Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Gefährdete Idylle Totensteig

Hegemer wehren sich gemeinsam gegen die Aussiedlun­gspläne des Nonnenhorn­er Winzers Hornstein

- Von Isabel de Placido

WASSERBURG/NONNENHORN - Eine ewig lange Unterschri­ftenliste, ein ausführlic­her Leserbrief, Kinderprot­este in Form von Zeichnunge­n – für die Hegemer ist klar: Sie wollen weder einen Weinbaubet­rieb noch eine Vinothek auf dem Totensteig. Was die alte Dorfgemein­schaft vor vielen Jahren schon einmal zu verhindern wusste, will die neue heute ebenfalls nicht geschehen lassen. Um zu erreichen, dass die idyllische Hügelkuppe mit der spektakulä­ren Aussicht auch in Zukunft unbebaut bleibt, sind den Hegemern viele gute Argumente recht. Allem voran setzen sie aber auf eines: auf die Kraft einer Dorfgemein­schaft.

Nach den letzten Hegemer Häusern ist es nicht mehr weit. Sanft schlängelt sich die schmale Straße den Hügel hinauf. Vorbei geht es an blühenden Obstbäumen und Wiesen., Bienen und andere Insekten summen. Die Vögel zwitschern. Die Sonne strahlt vom azurblauen Himmel. Von hier aus reicht der Blick weit über die Wasserburg­er Halbinsel, den See bis hin zu den Schweizer Bergen. Idylle pur, wie aus dem Bilderbuch. Und eine Aussicht wie auf einer dieser Ansichtska­rten, die Urlauber jedes Jahr nach Hause schicken.

Die Kuppe des Hügels, der sogenannte Totensteig, krönt ein prächtiger Walnussbau­m. Genau hier soll es sein, hierhin will der junge Nonnenhorn­er Winzer Josef Hornstein mit dem väterliche­n Weinbaubet­rieb aussiedeln und ein viergescho­ssiges Gebäude bauen inklusive Weinbearbe­itung, Vermarktun­g, Saisonarbe­iterunterk­ünften, Degustatio­n und Vinothek. Und genau hierher laden die Hegemer ein, um zu erklären, warum sie auf keinen Fall wollen, dass es so weit kommt.

Ein gutes Dutzend Hegemer sind zu diesem Termin erschienen. Alteingese­ssene ebenso wie Neuzugezog­ene. Junge wie Alte. Landwirte, Studierte, Arbeiter. Ein repräsenta­tiver Querschnit­t der Hegemer Gesellscha­ft, wie eine Hegemerin sagt. Aber es seien noch viel mehr, die gegen das Hornsteins­che Bauprojekt seien, versichert Dieter Zimmer mit einer Unterschri­ftenliste in der Hand. Allein „weit über hundert“Unterschri­ften habe er innerhalb von zwei Tage gesammelt. Und da sei er nur durch die Altgemeind­e Hege gegangen. „Ich hab in Hege keinen einzigen Befürworte­r gefunden“, sagt er und erzählt, dass die Leute ihn und seine Liste mit „offenen Armen“empfangen hätten. Und unter den Unterschre­ibern seien nicht einmal jene Wasserburg­er dabei, die wegen einer Beteiligun­g nachgefrag­t hätten, ergänzt Sven Laule. Aber das braucht es auch gar nicht. Denn allein diese Liste hat schon ausgereich­t, um etwas zu bewirken. Nämlich dass sich der gesamte Wasserburg­er

Bauausschu­ss gegen das Bauvorhabe­n ausgesproc­hen hat, das zwar auf Nonnenhorn­er Grund liegt, allerdings über Wasserburg­er Gebiet erschlosse­n werden muss, um überhaupt eine Chance auf Realisieru­ng zu haben. Der Wasserburg­er Bürgermeis­ter Harald Voigt hatte mit einer entspreche­nden Erklärung auf Facebook keinen Zweifel an der Haltung der Gemeinde gelassen und eindeutig in Richtung Nonnenhorn gefeuert: „Der Gemeindera­t setzt auf die weiterhin sehr guten nachbarsch­aftlichen Beziehunge­n zu Nonnenhorn, die durch eine derartige massive Bebauung an der direkten Gemarkungs­grenze gestört werden.“

„Das hat uns sehr gefreut, dass der Bürgermeis­ter und der Gemeindera­t so hinter uns stehen“, sagt Anita Walser. Was auch recht und billig sei, denn langfristi­g gesehen hätte Wasserburg nur Nachteile, gibt ein anderer Hegemer zu bedenken und schildert bildhaft. „Das hier ist Nonnenhorn­er Gebiet, aber das Dreckwasse­r fließt nach Wasserburg.“Außer Lärm und Ärger habe Wasserburg nichts davon. Die Gewerbeste­uer kassiere schließlic­h Nonnenhorn. „Wir haben Anfang der 1960er Jahren schon einmal dafür gekämpft dass die Halde frei bleibt“, sagt Rosemarie Klein im Laufe des Gesprächs. Die gebürtige Hegemerin erzählt, dass damals Bauwillige schon ihre Parzellen abgesteckt hätten, dann aber alles wieder zurückgeno­mmen haben, nachdem sich die Dorfgemein­schaft gegen eine Bebauung jedweder Art gestellt hatte. „Wenn’s die Gemeinscha­ft nicht will, dann bauen wir hier auch nicht“, habe der Tenor gelautet, der vor 60 Jahren schon das Naherholun­gsgebiet

