Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Gefährdete Idylle Totensteig
Hegemer wehren sich gemeinsam gegen die Aussiedlungspläne des Nonnenhorner Winzers Hornstein
WASSERBURG/NONNENHORN - Eine ewig lange Unterschriftenliste, ein ausführlicher Leserbrief, Kinderproteste in Form von Zeichnungen – für die Hegemer ist klar: Sie wollen weder einen Weinbaubetrieb noch eine Vinothek auf dem Totensteig. Was die alte Dorfgemeinschaft vor vielen Jahren schon einmal zu verhindern wusste, will die neue heute ebenfalls nicht geschehen lassen. Um zu erreichen, dass die idyllische Hügelkuppe mit der spektakulären Aussicht auch in Zukunft unbebaut bleibt, sind den Hegemern viele gute Argumente recht. Allem voran setzen sie aber auf eines: auf die Kraft einer Dorfgemeinschaft.
Nach den letzten Hegemer Häusern ist es nicht mehr weit. Sanft schlängelt sich die schmale Straße den Hügel hinauf. Vorbei geht es an blühenden Obstbäumen und Wiesen., Bienen und andere Insekten summen. Die Vögel zwitschern. Die Sonne strahlt vom azurblauen Himmel. Von hier aus reicht der Blick weit über die Wasserburger Halbinsel, den See bis hin zu den Schweizer Bergen. Idylle pur, wie aus dem Bilderbuch. Und eine Aussicht wie auf einer dieser Ansichtskarten, die Urlauber jedes Jahr nach Hause schicken.
Die Kuppe des Hügels, der sogenannte Totensteig, krönt ein prächtiger Walnussbaum. Genau hier soll es sein, hierhin will der junge Nonnenhorner Winzer Josef Hornstein mit dem väterlichen Weinbaubetrieb aussiedeln und ein viergeschossiges Gebäude bauen inklusive Weinbearbeitung, Vermarktung, Saisonarbeiterunterkünften, Degustation und Vinothek. Und genau hierher laden die Hegemer ein, um zu erklären, warum sie auf keinen Fall wollen, dass es so weit kommt.
Ein gutes Dutzend Hegemer sind zu diesem Termin erschienen. Alteingesessene ebenso wie Neuzugezogene. Junge wie Alte. Landwirte, Studierte, Arbeiter. Ein repräsentativer Querschnitt der Hegemer Gesellschaft, wie eine Hegemerin sagt. Aber es seien noch viel mehr, die gegen das Hornsteinsche Bauprojekt seien, versichert Dieter Zimmer mit einer Unterschriftenliste in der Hand. Allein „weit über hundert“Unterschriften habe er innerhalb von zwei Tage gesammelt. Und da sei er nur durch die Altgemeinde Hege gegangen. „Ich hab in Hege keinen einzigen Befürworter gefunden“, sagt er und erzählt, dass die Leute ihn und seine Liste mit „offenen Armen“empfangen hätten. Und unter den Unterschreibern seien nicht einmal jene Wasserburger dabei, die wegen einer Beteiligung nachgefragt hätten, ergänzt Sven Laule. Aber das braucht es auch gar nicht. Denn allein diese Liste hat schon ausgereicht, um etwas zu bewirken. Nämlich dass sich der gesamte Wasserburger
Bauausschuss gegen das Bauvorhaben ausgesprochen hat, das zwar auf Nonnenhorner Grund liegt, allerdings über Wasserburger Gebiet erschlossen werden muss, um überhaupt eine Chance auf Realisierung zu haben. Der Wasserburger Bürgermeister Harald Voigt hatte mit einer entsprechenden Erklärung auf Facebook keinen Zweifel an der Haltung der Gemeinde gelassen und eindeutig in Richtung Nonnenhorn gefeuert: „Der Gemeinderat setzt auf die weiterhin sehr guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Nonnenhorn, die durch eine derartige massive Bebauung an der direkten Gemarkungsgrenze gestört werden.“
„Das hat uns sehr gefreut, dass der Bürgermeister und der Gemeinderat so hinter uns stehen“, sagt Anita Walser. Was auch recht und billig sei, denn langfristig gesehen hätte Wasserburg nur Nachteile, gibt ein anderer Hegemer zu bedenken und schildert bildhaft. „Das hier ist Nonnenhorner Gebiet, aber das Dreckwasser fließt nach Wasserburg.“Außer Lärm und Ärger habe Wasserburg nichts davon. Die Gewerbesteuer kassiere schließlich Nonnenhorn. „Wir haben Anfang der 1960er Jahren schon einmal dafür gekämpft dass die Halde frei bleibt“, sagt Rosemarie Klein im Laufe des Gesprächs. Die gebürtige Hegemerin erzählt, dass damals Bauwillige schon ihre Parzellen abgesteckt hätten, dann aber alles wieder zurückgenommen haben, nachdem sich die Dorfgemeinschaft gegen eine Bebauung jedweder Art gestellt hatte. „Wenn’s die Gemeinschaft nicht will, dann bauen wir hier auch nicht“, habe der Tenor gelautet, der vor 60 Jahren schon das Naherholungsgebiet
