Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Noch ein Bahnhof für Stuttgart
Station soll Regionalverkehr nach Südwürttemberg und in den Schwarzwald entlasten
STUTTGART - Stuttgart 21 ist noch lange nicht fertig, da plant Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) den nächsten Bahnhof im Zentrum der Landeshauptstadt. Am Dienstag hat er anhand einer Studie erklärt: „Eine Ergänzungsstation ist baubar und machbar.“Die Details.
Warum braucht es noch einen weiteren Bahnhof in Stuttgart?
Hermann argumentiert mit dem Klimaschutz. Der Verkehr trägt bislang kaum zur Reduzierung von Treibhausgasen bei. Deshalb wollen Landund Bund, dass bis 2030 doppelt so viele Menschen wie heute den öffentlichen Verkehr nutzen. „Die Verdoppelung bekommen wir gerade mal noch hin mit Stuttgart 21“, sagt Hermann. „Aber wenn wir die Nahverkehrszüge und die Metropolexpresszüge weiter ausbauen wollen, müssen wir mehr tun.“Schon aus heutiger Sicht sei der neue S-21-Tiefbahnhof, der mit einigen Jahren Verspätung 2025 in Betrieb gehen soll, an der Kapazitätsgrenze. „Wir sind 2030 am Anschlag, Gleise müssen zum Teil doppelt belegt werden.“Das habe auch der CDU-Koalitionspartner eingesehen und deshalb im neuen Koalitionsvertrag einer Prüfung des Projekts zugestimmt. Auch der Tiefbahnhof für die S-Bahnen sei bereits komplett ausgelastet.
Wie sehen die Planungen für den Ergänzungsbahnhof aus?
Geplant ist ein Kopfbahnhof mit selber Ausrichtung wie der heutige – direkt darunter, in selber Tiefe wie der neue Tiefbahnhof. Hermann plant mit sechs Gleisen, auf denen Züge an der Station halten können.
Ist das alles machbar?
Genau diese Frage hat das Münchener Ingenieursbüro Obermeyer im Auftrag des Verkehrsministeriums geklärt. Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie hat Hermann gemeinsam mit den Planern am Dienstag vorgestellt. Knifflig war, wie S-Bahnen und Regionalzüge in die neue Station geführt werden – zum Teil durch Tunnel, zum Teil oberirdisch. „Die Studie zeigt, dass das Vorhaben technisch realisierbar ist“, so das Fazit von Gerrit Pelz vom Büro Obermeyer. Die Anschlüsse bestehender Zugstrecken seien aus allen Richtungen möglich, so Hermann.
Was kostet das und wer zahlt?
Die Studie spricht von 785 Millionen Euro Gesamtkosten: 233 für die Ergänzungstsation und 552 für den Bau der Zuläufe und Gleise. Mögliche Kostensteigerungen seien darin enthalten, betonen die Planer. Hermann hofft auf Geld aus Berlin: Über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) könnte der Bund 75 Prozent der Kosten tragen, den Rest müssten sich Land, Region Stuttgart und Stadt teilen. Mit dem Großprojekt Stuttgart 21 habe das nichts zu tun, die Finanzierung laufe seperat.
Könnten dadurch andere Bauprojekte auf der Strecke bleiben?
Nein, sagt Hermann. „Wir sehen es nicht in Konkurrenz zu anderen Projekten.“Er verweist auf den Bau einer weiteren S-Bahn-Stammstrecke in München, die für mehrere Milliarden ebenfalls mit GVFG-Mitteln des Bundes finanziert wird. „Wenn wir in Stuttgart ein Projekt planen, das ein Viertel kostet, ist das nicht übergriffig“, sagt Hermann. Ähnlich äußert sich Matthias Lieb, Landesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclub Deutschlands. „Vor zehn Jahren hätte ich deutlich gesagt: Durch Stuttgart 21 werden viele andere Maßnahmen zurückgestellt – etwa die Rheintalbahn.“Doch der Bund stocke derzeit die GVFG-Mittel von 333 Millionen auf zwei Milliarden pro Jahr auf, „und in der Vergangenheit hat Baden-Württemberg immer gut davon profitiert“. Wenn es am Geld hake, liege es in der Regel nicht am Bund, sondern an der Finanzierung der Projektpartner vor Ort.