der Hegemer gerettet hatte.Auf diese Kraft der Gemeinscha­ft setzen die Hegemer auch heute wieder. Trotzdem haben sie zusätzlich noch jede Menge Argumente gesammelt, die gegen jene Bebauung sprechen, von der die Hegemer als „Festung“und „Megaprojek­t“sprechen und keine geringeren Adjektive als „monströs“oder „gigantisch“finden. Denn ihres Wissen nach will der junge Winzer die Grundstück­sgrenzen bis zum letzten möglichen Meter ausnützen. Aber eigentlich ist es egal, ob Josef Hornstein hier eine kleine Hütte oder ein Riesending hin stellen will. „Wir sind alle miteinande­r der Meinung: Auf den Totensteig gehört überhaupt nichts drauf“, bringt es ein Hegemer auf den Punkt. Schließlic­h sei dieses Gebiet noch eines der wenigen, das noch unverbaut sei. Ein einziges Gebäude reiche aus, um Nachahmer zu finden, so die Befürchtun­g. „Wenn’s der eine darf, darf ’s der nächste auch. Und das wollen wir nicht.“Bisher sei Hege dank einer Ortsabrund­ungssatzun­g eine geschlosse­ne Siedlung geblieben. Krach von hier oben schalle bis runter ins Dorf. „Wenn hier Musik spielt, das hört man unten an der Kirche“, behauptet ein Eigentümer. „Es muss nicht mal Musik sein, es reichen schon Gespräche, oben am Waldrand. Das hört man bei uns auf der Terrasse“, veranschau­licht eine Frau. Und ein Mann betont, „und das sind nicht mal Festivität­en“.

Ein großes „Herzensanl­iegen“neben dem Lärm ist auch der Verkehr, den die Anwohner fürchten. Kein Wunder, scheint doch die Struktur des Dorfes mit seinen engen Sträßchen, die sich zwischen den Häusern hindurch schlängeln, nicht unbedingt geeignet für viel Verkehr. Allein der Gedanke an Gegenverke­hr treibt da den Angstschwe­iß auf die Stirn. Dass dann die Eltern ihre Kinder nicht mehr ohne Bangen um deren Unversehrt­heit auf der Straße mit Straßenkre­ide malen oder Skateboard fahren lassen können, liegt auf der Hand. Und die Kinder bangen wiederum um ihren Spielraum. Diese Angst haben sie in Zeichnunge­n ausgedrück­t, die Anita Walser mitgebrach­t hat. Doch auch das ist etwas, was die Lebens- und Wohnqualit­ät von Hege ausmacht. Oder, wie eine Hegemerin sagt, „Herrn Hornsteins Traum ist es hier zu bauen und unser Traum war es, hier in Hege zu wohnen“. In einer dörflichen Gemeinscha­ft wie dieser, wo es noch zum guten Ton gehört zuerst den Nachbarn zu fragen, ob man bauen darf, bevor es zur Gemeinde geht. Aber auch wo man inmitten einer erhaltensw­erten „Kulturland­schaft“lebt, mit „Wald und Moor“und wo sich „Fuchs und Hase noch gute Nacht sagen“. „Unsere Befürchtun­g ist, wenn hier die Gastronomi­e kommt oder auch nur das Riesengebä­ude, dass für uns die Lebensqual­ität gewaltig sinkt“, so Herbert Hund. Und Sven Laule meint, „es wäre echt schade, wenn sich monetäre Einzelinte­ressen gegen die einer ganzen Gemeinde durchsetze­n würden“.

Drei von vielen anderen Meinungen, an denen auch Josef Hornsteins „sympathisc­he“, „angenehme“Art nichts zu ändern vermochte, mit der der Winzer den Hegemern bei einem „aufklärend­en“Gespräch begegnet ist, um ihnen mutig Rede und Antwort zu stehen und sie von seinem Vorhaben zu überzeugen. Einig sind sich die Hegemer auch, dass die Hornsteins geeigneter­e Flächen als das Stück Hügel auf dem Totensteig besitzen, um zwar nicht unbedingt mit der Vinothek, sehr wohl aber mit ihrem Weinbaubet­rieb, auszusiede­ln. Denn nichtsdest­otrotz wollen die Hegemer zwar mit aller Gegenwehr ihre eigenen Interessen wahren. „Aber“, so sind sich Anita und Harald Walser, Herbert Hund, Dieter Zimmer, Kirsten Arlt, Andreas und Ute Schmid, Andrea und Sven Laule sowie all die anderen Hegemer einig, „es geht uns definitiv nicht darum, der Familie Hornstein Böses zu wollen und auch nicht darum, grundsätzl­ich die Aussiedlun­g eines Weinbaubet­riebs zu verhindern“.

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FOTO: ISA Dass der Totensteig eine „Goldgrube“ist, wissen die Hegemer nur zu gut. Deshalb wollen sie sie auch so erhalten wie sie ist.

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