Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Im Grunde zu wenig Wasser
ELLWANGEN/RAVENSBURG - Helmuth Waizmann stehen die Schweißtropfen auf der Stirn. Er schwitzt. Aber nur am Kopf, denn von unten ist es schön kühl. Die Wiese, durch die er zu seinem Wald läuft, ist noch feucht vom Regen der vergangenen Nacht. Geregnet hat es in diesem Frühjahr so viel, dass es Waizmanns Bäumen endlich besser geht. Selbst wenn man ihnen an den kahlen Kronen und der rissigen Rinde die trockenen Sommer noch ansieht. Im Juni 2020 standen dort, wo Waizmann jetzt über Forstwege läuft, noch Lastwagen voll beladen mit Schadholz. „Das war schrecklich“, sagt der Waldbauer Waizmann. Auch wenn der Klimawandel in diesem Frühjahr weniger zu spüren war, die Sorgen um die Zukunft hat auch der Regen nicht wegspülen können.
„Wenn es meinem Wald gut geht, geht es auch mir gut“, sagt Waizmann, der auch im Ausschuss der Forstkammer Baden-Württemberg sitzt. Was Waizmann sagt, stimmt im doppelten Sinne. Denn wenn der Boden in seinem Wald schön feucht ist, hat auch die Quelle ein paar Hundert Meter von seinem Aussiedlerhof weg genug Wasser. Weil der Betrieb von Waizmann und seiner Frau 20 Kilometer südlich von Ellwangen zu weit von der nächsten Gemeinde entfernt ist und die Leitungen nicht bis dort hinaus reichen, wird Wasser vom Brunnen zum Haus gepumpt. Familie Waizmann und ihre Gäste in den Ferienzimmern des Hofs trinken, duschen und kochen mit diesem Wasser. Den Großteil braucht Waizmann aber für seine Rinderherde. Ein Tier säuft 80 Liter am Tag.
Dass Wasser keine unendliche Ressource und nicht immer verfügbar ist, nur weil man den Hahn aufdreht, bekam Waizmann in den zurückliegenden Sommern zu spüren. Weil zu wenig Wasser in dem Brunnen war, musste Waizmann die Pumpintervalle kürzer machen. So reichte das Wasser zwar aus, aber es war knapper. Damit die Rinder genug zu trinken hatten, aktivierte Waizmann zusätzlich einen alten Brunnen auf dem Hof.
Mit dem Problem des Wassermangels im Wald und auf dem Hof ist Helmuth Waizmann nicht alleine. Vielen anderen Waldbesitzern und Landwirten im Südwesten geht es gleich. Drei Dürrejahre nacheinander – 2018, 2019 und 2020 – haben für schlechte Wasserstände gesorgt.
„Die Grundwasserbestände in Baden-Württemberg sind zurückgegangen“, sagt Michel Wingering, der bei der Landesanstalt für Umwelt in Baden-Württemberg (LUBW) für die Bewertung der Grundwasserstände und Quellschüttungen zuständig ist. Sorgen um die Wasserversorgung in Deutschland macht sich auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Sie warnte vergangene Woche vor Wasserknappheit in Deutschland. „Für die Zukunft ist es nicht selbstverständlich, dass es überall Wasser im Überfluss gibt“, sagte Schulze der „Schwäbischen Zeitung“im Interview.
Wie schnell das Wasser ausbleiben kann, haben auch Wasserselbstversorger in Oberschwaben zu spüren bekommen. Weil es im Dürresommer 2018 mehrere Monate nicht geregnet hatte, waren ihre Brunnen leer. Aus dem Hahn am Spülbecken und dem Duschkopf kam kein Wasser mehr. „Das war eine dramatische Situation“, sagt der Vorsitzende der Bürgerinitiative dezentrale Wasserversorgung Oberschwaben, Friedrich Rockhoff aus Kißlegg. Die großen Wassertanks, die man damals angeschafft hat, aufgefüllt am kommunalen Brunnen der Gemeinden, hätten viele bis heute behalten. „Das Klima hat sich so verändert, dass man solche Wetterlagen öfters haben wird und vorbereitet sein muss“, sagt Rockhoff.
Natürlich, die Selbstversorger in Oberschwaben sind die Ausnahme. Landes- und bundesweit sind 99 Prozent der Bürgerinnen und Bürger an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen. Doch auch die ist in Baden-Württemberg vom Grundwasser abhängig, weil 70 bis 75 Prozent daraus gewonnen werden.
