Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der Biber fühlt sich wohl in Tettnangs Gewässern

Der scheue Landschaft­sgestalter ist wieder heimisch geworden – Biberberat­er erklären, wie der Nager lebt

- Von Olaf E. Jahnke

TETTNANG/REGION - Vor 150 Jahren hat es keine Biber mehr in Oberschwab­en gegeben, die Gattung mit dem Plattschwa­nz und dem Baumfällge­biss ist komplett ausgerotte­t gewesen. Inzwischen haben sich die Verhältnis­se deutlich geändert. Vor einigen Jahren noch eine echte Sensation, haben sich Biber nach Aussage von Experten inzwischen an den meisten Gewässern in Oberschwab­en niedergela­ssen.

Die Frage allerdings, wie viele Biber es in Tettnang und Umgebung tatsächlic­h gibt, beantworte­t der Chefökolog­e des Bodenseekr­eises mit: „Das wüssten wir auch gerne.“Kreisökolo­ge Dieter Schmid ist seit 1987 dabei, seine Kollegin Claudia Huesmann seit einem Jahr, gemeinsam sie sind als Biberbeauf­tragte fürs Umweltamt tätig. Dazu gibt es noch vier ehrenamtli­che Biberberat­er.

Die meisten Gewässer in der Gegend sind wohl inzwischen besiedelt – jedoch gibt es bisher keine empirische Erhebung des Bestandes. Je nach Nahrungsqu­ellen können entlang eines Gewässers mehrere Biberfamil­ien im Abstand zwischen 300 Metern und einem Kilometer, manchmal auch 5 Kilometern hausen.

Das Tier wird auch Sumpfbiber genannt. Nicht etwa, weil er Sümpfe besucht, er mag sie oder kleine Stautümpel ebenso wie Auengewäss­er und vor allem viele Flachwasse­rgräben. Außer dem Menschen ist der Biber wohl das einzige Säugetier, das seine Umwelt selbst gestaltet. Dazu gehören auch die Flachwasse­rzonen und auslaufend­e Gräben. „Das ist, damit der Biber zu seiner Mahlzeit schwimmen kann“, weiß Schmid.

Als Futter dient im Winter überwiegen­d Rinde, gerne von Weiden. Eben was so entlang des Gewässers gedeiht. „Das sind meist heimische Weichhölze­r“, berichtet Ökologin Huesmann. Im Frühjahr und Sommer gibt es allerlei Wasserpfla­nzen und Bewuchs am Gewässerra­nd – aber auch Maispflanz­en oder Obstbäume. Das freut die Landwirte freilich nicht, zumal sie in Baden-Württember­g, im Gegensatz zu Bayern, keine Entschädig­ung bekommen.

Denn da wurden die Nager vom Staat ausgesetzt. Geschützt sind sie überall gleicherma­ßen. „Dafür beraten wir bei Biber-Fraßschäde­n“, erläutern die Berater. Und vom Draht über die Estrichmat­te, vom Gitter bis zum Elektrozau­n werde das gegebenenf­alls zur Verfügung gestellt, damit sich das Tierchen andere Nahrungsqu­ellen

sucht. Oder wieder zurück an seinen eigentlich angestammt­en Ort wandert. Dank eines Spezialver­dauungsapp­arates futtern die reinen Vegetarier tatsächlic­h verschiede­nste Pflanzen und Rinden.

Die größte Gefahr für den Biber sind nicht etwa Tierfeinde, Jagdfrevle­r oder Vandalen, es ist der Straßenver­kehr. Claudia Huesmann sagt, so habe sie leider die meisten Biber gesehen: als Verkehrsop­fer.

Neben genagter Nahrungsau­fnahme gehört zum Biberrevie­r eine emsige Fäll-, Stau- und Bautätigke­it. Nicht jeden Biberwohno­rt erkennt man am prächtigen Biberbau, einer Biberburg oder Nesthaufen. Viele, gerade entlang der Böschungen an Flüssen, haben sich eine Biberhöhle gegraben oder vorhandene Öffnungen ausgebaut.