Welche Konflikte birgt das?
Die Partner, die Hermann für seine Pläne braucht, winken bislang ab. Der Verband Region Stuttgart und die Bahn sehen keinen Bedarf für die Ergänzungsstation und hegen Zweifel am Zeitplan und der Finanzierung. Die Stadt Stuttgart fürchtet indes Verzögerungen für eigene Vorhaben. Sobald die oberirdischen Gleise zum noch bestehenden Kopfbahnhof weg sind, soll ein neues Stadtviertel entstehen. „Wir wollen, dass dort über 10 000 Menschen eine Wohnung finden, Arbeitsplätze entstehen oder dass Einrichtungen wie Schulen und Kitas gebaut werden können“, sagt ein Stadtsprecher der
Deutschen Presseagentur. Hermann beschwichtigt: Die Planungen der Stadt würden kaum beeinträchtigt – wenn denn sofort begonnen würde.
Wie ist ein möglicher Zeitplan?
In zwölf bis 13 Jahren könnte der neue Bahnhof laut Planern stehen. „Das ist sicherlich sportlich“, räumt Hermann ein. Allein sechs bis sieben Jahre seien nötig für alle Planungen und Genehmigungen. Hermanns Ziel: Sobald das Gleisbett des bestehenden Kopfbahnhofs weg ist, sollte mit dem Bau begonnen werden – so ließen sich Verzögerungen bei den städtebaulichen Vorhaben verhindern. „Zu späterem Zeitpunkt wird es immer schwieriger oder unmöglich, die Ergänzungsstation in bestehende Planungen zu integrieren“, sagt Ingenieur Pelz.
Wie geht es nun weiter?
Die Machbarkeit sei nun belegt. „Jetzt müssen wir nachweisen, dass es ein Betriebskonzept dafür gibt und was es leisten kann“, auch der volkswirtschaftliche Nutzen müsse belegt und die Finanzierung geklärt werden. „Die Voraussetzung ist, dass wir uns mit den Partnern verständigen“, also mit der Stadt, der Region und der Bahn. „Es ist noch ein ganzes Stück Arbeit, was wir da leisten müssen.“. Utopisch sei das nicht, sagt Hermann mit Verweis auf den Bahnhof Merklingen. Der sei erst nach Ende der Planungen zu Stuttgart 21 hinzugekommen und inzwischen sogar fertiggebaut. Die Studie ist laut Hermann nun ein „fundierter Startprozess eines noch mühsamen und langjährigen Verfahrens, da mach ich mir nichts vor“.
Wie dient die Ergänzungsstation den Bürgern jenseits von Stuttgart?
Hermann spricht von einem grundsätzlichen Problem der Schiene: „Die Schwachstelle ist, dass wir in den vergangenen Jahren viele Redundanzen aus Kostengründen abgeschafft haben. Panoramabahn und Ergänzungsstation als solche sind solche Redundanzen.“Denn wenn etwa Reisende auf der Gäubahn von Tuttlingen Richtung Stuttgart fahren wollen, hätten sie als Alternative zur Fahrt über den Flughafen die Panoramabahn, die eine andere Streckenführung hat. „Im Störfall, etwa am Flughafen, kommt man nach bisherigen Planungen nicht mehr nach Stuttgart“, so Hermann. Zumal die Gäubahn-Strecke laut VCD-Landeschef Lieb nicht mehr Zugfahrten zulässt als die bisher geplanten. „Auf der Gäubahn sind immer noch relativ wenige Züge vorgesehen im Vergleich zu anderen Strecken.“Möglich wäre auch, endlich wieder die Schwarzwaldbahn über Weil der Stadt und Calw bis nach Stuttgart durchfahren zu lassen, so Lieb. „Dann käme man umsteigefrei vom Nordschwarzwald nach Stuttgart.“Für Lieb ist die Ergänzungsstation generell wichtig, denn: „Stuttgart ist der zentrale Umsteigeknoten für fast ganz Baden-Württemberg“, sagt er. „Entweder funktioniert dieser Knoten so, dass die Leute gut umsteigen können, oder es leidet der Bahnverkehr in weiten Teilen des Landes“– gerade in Württemberg.