der Hegemer gerettet hatte.Auf diese Kraft der Gemeinschaft setzen die Hegemer auch heute wieder. Trotzdem haben sie zusätzlich noch jede Menge Argumente gesammelt, die gegen jene Bebauung sprechen, von der die Hegemer als „Festung“und „Megaprojekt“sprechen und keine geringeren Adjektive als „monströs“oder „gigantisch“finden. Denn ihres Wissen nach will der junge Winzer die Grundstücksgrenzen bis zum letzten möglichen Meter ausnützen. Aber eigentlich ist es egal, ob Josef Hornstein hier eine kleine Hütte oder ein Riesending hin stellen will. „Wir sind alle miteinander der Meinung: Auf den Totensteig gehört überhaupt nichts drauf“, bringt es ein Hegemer auf den Punkt. Schließlich sei dieses Gebiet noch eines der wenigen, das noch unverbaut sei. Ein einziges Gebäude reiche aus, um Nachahmer zu finden, so die Befürchtung. „Wenn’s der eine darf, darf ’s der nächste auch. Und das wollen wir nicht.“Bisher sei Hege dank einer Ortsabrundungssatzung eine geschlossene Siedlung geblieben. Krach von hier oben schalle bis runter ins Dorf. „Wenn hier Musik spielt, das hört man unten an der Kirche“, behauptet ein Eigentümer. „Es muss nicht mal Musik sein, es reichen schon Gespräche, oben am Waldrand. Das hört man bei uns auf der Terrasse“, veranschaulicht eine Frau. Und ein Mann betont, „und das sind nicht mal Festivitäten“.
Ein großes „Herzensanliegen“neben dem Lärm ist auch der Verkehr, den die Anwohner fürchten. Kein Wunder, scheint doch die Struktur des Dorfes mit seinen engen Sträßchen, die sich zwischen den Häusern hindurch schlängeln, nicht unbedingt geeignet für viel Verkehr. Allein der Gedanke an Gegenverkehr treibt da den Angstschweiß auf die Stirn. Dass dann die Eltern ihre Kinder nicht mehr ohne Bangen um deren Unversehrtheit auf der Straße mit Straßenkreide malen oder Skateboard fahren lassen können, liegt auf der Hand. Und die Kinder bangen wiederum um ihren Spielraum. Diese Angst haben sie in Zeichnungen ausgedrückt, die Anita Walser mitgebracht hat. Doch auch das ist etwas, was die Lebens- und Wohnqualität von Hege ausmacht. Oder, wie eine Hegemerin sagt, „Herrn Hornsteins Traum ist es hier zu bauen und unser Traum war es, hier in Hege zu wohnen“. In einer dörflichen Gemeinschaft wie dieser, wo es noch zum guten Ton gehört zuerst den Nachbarn zu fragen, ob man bauen darf, bevor es zur Gemeinde geht. Aber auch wo man inmitten einer erhaltenswerten „Kulturlandschaft“lebt, mit „Wald und Moor“und wo sich „Fuchs und Hase noch gute Nacht sagen“. „Unsere Befürchtung ist, wenn hier die Gastronomie kommt oder auch nur das Riesengebäude, dass für uns die Lebensqualität gewaltig sinkt“, so Herbert Hund. Und Sven Laule meint, „es wäre echt schade, wenn sich monetäre Einzelinteressen gegen die einer ganzen Gemeinde durchsetzen würden“.
Drei von vielen anderen Meinungen, an denen auch Josef Hornsteins „sympathische“, „angenehme“Art nichts zu ändern vermochte, mit der der Winzer den Hegemern bei einem „aufklärenden“Gespräch begegnet ist, um ihnen mutig Rede und Antwort zu stehen und sie von seinem Vorhaben zu überzeugen. Einig sind sich die Hegemer auch, dass die Hornsteins geeignetere Flächen als das Stück Hügel auf dem Totensteig besitzen, um zwar nicht unbedingt mit der Vinothek, sehr wohl aber mit ihrem Weinbaubetrieb, auszusiedeln. Denn nichtsdestotrotz wollen die Hegemer zwar mit aller Gegenwehr ihre eigenen Interessen wahren. „Aber“, so sind sich Anita und Harald Walser, Herbert Hund, Dieter Zimmer, Kirsten Arlt, Andreas und Ute Schmid, Andrea und Sven Laule sowie all die anderen Hegemer einig, „es geht uns definitiv nicht darum, der Familie Hornstein Böses zu wollen und auch nicht darum, grundsätzlich die Aussiedlung eines Weinbaubetriebs zu verhindern“.