Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Geschichte der angeblich verbotenen Schokolade
Der schwäbische Hersteller Ritter Sport beklagt, eine neue Sorte nicht als Schokolade bezeichnen zu dürfen – Experten sehen darin eine PR-Kampagne
RAVENSBURG - Bei Ritter Sport im schwäbischen Waldenbuch hat man kein Problem damit aufzufallen. So knallbunt wie die quadratischen Verpackungen der Ritter-Sport-Schokoladen strahlen auch die Autos einiger Mitarbeiter. Die Angestellten können ihre Fahrzeuge kostenlos mit einer Folie beschichten lassen – rot wie die Sorte Marzipan oder hellblau wie Alpenmilch. Der Ritter-Sport-Chef Andreas Ronken selbst fährt ein knusperflakes-gelbes Auto. Aufmerksamkeit ist gut, Aufmerksamkeit stärkt die Marke. Das ist das Credo in der nahe Tübingen gelegenen Zentrale.
Immer wieder zieht Ritter Sport auch das Interesse durch besondere, meist limitierte, Schokoladensorten auf sich. So gab es mal die Sorte Einhorn mit dem Slogan „Quadratisch. Magisch. Gut“oder die Edition „Äffle und Pferdle“, benannt nach den schwäbisch sprechenden Zeichentrickfiguren des Südwestrundfunks. Auch zuletzt machte das Unternehmen mit einer neuen Schokoladensorte Schlagzeilen. Dieses Mal schoss Ritter Sport aber über das Ziel hinaus, finden PR-Experten.
Anfang Februar beklagte sich der Schokoladenhersteller öffentlich, dass seine neue limitierte Sorte „Cacao y Nada“(„Kakao und nichts“) in Deutschland nicht Schokolade heißen dürfe. Die neue Sorte bestehe zu 100 Prozent aus Kakao – aus Kakaomasse, Kakaobutter, Kakaopulver und Kakaosaft. Zum Süßen werde der natürliche Kakaosaft verwendet. In Deutschland sei aber in der Lebensmittelverordnung vorgeschrieben, dass „Schokolade ohne Zusatz von Zucker nicht Schokolade heißen darf “, schrieb das Unternehmen. „Das ist absurd“, wetterte RitterSport-Chef Andreas Ronken.
Natürliche Süße werde vom deutschen Lebensmittelrecht abgestraft. Das könne nicht sein. „Unser Lebensmittelrecht muss mit Innovationen dieser Art Schritt halten“, forderte Ronken, „wenn Wurst aus Erbsen sein darf, braucht Schokolade auch keinen Zucker. Aufwachen! Das ist die neue Realität.“
Es dauerte nicht lange, da fand die Klage von Ritter Sport weite Verbreitung. Medien und Verbraucher echauffierten sich, kritisierten bürokratische Vorgaben, Kakao- und Zuckerverordnungen. Man fühlte sich an die Bio-Limonade des Hamburger Herstellers Lemonaid erinnert. Die war bereits mehrmals von Lebensmittelkontrolleuren beanstandet worden, weil sie weniger Zucker enthält, als in den Leitsätzen für Limonade vorgesehen.
Im Falle von Ritter Sport heißt es beim Blick in die kritisierte Kakaoverordnung zunächst wirklich, Schokolade sei ein „Erzeugnis aus Kakaoerzeugnissen und Zuckerarten“. Kurzum: In Schokolade müssen auch
Zuckerarten enthalten sein. Die Zuckerartenverordnung listet hier Raffinade, Weißzucker oder Fruktose auf. Vom Kakaosaft als Süßungsmittel ist tatsächlich nicht die Rede. Aber: Die Kakaoverordnung enthält den Zusatz „Zuckerarten im Sinne dieser Verordnung sind auch andere als die in der Zuckerartenverordnung aufgeführten Erzeugnisse“. Wäre somit nicht auch Kakaosaft möglich?
Bald schlichen sich Zweifel ein, ob Ritter Sport die Lebensmittelverordnungen nicht strenger ausgelegt hatte, als das Unternehmen müsste. Der Aufmerksamkeit wegen. Sogar Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte in der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“: „Die Kakaoverordnung begrenzt die Verwendung zuckerhaltiger Zutaten nicht auf bestimmte Zuckerarten. Deshalb müsste ein Produkt, das natürlichen Kakaosaft verwendet, nach Einschätzung unseres Ministeriums auch unter der Bezeichnung Schokolade verkauft werden dürfen.“PRExperten bewerten die Meldung Ritter
Sports deshalb als eine PR-Kampagne. „Das ist schon gezielt platziert worden“, sagt Annika Schach, Professorin für Angewandte Public Relations an der Hochschule Hannover. „Zuerst ist das in der 'Bild-Zeitung' erschienen.“Hier seien die Informationen also wohl als erstes gezielt platziert worden. „Und die 'Bild-Zeitung' ist natürlich direkt drauf angesprungen“, sagt Schach.
