Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Abschied von der Beitragsgarantie
Verbraucherschützer raten vom Neuabschluss einer Kapitallebensversicherung explizit ab
STUTTGART - In geldpolitischen Phasen wie diesen bleibt auch die Kapitallebens- oder Rentenversicherung von der anhaltenden Zinsflaute nicht verschont. Dabei soll eine solche Police, die wegen ihrer weiten Verbreitung einen Klassiker der Geldanlage darstellt, der versicherten Person eine feste jährliche Mindestrendite (Garantiezins) zusichern. Versprachen die deutschen Versicherer in den 1990er-Jahren teilweise noch vier Prozent, soll der Garantiezins laut Finanzministerium ab 2022 nur noch bei 0,25 Prozent liegen. Aktuell werden bei Abschluss einer klassischen Lebensoder Rentenversicherung maximal noch 0,9 Prozent gewährleistet. Davon bleiben nach Abzug aller Kosten durchschnittlich nur 0,14 Prozent übrig, wie die Verbraucherratgeber von Finanztip vorrechnen. Immerhin, Altanleger bleiben von der schrittweisen Absenkung des Garantiezinses unberührt. Lediglich neue Policen sind betroffen.
Wichtig zu wissen ist, dass sich die Mindestverzinsung nur auf den Sparanteil bezieht, also den Teil des monatlichen Beitrags, der nach Abzug der Kosten für Vertrieb, Verwaltung und – im Fall von Lebensversicherungen – für den Todesfallund Hinterbliebenenschutz übrig bleibt. Zählt man nun zum Garantiezinssatz, der zu Vertragsbeginn festgesetzt wird, noch den sogenannten laufenden Überschuss hinzu, ergibt sich die laufende Verzinsung. Diese ist nach Angaben des Versicherungsverbandes
GDV innerhalb von zehn Jahren von gut vier auf
2,29 Prozent (2020) gesunken. Eventuell gibt es zum Vertragsende noch einen Bonus obendrauf in Form eines Schlussüberschusses, der wie die laufenden Überschüsse nicht garantiert ist. Da die deutschen Lebensversicherer aber gesetzlich verpflichtet sind, die Beiträge ihrer
Kunden vorsichtig zu kalkulieren, seien „Überschüsse in aller Regel zu erwarten“, heißt es dazu beim GDV.
Indessen hat das Gros der deutschen Lebensversicherer aufgrund des herrschenden Zinsdrucks die Überschussbeteiligung für 2021 weiter heruntergeschraubt – und zwar auf durchschnittlich 2,08 Prozent, wie eine Auswertung des Ratinghauses Assekurata ergeben hat. Ohnehin macht es die Niedrigzinsphase der Assekuranz immer schwerer, ihre hochverzinsten Altverträge zu bedienen. Aus diesem Grund geht eine wachsende Zahl von Anbietern dazu über, im Neugeschäft zunehmend Produkte mit reduzierten Garantien zu vertreiben. Bei diesen Policen wird nur noch ein Teil des Vertragskapitals garantiert verzinst. Den anderen Teil können Versicherer in chancenreichere Anlageklassen investieren, wodurch den Kunden wiederum höhere Renditen winken, sagen zumindest die Versicherer. Bei Verbraucherschützern kommt diese Strategie nicht besonders gut an. „Diese sogenannten Innovationen dienen natürlich nur dazu, das Geschäftsfeld der klassischen Lebensversicherung zu erhalten“, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Eine hundertprozentige Kapitalgarantie sei praktisch nicht mehr möglich – schließlich müssten die Versicherer ihre eigenen Kosten erwirtschaften, die über die gesamte Vertragslaufzeit die Erträge um rund einen Prozentpunkt jährlich reduzierten. Damit geht auch die Zeit 100-prozentiger Beitragsgarantie zu Ende. Neukunden können daher künftig nicht mehr mit dem vollen Erhalt ihrer eingezahlten Gelder rechnen, außer bei Vorsorgekonzepten.
Stattdessen werden in Neuverträgen häufig fondsbasierte Modelle angeboten, mit einer gesicherten Ausschüttung von 60, 80 oder maximal 90 Prozent der Beiträge. Durch den Verzicht auf Sicherheit entstehen dabei zwar Chancen auf höhere Überschüsse. „Ob der Kunde die aber wirklich bekommt, ist ungewiss, während die Vertriebsprovisionen und die Kosten in jedem Fall in Rechnung gestellt werden“, sagt Nauhauser.
Vor diesem Hintergrund rät er ebenso wie Finanztip davon ab, eine Kapitallebensversicherung neu abzuschließen. Einzig, wenn Bedarf für eine lebenslange Leibrente bestünde, sei es im Einzelfall zu prüfen. Auch die Experten von Finanztest sehen den Neuabschluss von Kapitallebensversicherungen für die Geldanlage als „überholt“an. Ungeachtet dessen haben die neuen Policen, die den Kunden unter der Etikette „Neue Klassik“schmackhaft gemacht werden, 2020 erstmals die klassischen Tarife überflügelt. Warum man eine Police nicht vorschnell kündigen sollte, soll in der kommenden Woche besprochen werden.