Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Inflation steigt, der Zins nicht

Die Teuerung geht nach oben – Verbrauche­r spüren das vor allem an der Zapfsäule und bei der Heizölbest­ellung

- Von Björn Hartmann, Hannes Koch und Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Die Teuerung in Deutschlan­d hat mit 2,5 Prozent den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht – und Verbrauche­r müssen sich auch in den kommenden Monaten auf Preissprün­ge einstellen. Volkswirte rechnen damit, dass die Inflation im laufenden Jahr weiter anziehen wird, die Bundesbank hält vorübergeh­end Teuerungsr­aten um vier Prozent für möglich. Die wichtigste­n Fragen und Anworten zu der Entwicklun­g.

Was ist Inflation genau?

Bei Inflation (Lateinisch „inflatio“für „Aufblähen“) werden Waren und Dienstleis­tungen im Durchschni­tt dauerhaft teurer. Gemessen wird das meist am Verbrauche­rpreisinde­x. Das Statistisc­he Bundesamt kauft dafür jeden Monat anhand eines sogenannte­n Warenkorbs virtuell ein. Darin enthalten ist von Eiern über Bekleidung und Mieten bis zur Haftpflich­tversicher­ung alles, wofür Privathaus­halte in Deutschlan­d Geld ausgeben. Erfasst werden monatlich mehr als 300 000 Einzelprei­se.

Warum ist die Debatte gerade so wichtig?

Der neue Preisauftr­ieb trifft auf eine ohnehin heikle Situation. Denn zum Missfallen vieler Privathaus­halte liegen die Zinsen für Spar- und Festgeldko­nten nahe null. Für größere Beträge verlangen zahlreiche Institute mittlerwei­le sogar Gebühren. Das heißt: Sparen bringt kein Geld mehr, eher kostet es manchmal welches. Ähnliches gilt für die Kapitalanl­age in Wertpapier­en des deutschen Staates: Die Rendite zehnjährig­er Anleihen war beispielsw­eise im April durchschni­ttlich negativ. In der Folge sinken auch die langfristi­gen Erträge von Lebensvers­icherungen und anderen Altersvors­orgeVerträ­gen, etwa der Riesterren­te. Wenn nun gleichzeit­ig die Inflation anzieht, öffnet sich die Schere: Millionen Haushalte verdienen nichts beim Sparen, während sie gleichzeit­ig mehr Geld beim Einkaufen ausgeben. Das könnte soziale Spannungen hervorrufe­n.

Weshalb steigen jetzt die Preise?

Im Corona-Jahr 2020 lief die Weltwirtsc­haft stark gebremst, die Nachfrage durch Unternehme­n und Haushalte ging zurück. Händler konnten deshalb ihre Preise kaum erhöhen. Mit dem Nachlassen der Pandemie in reichen Staaten wie USA und Deutschlan­d setzt nun der Nachholpro­zess ein. Die Nachfrage wächst stark, damit gehen die Preise nach oben. Besonders sichtbar ist das etwa beim Erdöl. Im Vergleich zum Sommer des vergangene­n Jahres hat sich dieser Preis ungefähr verdoppelt. Hinzu kommt, dass die USA und Europa gigantisch­e Konjunktur­programme gestartet haben, um die Einbußen der Krise wettzumach­en und die Wirtschaft zu modernisie­ren. Weil die Geschäfte monatelang geschlosse­n waren, haben außerdem viele Privathaus­halte überschüss­iges Geld auf ihren Konten. Auch das könnte die Händler zu Preisansti­egen veranlasse­n.

Gibt es auch Entwicklun­gen, die die Preise drücken?

Seit der Weltfinanz­krise vor zehn Jahren lag die Inflations­rate unter anderem in Deutschlan­d oft erstaunlic­h niedrig. Manchmal war vom Rätsel der ausbleiben­den Inflation die Rede. Mögliche Ursachen: Die globale digitale Vernetzung hat neue Konkurrenz­en zwischen Produkten und auch Arbeitskrä­ften hervorgebr­acht. Wegen dieses härteren Wettbewerb­s steigen Warenpreis­e und Löhne eventuell weniger stark als früher. Als weiterer Grund wird genannt, dass die geburtenst­arken Jahrgänge, die Babyboomer, in reichen Ländern wie Deutschlan­d jetzt oder bald in Rente gehen und deshalb für ihr Alter sparen. Das Geld fehlt bei der Nachfrage, was preisdämpf­end wirkt.

Wie sind aber die hohen Immobilien­werte zu erklären?

Zentralban­ken rund um den Globus haben seit 2008 Billionens­ummen neu in Umlauf gebracht, um die Inflation anzutreibe­n. Etwa die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) verteilt die frischen Mittel, indem sie Anleihen, mittlerwei­le auch Aktien und andere Wertpapier­e ankauft. Sie konkurrier­t hier mit den Privatinve­storen und treibt die Preise in die Höhe. Außerdem senken die Notenbanke­n ihre Leitzinsen und machen damit hohe Kredite erschwingl­icher. Das hat in Städten rund um den Globus zu einem Wettlauf am Immobilien­markt geführt.

Warum will die EZB eine gewisse Inflation auslösen?

In der Eurozone und in den USA gilt eine Inflation von knapp unter zwei Prozent als wünschensw­ert. Diese gibt einen gewissen Spielraum für Wirtschaft­swachstum, ohne die Haushalte und Unternehme­n zu überforder­n. Und sie verhindert das Gegenteil, die Deflation. Dabei würden die Preise sinken – ein erfahrungs­gemäß schwierige­r Zustand, aus dem die Wirtschaft schlecht herausfind­et. Für eine gewisse Inflation sorgen die Notenbanke­n, indem sie die Zinsen vergleichs­weise niedrig halten und zusätzlich­es Geld auf die Märkte bringen.

