Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Die Menschen sind zur Nähe bereit“
Evangelische und katholische Christen in Tettnang leben die Ökumene ganz pragmatisch
TETTNANG - In diesem Jahr feiert die evangelische Martin-Luther-Gemeinde ihre Konfirmationsgottesdienste in der katholischen St.-Gallus-Kirche, denn dort ist unter Coronabedingungen mehr Platz - ein Novum in Tettnang. Redakteurin Angela Schneider hat mit Pfarrerin Martina Kleinknecht-Wagner und Pfarrer Hermann Riedle über die Ökumene in Tettnang gesprochen.
Wie geht es der Ökumene in Tettnang?
Martina Kleinknecht-Wagner: Die Ökumene ist in unseren Kirchengemeinden gut gewachsen. Ich erlebe eine offene Haltung und einen vertrauensvollen Umgang miteinander, auch in Bezug auf die herausfordernde Coronasituation, die uns alle gleichermaßen betrifft.
Hermann Riedle: Ich bin seit Dezember in der katholischen Kirchengemeinde Pfarrer und erlebe eine wohltuende ökumenische Arbeit auf Augenhöhe. Vieles ist selbstverständlich in der Zusammenarbeit. Dass beide Kirchengemeinden vom Einzugsgebiet deckungsgleich sind, und die evangelischen Mitchristen zahlenmäßig gut vertreten sind, erleichtert das gemeinsame Tun.
Wo kommen evangelische und katholische Christen in Tettnang zusammen? Kleinknecht-Wagner: Im Grunde kommen sie Tag für Tag, in ihrem Alltag, zusammen, es gibt überall Begegnungen. Dann gibt es viele gemeindliche und bewusst ökumenische Veranstaltungen: Gottesdienste und Schülergottesdienste, Trauungen, Taufen, Beerdigungen, und besonders auch in der Frauenarbeit.
Riedle: Es gibt viele konfessionsverbindende Ehepaare und Familien. Wir wollen, dass sich die Menschen in beiden Kirchen willkommen fühlen und wir dafür entsprechende Formen finden. Das gemeinsame Beten und Gottesdienst feiern ist einfach wichtig.
Kommt der Wunsch nach einer Einheit der Christen von der Basis, von den Menschen aus den Gemeinden, oder ist das Sache der Gemeinde- und Kirchenleitungen? Kleinknecht-Wagner: Ganz klar von der Basis, viele Menschen können die Trennung nicht mehr nachvollziehen. Als evangelische Pfarrerin sehe ich, dass Martin Luthers Ansatz nie die Spaltung war. Dazu gehört auch die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft auf Augenhöhe, die Akzeptanz von Unterschieden. Dieser Wunsch ist stark in der Basis verankert – mitsamt dem Unverständnis, dass manche Dinge einfach noch nicht gehen.
Riedle: Das Thema wird stark von den Gemeinden her gelebt, denn die Fragestellungen kommen aus der Praxis: Wie ist eine Feier, etwa eine Taufe oder eine Trauung, möglich? Ich glaube, die Menschen an der Basis wären zu mehr Nähe bereit. Unsere Kirchenleitung tut sich da schwerer. In den vergangenen Jahrzehnten ist auf der theologischen Ebene einiges geklärt worden. Doch in Fragen vom Kirchenverständnis und Amt konnte noch kein Konsens erreicht werden. Den Menschen vor Ort geht das oft zu langsam.
Knackpunkt bleibt für katholische Christen die Einladung zum gemeinsamen Abendmahl beziehungsweise zur Eucharistie. Riedle: Bis heute ist die allgemeine Einladung von evangelischen Christen zur Kommunion noch nicht möglich. Auf der katholischen Seite ist das Amts- und Kirchenverständnis eine große Hürde, da fehlen klärende Gespräche bislang. Doch man versucht, eine Lösung zu finden. Als nächsten Schritt würde ich mir wünschen, dass die gegenseitige Gastfreundschaft möglich ist, das heißt, dass ich als katholischer Christ in einem evangelischen Gottesdienst als Gast am Abendmahl teilnehmen kann, und andersherum. Aber: Wer sich entscheidet, an der Eucharistie teilzunehmen, trifft diese Entscheidung aus seinem Gewissen für sich selbst – und ist auch willkommen. Kleinknecht-Wagner: Die Haltung der evangelischen Kirche ist die: Jesus Christus lädt ein, wir sind zu Gast an seinem Tisch. Und da ist jeder willkommen, also kann jeder teilnehmen.
Was sehen Sie beide für die Zukunft der Ökumene vor sich? Riedle: Wenn ich heute etwas plane, egal ob einen Gottesdienst, eine Veranstaltung in der Gemeinde oder ein Bildungsangebot, lautet meine erste Frage immer, ob wir das als Gemeinden gemeinsam machen können. Denn man muss die Ökumene leben und gemeinsam einüben. Kleinknecht-Wagner: Dass wir unsere Gottesdienste zur Konfirmation, die ja eine Bestätigung der Taufe ist, in diesem Jahr mit seinen ganz besonderen Herausforderungen, in St. Gallus feiern können, ist ein schönes Zeichen. Wir schätzen das sehr. Die Gesellschaft und auch die Kirchen stehen aktuell vor großen Herausforderungen. Wenn wir uns diesen Aufgaben gemeinsam stellen, kann uns dies verbinden und stärken.