Zukunft der Mobilität mitwirken darf“, sagte der Manager. Doch spruchreif sei noch nichts.
Das ist seit Dienstag anders. Via Pressemitteilung bestätigte der Konzern einen Bericht der „Wirtschaftswoche“, nach der das Unternehmen künftig auch Batteriezellen für Elektroautos herstellen will. „Varta wird in Zukunft Batteriezellen für die Elektromobilität produzieren“, steht in dem kurzen Fünfzeiler. Die neue Zelle im Format 21700 mit dem Namen V4Drive solle zum Ende dieses Jahres am Stammsitz des Konzerns in Ellwangen auf einer Pilotlinie produziert werden. Sie könnte vor allem bei Fahrzeugen im Premiumsegment zum Einsatz kommen, hieß es. Weitere Einsatzmöglichkeiten gebe es beispielsweise im Bereich Power Tools. Mehr wollte Varta zum jetzigen Zeitpunkt nicht verraten. Der „Wirtschaftswoche“zufolge sei der Konzern aber bereits in Gesprächen mit mehreren Automobilherstellern. Die Anleger reagierten am Dienstag begeistert auf die Nachricht: Die im MDax notierte Aktie sprang um gut 14 Prozent auf 128 Euro nach oben.
Bislang ist Varta vor allem für seine kleinen Lithium-Ionen-Knopfzellen für Wearables bekannt. Der Konzernumsatz stieg 2020 auch aufgrund des Zukaufs des Segments Haushaltsbatterien um rund 140 Prozent auf 870 Millionen Euro. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen legte um 145 Prozent auf 239 Millionen Euro zu. Im vergangenen Jahr erhielt Varta zudem im Rahmen des EU-Förderprojekts IPCEI rund 300 Millionen Euro Fördergeld,
um eine Fertigung von Lithium-Ionen-Batterien der neuen Generation aufzubauen, wovon rund zwei Drittel in die Forschung und Entwicklung der neuen 21700-Zellen fließen.
Diese werden von der Industrie immer stärker nachgefragt. Die Zellen mit einem Durchmesser von 21 Millimeter und einer Länge von 70 Millimetern (bisher 18 Millimeter Durchmesser und 65 Millimeter Länge) können je nach Akkusystem einen Kapazitätsgewinn auf gleichem Raum von 20 bis 30 Prozent bedeuten. Zudem werden durch die zunehmende Größe die Anzahl der Zellen und damit die Kontaktpunkte und Verbinder im Akkupack reduziert, was sich noch einmal zusätzlich positiv auf die Stabilität des Gesamtpacks auswirkt und die Herstellungskosten senkt.
Neben dem neuen Format arbeitet Varta auch an einer besseren Energiedichte seiner Lithium-IonenBatteriezellen. Im vergangenen Jahr gab Konzernchef Schein das Ziel aus, diese um 50 Prozent steigern zu wollen. Damit scheint das Unternehmen voranzukommen. Am Dienstag teilte der Manager mit, dass die Entwicklungen der neuen Lithium-IonenZellen hervorragend liefen. „Die Ergebnisse übertreffen unsere Erwartungen.“
Bislang dominieren asiatische Hersteller den für die Branche wohl aussichtsreichsten Markt für Batteriezellen, die Elektromobilität. In Deutschland sollen zwar auch mehrere Batteriezellenfabriken entstehen, allerdings fast immer auf Initiative von Unternehmen wie CATL (China), Panasonic (Japan) oder LG und Samsung (Südkorea), die ohnehin schon über erhebliche Marktanteile verfügen. Europäische Hersteller haben ähnliche Vorhaben bislang nur angekündigt: Am Montag teilte der größte Autokonzern Europas mit, den Aufbau einer internen Zellfertigung an mindestens sechs Standorten, darunter Salzgitter, angehen zu wollen. Dabei arbeiten die Wolfsburger mit Firmen wie Northvolt aus Schweden zusammen. Laut aktuellen Planungen könnten in den sechs VW-Gigafabriken bis 2030 Batteriezellen mit einem Gesamtenergiegehalt von jährlich 240 Gigawattstunden (GWh) hergestellt werden.
Die Ankündigung von VW dürfte auch als Angriff auf Tesla gewertet werden. Tesla-Chef Elon Musk hatte zuvor erklärt, seine neue Fabrik in Grünheide bei Berlin solle gleichzeitig auch die weltgrößte Batteriefabrik werden.