Haben Michel Wingering vom LUBW die Bestände in den vergangenen drei Jahren hauptsächlich Stirnrunzeln bereitet, ist er mit den Werten vom Mai 2021 zufrieden. „Die Bestände konnten sich vielerorts so weit auffüllen, dass sie wieder auf Normalstand sind“, sagt er. Nicht überdurchschnittlich, aber normal. Landesweit gebe es Unterschiede. Stehen Oberschwaben und der Bodenseekreis zum Beispiel gut da, sind der Kraichgau und Nordbaden eher schlecht versorgt. Auch im Oberrheingau seien die Bestände lange nicht gut gewesen, hätten sich mittlerweile aber verbessert.
Seit 1991 veröffentlicht die LUBW die Ergebnisse ihrer Messungen von fast 4000 Messstellen. An diesen Stellen – von außen sieht man nur ein Rohr, das aus dem Boden ragt – berechnet man über eine Drucksonde den Wasserstand. Grundwasser entsteht, wenn Regen versickert oder Wasser aus Flüssen und Seen in unterirdische Hohlräume eindringt. Es landet auch in Quellen, Brunnen oder Baggerseen.
Ein besonders großer Hohlraum am Alpenrand sorgt zum Beispiel dafür, dass die Grundwasserbestände in Oberschwaben so gut sind, wie sonst fast nirgends im Land. Das sogenannte Molassebecken ist ein in sich geschlossenes System, in dem Wasser gespeichert wird und so nicht zu anderen Seiten abfließen kann, erklärt Wingering. „Iller, Riss und Lech sind entscheidende Flüsse, die viel Wasser haben.“Neben dem Schwarzwald ist die baden-württembergische Region nördlich des Bodensees außerdem das Gebiet, in dem es am meisten regnet. Das hilft. Dass Bestände durch den Regen in diesem Jahr aufgefüllt werden konnten, sei zwar gut, löst aber nicht das grundsätzliche Problem.
Auch deshalb hat Umweltministerin
Svenja Schulze vergangene Woche eine nationale Wasserstrategie vorgestellt. Darin geht es um weniger Versiegelung in Städten und den richtigen Umgang mit Wasser in der Natur. Wichtig sei es zum Beispiel Böden so zu bewirtschaften, dass sie Wasser besser aufnehmen können. Auch der Ausgleich zwischen wasserarmen und -reichen Regionen ist ein Punkt in dem Papier. Es müsse außerdem geregelt werden, wer Wasser vorrangig nutzen darf, wenn es knapp wird.
Besonders schlimm war es für Landwirt Karl Endriß vor zwei Jahren: Die Wiesen um seinen Hof in Gammertingen im Landkreis Sigmaringen waren braun, der Ertrag auf seinen Äckern ging immer weiter zurück. „Da merkt man: Der Grundwasserspiegel ist zu niedrig“, sagt Endriß, der stellvertretender Vorsitzender im Bauernverband Biberach-Sigmaringen ist.
Laut Landesbauernverband sind deutsche Landwirte fast ausschließlich auf Regenwasser angewiesen, das wiederum auch ins Grundwasser geht. Zusätzlich mit Wasser versorgen nur Obstbauern ihr Obst oder Landwirte ihr Feldgemüse.
Für Karl Endriß ist die Korrelation ganz einfach: Zu wenig Regen sorgt für zu niedrige Grundwasserstände und bei zu wenig Wasser wachsen Hafer, Weizen, Gerste und Mais nicht. „Wenn der Grundwasserstand langfristig fällt, ist es für uns Bauern langfristig vorbei“, sagt Endriß. Um weiterhin genug Futter für seine 120 Rinder zu haben, hat der Landwirt vor zwei Jahren umgestellt: Statt Hafer und Futtererbsen wächst jetzt mehr Kleegras auf seinen Feldern. Bei gleichem Wasserverbrauch hat er mehr Ertrag. Seine Wiesen sehen in diesem Jahr dank des Regens wieder besser aus. Das Wetter spielte im Frühjahr für ihn, sagt Endriß. Jede Woche ein Gewitter – das würde der Landwirt sich wünschen.
Wechselhaftes Wetter ist gut für den Boden. Seit einigen Jahren wird das aber immer seltener. Der Klimawandel bringt extreme Wetterlagen mit sich: lange Hitzephasen und viel Starkregen auf einmal. Dabei gibt es zwar jede Menge Niederschlag, der Boden kann das Wasser aber nicht aufnehmen, weil es zu viel auf einmal ist. Ein großer Teil des Wassers fließt oberflächlich ab.
Zwar hat es diesen Mai relativ oft und ausgiebig geregnet, es blieb kühl. Doch der April war laut Deutschem Wetterdienst (DWD) deutlich zu trocken. Liegt der Pegelstand im Bodensee laut Messungen in Konstanz Mitte Juni wieder bei etwas über vier Metern, war er im April bei gerade mal 3,6 Metern. Klar ist aber auch, dass der nasse Frühling nicht die drei Dürrejahre ausgleichen kann. Außerdem prognostiziert der DWD, dass es 2021 etwa 0,5 bis 1,0 Grad wärmer werden könnte als im vieljährigen Mittel. Wetterexperten gehen trotz des kühlen Frühlings von einem heißen Sommer aus.
