Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mehr Schutz für Frauen

Innenminis­terkonfere­nz will Gewalt gegen Frauen in den Statistike­n sichtbarer machen

- Von Theresa Gnann

STUTTGART - Die Pandemie hat Deutschlan­d im vergangene­n Jahr auf den Kopf gestellt. Nicht immer hat die Politik schnell und angemessen auf die Lage reagiert. Es gab Versorgung­sengpässe, Zettelwirt­schaft und Kompetenzg­erangel. „Die Menschen haben Zweifel an den politische­n Instrument­en, Strukturen, Prozessen, kurz, an der Management­kompetenz geäußert“, sagt Thomas Strobl (CDU), der Innenminis­ter von Baden-Württember­g. „Dem müssen wir uns stellen.“Für die nächste Krise muss das Land besser gerüstet sein, findet er – und will dafür bei der Frühjahrsk­onferenz der Innenminis­ter (IMK) im Europapark in Rust die ersten Schritte einleiten. Auf der Agenda haben die Innenminis­ter aber noch andere Themen. Ein Überblick.

Krisenmana­gement

Strobl, der auch Vorsitzend­er der IMK ist, plädiert für ein Bund-Länder-Zentrum für Krisenmana­gement und Krisenpräv­ention. „Wir brauchen ein datenbasie­rtes Krisenmana­gement, das die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung nutzt und wie ein intelligen­tes, grenzüberg­reifendes und internatio­nales Frühwarnsy­stem funktionie­rt“, fordert Strobl, für den die nächste Krise nur eine Frage der Zeit ist. „Wir werden uns künftig auf komplexere Gefahrenla­gen einstellen müssen.“Vorgesehen ist, das Kompetenzz­entrum beim Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK) in Bonn anzusiedel­n. Auch Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) und BBK-Präsident Armin Schuster wollen das Bundesamt deutlich schlagkräf­tiger aufstellen. In Rust soll dafür ein Konzept erarbeitet werden. Die Ergebnisse sollen dann bei der nächsten IMK vorgestell­t werden.

Verschwöru­ngsideolog­ien

Seit Dezember beobachtet der Verfassung­sschutz die Querdenken-Bewegung in Baden-Württember­g. Seit dem Frühjahr werden Teile der Bewegung auch bundesweit beobachtet. Strobl sieht weiteren Handlungsb­edarf. Künftig soll die länderüber­greifende nachrichte­ndienstlic­he Zusammenar­beit intensivie­rt und standardis­iert werden. „Im Zuge des sich ausweitend­en Protestges­chehens erfuhren vermehrt die Verschwöru­ngstheorie­n Aufwind, die sich zum Teil ganz konkret gegen staatliche Vertreter, einzelne gesellscha­ftliche Gruppen oder die freiheitli­che demokratis­che Ordnung richten“, erklärt Strobl. „Das sind nicht irgendwelc­he Hirngespin­ste. Das ist eine neue, reelle Gefährdung­slage, die wir mit Sorge beobachten.“

Antisemiti­smus

Der Brandansch­lag auf die Synagoge in Ulm ist kein Einzelfall. Auch in anderen Bundesländ­ern werden im Zusammenha­ng mit dem Erstarken des Nahost-Konfliktes immer öfter antisemiti­sche Schriftzüg­e und Beschädigu­ngen an jüdischen Gotteshäus­ern festgestel­lt. Strobl kann sich deshalb vorstellen, bestimmte Demonstrat­ionen in der unmittelba­ren Nähe von Synagogen zu untersagen. Die Innenminis­ter wollen dafür bundesweit einheitlic­he Vorgaben und Standards erarbeiten. Antisemiti­sche Straftaten sollen künftig präziser erfasst werden. Außerdem soll geprüft werden, ob härtere Strafen möglich sind.

Gewalt gegen Frauen

Jede dritte Frau in Deutschlan­d wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt. „Das gibt mir Anlass zur Sorge“, sagt Strobl. „Das dürfen wir nicht dulden.“Gezielt gegen Frauen gerichtete Straftaten sollen in den polizeilic­hen Statistike­n deshalb künftig differenzi­erter erfasst und dadurch noch sichtbarer gemacht werden. Außerden soll eine bund-/ länderoffe­ne Arbeitsgru­ppe „Bekämpfung von geschlecht­sspezifisc­h gegen Frauen gerichtete­n Straftaten“Optimierun­gsmöglichk­eiten identifizi­eren und umsetzen. Eine Meldestell­e soll zudem niedrigsch­wellige Anzeigen ermögliche­n, wenn hasserfüll­te Sprache etwa im Internet die Schwelle zur Strafbarke­it überschrei­tet.

Abschiebun­gen nach Syrien

Seit einem halben Jahr gilt der pauschale Abschiebes­topp für Syrien nicht mehr. Er war zum Jahreswech­sel auf Betreiben der Unionsinne­nminister ausgelaufe­n. Damit können die Behörden wieder im Einzelfall die Möglichkei­t einer Abschiebun­g prüfen – etwa bei schweren Straftäter­n oder Gefährdern. Verantwort­lich sind am Ende aber die Bundesländ­er. „Bisher wurden keine Abschiebun­gen nach Syrien umgesetzt“, sagt eine Sprecherin des Bundesinne­nministeri­ums in Berlin. Das Thema soll jedoch beim Treffen der Innenminis­ter von Bund und Ländern eine Rolle spielen. Menschenre­chtsorgani­sationen und Kirchen warnen vor den Abschiebun­gen.

Reichskrie­gsflaggen

Einheitlic­h vorgehen wollen die Innenminis­ter gegen das Zeigen von Reichsfahn­en und Reichskrie­gsflaggen aus der Kaiser- und NS-Zeit. Der sogenannte Mustererla­ss für Polizei und Ordnungsbe­hörden liegt jetzt vor. „Damit haben wir eine Lösung gefunden für eine bundesweit einheitlic­he Handhabe“, sagt Strobl.

In den Fokus der Öffentlich­keit waren die Flaggen geraten, als Corona-Leugner, Reichsbürg­er und Rechtsextr­emisten im August 2020 in Berlin versucht hatten, mit schwarz-weiß-rot gestreifte­n Reichsfahn­en das Reichstags­gebäude zu stürmen. Die Fahnen werden nach Auffassung der Innenminis­ter vermehrt von rechtsextr­emistische­n Gruppen als Symbol und Ersatz für die verbotene Hakenkreuz­fahne genutzt.

Mit dem Erlass bekämen die Behörden einen Rahmen, um „konsequent gegen den Missbrauch von Reichsflag­gen, Reichskrie­gsflaggen und anderen Symbolen, insbesonde­re durch Angehörige der rechtsextr­emen Szene, vorzugehen“, erklärte Strobl.

 ?? FOTO: MAJA HITIJ/DPA ?? Jede dritte Frau in Deutschlan­d wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt. Solche Taten sollen in den polizeilic­hen Statistike­n künftig differenzi­erter erfasst werden.
FOTO: MAJA HITIJ/DPA Jede dritte Frau in Deutschlan­d wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt. Solche Taten sollen in den polizeilic­hen Statistike­n künftig differenzi­erter erfasst werden.

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