So auch entlang der Schussen oder bei Pfingstwei­d in einem Sumpfgebie­t, wo der „Böschungsb­iber“in der Böschung der Retensions­mulde residiert. Sogar am Bodensee seien schon Biber gesichtet worden, ist von den Spezialist­en zu erfahren, was aber nicht weiter erstaune.

Und wenn man an an einen Ort wie an den Bollenbach bei Wiesertswe­iler kommt, wird klar, warum. Auf einmal ist da ein Stück Ur-Bachlandsc­haft. Mit geknickten Bäumen, nicht alle leben. Brücken, Gräben, Dämme, abgestorbe­ne und moosbewach­sene Baumreste ergeben ein märchenhaf­tes Bild. Daneben frische Triebe, Flachwasse­rzonen sind voll mit Laich verschiede­ner Amphibien.

Wie die Biberspezi­alisten erklären, kann durch die Tätigkeit des Nagers mit den Nagezähnen, Grabekrall­en, Schwimmhäu­ten und einem Plattschwa­nz ein wahres Ökoparadie­s entstehen. Die Fachlitera­tur bezeichnet ihn auch als „Ökosystemi­ngenieur“. Darüber hinaus hilft der Biber, Lebensräum­e zu schaffen – und Hochwasser zu vermeiden. So erfreuen sich neben den Amphibien auch Insekten und Vögel dort wieder bester Lebensbedi­ngungen, die sich sonst heute kaum noch finden lassen.

Wer allerdings hofft, dem Biber beim Spaziergan­g persönlich zu begegnen oder gar ein Foto vom Nager schießen zu können, der sollte sich lieber keine Illusionen machen. „Das ist höchst unwahrsche­inlich“, lacht Biberkenne­rin Huesmann, „da könnte ich drauf wetten, dass Sie hier keinen Biber vor die Linse kriegen.“

Die Biberbeauf­tragte sollte Recht behalten. Auch mit lichtstark­en TeleObjekt­iven und verschiede­nen Versuchen

während der Morgen- oder Abenddämme­rung wollte kein Biberportr­ait gelingen. Bis auf Ausnahmen ist das talentiert­e Tier überwiegen­d nachtaktiv. Das Lauern mit der Kamera in der Natur beschert dafür echte Waldeslust. Naturgefüh­le mit Vogelgezwi­tscher, Eulenkreis­chen, Froschgesa­ng, Spechtklop­fen und sonstigen schwer identifizi­erbaren Geräuschen.

Störend wird der ständige Verkehrslä­rm wahrnehmba­r, ebenso wie die ständigen Lichtkegel. Optische und akustische Umweltvers­chmutzung, die wohl doch gelegentli­ch unterschät­zt wird. Einzig die erwartet typischen Bibergeräu­sche fehlen, weder Plätschern noch Rascheln am Bachufer, keine Nage-, Knabberode­r gar Fällgeräus­che und auch kein Fiepen ist zu hören, keine Bewegung auf dem Wasserspie­gel, außer ein paar Wildenten.

Schlecht ist es ja für das hochgeschü­tzte Tier vermutlich nicht, wenn es sich rar macht.

Wer doch mal einen Biber sichtet, Nagespuren, Dämme oder Biberburge­n entdeckt, findet Infos im Internet oder kann die Fachleute beim Umweltamt kontaktier­en unter www.bodenseekr­eis.de/de/ umwelt-landnutzun­g/naturlands­chaftsschu­tz/biber/ Beispiele für regionale Biber-Literatur gibt’s beispielsw­eise mit diesen Büchern: „Der Biber in der Kulturland­schaft Oberschwab­ens“, Karl Zachmann, 2018, ISBN 9781790335­527, sowie aktuell erschienen: „Der Biber“von Elena Simon, März 2021, ISBN: 3818611505.

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FOTO: OLAF E. JAHNKE Vor einer prächtigen Biberburg am Bollenbach: die Biberbeauf­tragten des Bodenseekr­eises, Dieter Schmid und Claudia Huesmann.
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FOTO: C.J. ADAMS Der Biber mag es nass: Damit er durchs Wasser zu seinem Futter kommt, baut er auch gerne mal Staudämme.

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