Wie schlecht es dem Boden in Deutschland geht, zeigt auch ein Blick auf den Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig. Ein dunkles
Rot, das für extreme oder außergewöhnliche Dürre steht, zeigt, wie heiß der Sommer 2018 war. Auch der Mai und Juni des vergangenen Jahres stechen hervor: dunkelrote Gebiete vor allem in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Bayern, aber auch in NordrheinWestfalen und Baden-Württemberg. „Der Regen der vergangenen Monate war zwar hilfreich, aber es ändert nichts an der Situation, dass die Böden vielerorts immer noch zu trocken und die Speicher nicht aufgefüllt sind“, sagt Axel Miske, Referent bei der Forstkammer in Baden-Württemberg. In vielen Fällen sehe man das dem Wald noch nicht an, weil er grün ist, sagt Miske. „Oft höre ich auch im Bekanntenkreis: ,Nach so viel Regen im Frühjahr darf doch der Wald nicht mehr durstig sein.’“Aber das Gegenteil sei der Fall: „Viele Menschen realisieren nicht, wie lange es braucht, bis Wasserdefizite wieder ausgeglichen sind.“
Im Kampf gegen den Borkenkäfer hat der Regen immerhin geholfen. Fachleute gehen davon aus, dass sich die Entwicklung der Käfer verzögert. So könnte es anstatt drei nur zwei Generationen geben. Das würde die Situation entspannen. Dass der Käfer aber kommen wird, sobald es warm wird, daran zweifelt keiner. Viele Waldbesitzer und Forstleute sind noch mit der Aufarbeitung der Holzschäden aus den vergangenen Jahren beschäftigt.
Denen will Forstminister Peter Hauk (CDU) unter die Arme greifen und sagte vergangene Woche der Deutschen Presse Agentur, dass das Land die Waldbesitzer unterstützt, „wenn es darum geht, die geschädigten Flächen zu räumen und mit klimastabilen Mischwäldern neu zu bepflanzen.“Gegenwind kam von der Opposition. Der forstpolitische Sprecher Klaus Hoher (FDP) von der FDP/DVPFraktion findet: „Zum Aufbau klimastabiler Wälder brauchen wir auch neue, nicht heimische Baumarten.“Diese sollten aber laut Plänen der Landesregierung bei Neupflanzungen zum Waldaufbau nicht mehr als 25 Prozent einnehmen, sagte Hoher.
In Helmuth Waizmanns Wald um den Aussiedlerhof in der Nähe von Ellwangen stehen hauptsächlich Fichten, Tannen und ein paar Laubbäume. Die Dürrejahre am besten überstanden hat die Tanne. Bei einigen sind zwar die Kronen ausgedünnt, bei den Fichten sind aber ganze Bestände kaputt. Weil die Tanne mit ihrer Wurzel tiefere Bodenschichten erschließt, ist der Baum resistenter gegen Stürme und Wassermangel. Den Wald neu bepflanzen kommt für Waizmann nicht infrage. Weil die Douglasie hitzeresistent ist und auch mit wenig Wasser auskommt, hat er einige von ihnen in seinem Wald. Der Baum sei sehr ergiebig. Das Holz einer 50 Meter hohen Douglasie reiche aus, um ein Haus zu bauen. „Bis die groß sind, dauert es aber viele Jahre“, sagt Waizmann.
Auch wenn er im vergangenen Jahr nichts am Forstbetrieb verdient hat, ist aufhören für ihn keine Option. „Wenn ich die Waldarbeit aufgeben müsste, tut das viel mehr weh, wie bei den Ferienzimmern“, sagt er. Schließlich wäre dann seine ganze Mühe und die seines Vaters sinnlos gewesen. Der Wald ist für Helmuth Waizmann mehr als ein Arbeitsplatz, er ist sein Rückzugsort. Wenn die andere Arbeit getan ist, geht er zur Erholung in den Wald. Dort sei die Luft am besten, hier könne er durchatmen, sagt er. Im Wald ist Helmuth Waizmann am liebsten.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze
Wenig Regen und heiße Sommer sorgen seit einigen Jahren für niedrige Grundwasserstände. Hoffnung bei Landwirten, im Forstbetrieb und bei Brunnenbesitzern brachte das verregnete Frühjahr. Aber reicht das?
„Für die Zukunft ist es nicht selbstverständlich, dass es überall Wasser im Überfluss gibt.“