Für besonders gelungen hält sie die Kampagne nicht. „Es war nicht ganz korrekt kommuniziert, es war eine Falschaussage beziehungsweise eine Aussage, die nicht alles berücksichtigt, und das ist in der Kommunikationsbranche ein No-Go.“Es gebe zwar viele Unternehmen oder Marken, „die mit der Verwirrung spielen und die Dinge ein wenig satirisch überhöhen“. Aber bei Ritter Sport habe es eben keine Auflösung der Meldung als PR-Kampagne gegeben und auch keine deutliche humoristische Herangehensweise. Im Gegenteil: Die Aussage der Ritter-Sport-Meldung habe staatliche Institutionen beziehungsweise Verordnungen angegriffen. „Ich weiß nicht, ob das gesellschaftlich in der derzeitigen Situation richtig ist und ob das der Marke insgesamt guttut“, sagt Schach.
Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR), ein Kontrollorgan in der PR-Branche, schaut sich den Fall derzeit genauer an. Für Lars Rademacher, den Vorsitzenden des DRPR und Medien-Professor in Darmstadt, handelt es sich um einen Grenzfall. „Auf der einen Seite ist Ritter Sport ganz klar mit einer falschen Behauptung ins Land gezogen – dass man das Produkt, das sie neu rausbringen, nicht Schokolade nennen darf. Ihr Produkt hätte man vermutlich einfach Schokolade nennen können – dann aber wäre der Effekt nicht da gewesen. Ritter Sport hat mit dieser Sachlage gespielt“, sagte Rademacher der „Wirtschaftswoche“.
Doch damit ist der Fall nicht endgültig abgeschlossen. Denn Ritter Sport selbst will die Aussagen der PR-Branche auf keinen Fall stehen lassen: Ob die Schoko-Meldung eine Kampagne war? „Eine Kampagne ist eine Aktion mit einem definierten
Ziel“, sagt Unternehmenssprecherin Petra Fix auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „In diesem Sinne also: Ja, wir haben über unterschiedliche Kanäle kommuniziert, dass wir eine neue limitierte Sorte rausbringen und dass wir sie nicht Schokolade nennen dürfen.“Das sei aber keinesfalls eine Falschaussage. „Woher hat der Deutsche Rat für Public Relations die Kenntnisse über die Rezeptur, um das lebensmittelrechtlich bewerten zu können?“, fragt Fix.
Die Sprecherin beharrt darauf – auch wenn es kurios klingt – dass „das, was wir einsetzen, nicht den Vorgaben entspricht. Wir sind also weiterhin der Meinung, dass die Sorte nicht Schokolade genannt werden darf.“Zur Begründung sagt sie: Die Kakoverordnung sehe zwar „andere Zuckerarten“vor. Aber was konkret darunter zu verstehen sei, verrate die Verordnung nicht. Dazu sei auf die weiterführende Literatur zurückzugreifen – die sogenannten Kommentare. Darin hieße es, dass „süßende Lebensmittel“nicht als Zuckerart im Sinne der Kakaoverordnung gelten. Süßende Lebensmittel seien zum Beispiel Honig oder Birnendicksaft. „Auch Kakaosaft fällt unserer Meinung nach in diese Kategorie, weil sein Zuckergehalt vergleichsweise niedrig ist“, heißt es seitens des Unternehmens.
Ritter Sport wolle sich keinem Verbrauchertäuschungsvorwurf aussetzen und etwas Schokolade nennen, wenn es nicht so genannt werden dürfe. „Das wäre für uns als Marke bei Weitem schlechter und schädlicher, als den Finger in die Wunde zu legen“, sagt Fix.
„Unser Ziel ist es, Innovationen auf den Markt zu bringen, wie die Schokolade mit Kakaosaft, und diesem Innovationsgedanken werden die Lebensmittelverordnungen nicht gerecht. Das ist kein Anprangern, sondern das ist eine Tatsache“, sagt Fix. Daran können auch die Aussagen der Ministerin nichts ändern. „Wenn ich die Aussage von Frau Klöckner als rechtskräftig sehen darf und sie damit quasi die Kakao-Verordnung ergänzt, dann tun wir das gerne. Aber ich glaube nicht, dass es so gedacht war“, sagt Fix.
In jedem Fall: Die limitierte Sorte „Cacao y Nada“hätte am Ende – wohl auch wegen der ganzen Aufmerksamkeit – nicht erfolgreicher sein können. Das dürfte Ritter Sport freuen, ein Unternehmen das zuletzt Umsatzrückgänge verkraften musste. Im vergangenen Jahr erlöste Ritter Sport 470 Millionen Euro. 2019 waren es Erlöse von rund 480 Millionen Euro, neun Millionen weniger als im Jahr davor. Nach nur wenigen Tagen waren die insgesamt 2300 Tafeln der „Cacao y Nada“ausverkauft. Wer jetzt noch eine Schokoladentafel haben will, muss bei Ebay bis zu 40 Euro für sie hinlegen. Für eine Schokolade, die keine sein darf. Angeblich.