Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Corona befeuert Verschwörungsmythen
Innenminister Seehofer warnt vor Extremismus – Größte Gefahr sieht er von Rechts
BERLIN - „Höchste Aufmerksamkeit“sei gefragt, sagt Bundesinnenminister. Zwei extremistische Gruppierungen verzeichnen einen enormen Zuwachs an Gewaltverbrechen. Die größte Gefahr droht von rechts.
Wenn er sage, die Sicherheitslage in Deutschland sei ein „dickes Problem“, dann sei das noch unterkühlt dargestellt, so Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2020. „Wir haben“, ergänzte der Bundesinnenminister, „einen Alarmzustand“. Man könne nur hoffen, dass nichts passiere. Die Lage erfordere die „höchste Aufmerksamkeit durch Politik und Sicherheitsbehörden“.
Seehofers Besorgnis hat vor allem mit drei großen Herausforderungen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu tun: Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamistischer Terrorismus. Die größte Gefahr kommt von rechts. Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten ist im Jahr 2020 um fünf Prozent gestiegen – die Zahl der Gewalttaten sogar um über zehn Prozent auf knapp 1100. „Der traurige Höhepunkt“, sagte Seehofer, „war Hanau“.
Insgesamt 33 300 Personen zählt der Verfassungsschutz zum rechtsextremen Personenkreis, ein minimaler Anstieg im Vergleich zu 2019. Allerdings werden 13 300 von ihnen als gewaltbereit eingestuft. „Das sind 40 Prozent“, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, „die höchste Quote aus allen Bereichen“.
Ein neuer Unterpunkt im Verfassungsschutzbericht sind die Neuen Rechten, die Haldenwang „geistige
Brandstifter“nannte. „Sie liefern die ideologische Rechtfertigung für Rechtsextremisten und helfen bei der Rekrutierung.“Als Vertreter der Neuen Rechten nannte Haldenwang unter anderem die „Identitäre Bewegung“, das „Compact Magazin“und das „Institut für Staatspolitik“.
Sorgen macht Seehofer auch die Zunahme linksextremistischer Straftaten um drei Prozent, noch mehr aber die Zahl der Gewalttaten, die um über ein Drittel gestiegen ist. Seehofer sprach von einer zunehmenden Enthemmung, die sich nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch durch geplante Gewaltaktionen zeige. Insgesamt gelten 9600 Linksextremisten als gewaltbereit.
„Islamistischer Terrorismus bleibt eine der größten Gefahren für die offene Gesellschaft“, sagte Seehofer. Die Anhängerzahl schätzt der
Verfassungsschutz auf knapp 29 000, ein Zuwachs von rund zwei Prozent. Die ideologische Grundlage der Terroristen sei häufig der Salafismus.
Ebenfalls besorgniserregend seien laut dem Innenminister die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter, die weiter Zulauf erhielten. Fünf Prozent mehr Menschen glauben an die kruden Verschwörungstheorien rund um die „BRD GmbH“, die kein souveräner Staat sei. „Der Zulauf kann eindeutig auf das Protestgeschehen rund um die Pandemie zurückgeführt werden“, sagte Seehofer.
Man dürfe auch die Waffenaffinität vieler „Reichsbürger“nicht unterschätzen. Der Innenminister warnte auch mit Blick auf die Anschläge in Hanau und Halle davor, beim Waffenrecht einfach zur Tagesordnung überzugehen.