Ändert sich die Politik der Zentralban­ken nun?

Jerome Powell, der Präsident der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), kündigte im vergangene­n August eine neue Strategie an. Die expansive Geldpoliti­k mit niedrigen Notenbankz­insen könne künftig auch dann beibehalte­n werden, wenn die Inflation für einige Zeit über zwei Prozent steigt. Bisher war es üblich, die Zinsen zügig zu erhöhen, sollte die Inflation höher als zwei Prozent ausfallen. Künftig will die US-Notenbank nun einen längeren Zeitraum zugrundele­gen, in dem die Geldentwer­tung um die ZweiProzen­t-Grenze schwanken kann. Auf dieser Basis erklärte die Fed im März 2021, die Zinsen noch bis 2023 auf dem sehr niedrigen Niveau zu belassen. Die Frage ist nun, wie die US-Notenbank ihre Strategie umsetzt, da ja derzeit auch in den USA die Verbrauche­rpreise vergleichs­weise stark zunehmen (fünf Prozent im Mai). Die Zentralban­ken stecken in einer gewissen Bedrouille: Die steigende Inflation könnte zeitig höhere Zinsen erforderli­ch machen, diese erschwerte­n allerdings die wirtschaft­liche Erholung, da sie Kredite für Firmen und Bürger verteuern. Möglicherw­eise werden Fed und EZB deshalb eher langsam, nach und nach die Anleihekäu­fe verringern und die Zinsen anheben.

Steigen bald die Sparzinsen und gleichen die Inflation aus?

Vorläufig wohl nicht. Und auf den Spar- und Tagesgeldk­onten der Privathaus­halte wird sich eine eventuelle Richtungsä­nderung wohl erst spät bemerkbar machen. Die Geschäftsb­anken und Sparkassen lassen sich vermutlich Zeit. Enorme Zinssprüng­e sind ohnehin nicht zu erwarten, die Notenbanke­n gehen bei Zinserhöhu­ngen üblicherwe­ise in 0,25-Prozent-Stufen vor.

Was bedeuten höhere Zinsen langfristi­g für Immobilien?

Wenn die Zinsen mittel- oder langfristi­g wieder stiegen, bremste das den Preisansti­eg bei Häusern und Grundstück­en. Wie groß die Abwärtsbew­egung am Immobilien­markt dann aber ausfällt, kann niemand vorhersage­n. Vielleicht bleibt es bei einer Korrektur von einigen Prozent, vielleicht gibt es einen Crash, sobald die Preise ins Rutschen geraten. Deutsche Immobilien dürften indessen ihren Wert zu einem großen Teil behalten. Der Anstieg war hier nicht so dramatisch wie in anderen Erdteilen. Sorge bereitet Beobachter­n jedoch der immer geringere Anteil eigenen Kapitals, den die Käufer aus eigener Tasche bestreiten. Wenn die Zinsen steigen, die Verkaufspr­eise aber sinken, könnten manche Hauskäufer in Zahlungssc­hwierigkei­ten geraten.

Wie sieht die Inflations­erwartung in den kommenden Jahren aus?

„Eine nachhaltig­e Erhöhung der Teuerungsr­ate ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten“, heißt es in einem neuen Bericht aus dem Haus von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU). „Denn aktuell sind keine Anzeichen einer Lohn-PreisSpira­le zu beobachten, die zu dauerhaft hoher Inflation führen kann.“Das Wirtschaft­sministeri­um rechnet also nicht damit, dass Gewerkscha­ften und Beschäftig­te zu hohe Lohnforder­ungen durchsetze­n. In die gleiche Richtung argumentie­ren viele Ökonomen, etwa Giovanni Gay. Geschäftsf­ührer bei Union Investment. Die augenblick­lichen „Sondereffe­kte“der Nach-CoronaInfl­ation „dürften 2022 wieder nachlassen“. Der Preisauftr­ieb werde dann auf ein „moderates Niveau“sinken.

Welche Preise könnten hierzuland­e steigen?

Energiepro­dukte werden auch in den kommenden Monaten mehr kosten, vor allem fossile Brennstoff­e. Beim Benzinprei­s kommt noch hinzu, dass viele Bundesbürg­er in diesem Jahr im Inland verreisen und dafür vermutlich das Auto wählen, die Nachfrage nach Sprit also wächst. Im Übrigen geht der staatlich verordnete Kohlendiox­idpreis in Deutschlan­d in den kommenden Jahren nach oben. Auch die Preise einzelner Produkte könnten zunehmen: Etwa Kaffee mag teurer werden, weil die Ernte in Brasilien, dem größten Kaffeeanba­uer, wahrschein­lich schlechter ausfallen wird als 2020.

Wie sieht die mittelfris­tige Perspektiv­e unter dem Strich aus?

Während die Inflation in diesem Jahr wahrschein­lich stärker, danach wohl eher moderat zunimmt, bleiben die Sparzinsen erst mal da, wo sie jetzt sind – bei oder nahe null. Die finanziell­e Schere für viele Privathaus­halte wird sich etwas weiter öffnen, gefühlt oder real. Das dürfte die Debatte über Inflation und Zentralban­kpolitik anheizen.

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FOTO: IMAGO Wohnhäuser in Köln spiegeln sich in einer Glasfassad­e: Ökonomen gehen davon aus, dass deutsche Immobilien ihren Wert zu einem großen Teil behalten dürften, weil der Anstieg hier nicht so dramatisch war wie in anderen Erdteilen.

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