Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Inflation steigt, der Zins nicht
Die Teuerung geht nach oben – Verbraucher spüren das vor allem an der Zapfsäule und bei der Heizölbestellung
BERLIN - Die Teuerung in Deutschland hat mit 2,5 Prozent den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht – und Verbraucher müssen sich auch in den kommenden Monaten auf Preissprünge einstellen. Volkswirte rechnen damit, dass die Inflation im laufenden Jahr weiter anziehen wird, die Bundesbank hält vorübergehend Teuerungsraten um vier Prozent für möglich. Die wichtigsten Fragen und Anworten zu der Entwicklung.
Was ist Inflation genau?
Bei Inflation (Lateinisch „inflatio“für „Aufblähen“) werden Waren und Dienstleistungen im Durchschnitt dauerhaft teurer. Gemessen wird das meist am Verbraucherpreisindex. Das Statistische Bundesamt kauft dafür jeden Monat anhand eines sogenannten Warenkorbs virtuell ein. Darin enthalten ist von Eiern über Bekleidung und Mieten bis zur Haftpflichtversicherung alles, wofür Privathaushalte in Deutschland Geld ausgeben. Erfasst werden monatlich mehr als 300 000 Einzelpreise.
Warum ist die Debatte gerade so wichtig?
Der neue Preisauftrieb trifft auf eine ohnehin heikle Situation. Denn zum Missfallen vieler Privathaushalte liegen die Zinsen für Spar- und Festgeldkonten nahe null. Für größere Beträge verlangen zahlreiche Institute mittlerweile sogar Gebühren. Das heißt: Sparen bringt kein Geld mehr, eher kostet es manchmal welches. Ähnliches gilt für die Kapitalanlage in Wertpapieren des deutschen Staates: Die Rendite zehnjähriger Anleihen war beispielsweise im April durchschnittlich negativ. In der Folge sinken auch die langfristigen Erträge von Lebensversicherungen und anderen AltersvorsorgeVerträgen, etwa der Riesterrente. Wenn nun gleichzeitig die Inflation anzieht, öffnet sich die Schere: Millionen Haushalte verdienen nichts beim Sparen, während sie gleichzeitig mehr Geld beim Einkaufen ausgeben. Das könnte soziale Spannungen hervorrufen.
Weshalb steigen jetzt die Preise?
Im Corona-Jahr 2020 lief die Weltwirtschaft stark gebremst, die Nachfrage durch Unternehmen und Haushalte ging zurück. Händler konnten deshalb ihre Preise kaum erhöhen. Mit dem Nachlassen der Pandemie in reichen Staaten wie USA und Deutschland setzt nun der Nachholprozess ein. Die Nachfrage wächst stark, damit gehen die Preise nach oben. Besonders sichtbar ist das etwa beim Erdöl. Im Vergleich zum Sommer des vergangenen Jahres hat sich dieser Preis ungefähr verdoppelt. Hinzu kommt, dass die USA und Europa gigantische Konjunkturprogramme gestartet haben, um die Einbußen der Krise wettzumachen und die Wirtschaft zu modernisieren. Weil die Geschäfte monatelang geschlossen waren, haben außerdem viele Privathaushalte überschüssiges Geld auf ihren Konten. Auch das könnte die Händler zu Preisanstiegen veranlassen.
Gibt es auch Entwicklungen, die die Preise drücken?
Seit der Weltfinanzkrise vor zehn Jahren lag die Inflationsrate unter anderem in Deutschland oft erstaunlich niedrig. Manchmal war vom Rätsel der ausbleibenden Inflation die Rede. Mögliche Ursachen: Die globale digitale Vernetzung hat neue Konkurrenzen zwischen Produkten und auch Arbeitskräften hervorgebracht. Wegen dieses härteren Wettbewerbs steigen Warenpreise und Löhne eventuell weniger stark als früher. Als weiterer Grund wird genannt, dass die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, in reichen Ländern wie Deutschland jetzt oder bald in Rente gehen und deshalb für ihr Alter sparen. Das Geld fehlt bei der Nachfrage, was preisdämpfend wirkt.
Wie sind aber die hohen Immobilienwerte zu erklären?
Zentralbanken rund um den Globus haben seit 2008 Billionensummen neu in Umlauf gebracht, um die Inflation anzutreiben. Etwa die Europäische Zentralbank (EZB) verteilt die frischen Mittel, indem sie Anleihen, mittlerweile auch Aktien und andere Wertpapiere ankauft. Sie konkurriert hier mit den Privatinvestoren und treibt die Preise in die Höhe. Außerdem senken die Notenbanken ihre Leitzinsen und machen damit hohe Kredite erschwinglicher. Das hat in Städten rund um den Globus zu einem Wettlauf am Immobilienmarkt geführt.
Warum will die EZB eine gewisse Inflation auslösen?
In der Eurozone und in den USA gilt eine Inflation von knapp unter zwei Prozent als wünschenswert. Diese gibt einen gewissen Spielraum für Wirtschaftswachstum, ohne die Haushalte und Unternehmen zu überfordern. Und sie verhindert das Gegenteil, die Deflation. Dabei würden die Preise sinken – ein erfahrungsgemäß schwieriger Zustand, aus dem die Wirtschaft schlecht herausfindet. Für eine gewisse Inflation sorgen die Notenbanken, indem sie die Zinsen vergleichsweise niedrig halten und zusätzliches Geld auf die Märkte bringen.
Ändert sich die Politik der Zentralbanken nun?
Jerome Powell, der Präsident der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), kündigte im vergangenen August eine neue Strategie an. Die expansive Geldpolitik mit niedrigen Notenbankzinsen könne künftig auch dann beibehalten werden, wenn die Inflation für einige Zeit über zwei Prozent steigt. Bisher war es üblich, die Zinsen zügig zu erhöhen, sollte die Inflation höher als zwei Prozent ausfallen. Künftig will die US-Notenbank nun einen längeren Zeitraum zugrundelegen, in dem die Geldentwertung um die ZweiProzent-Grenze schwanken kann. Auf dieser Basis erklärte die Fed im März 2021, die Zinsen noch bis 2023 auf dem sehr niedrigen Niveau zu belassen. Die Frage ist nun, wie die US-Notenbank ihre Strategie umsetzt, da ja derzeit auch in den USA die Verbraucherpreise vergleichsweise stark zunehmen (fünf Prozent im Mai). Die Zentralbanken stecken in einer gewissen Bedrouille: Die steigende Inflation könnte zeitig höhere Zinsen erforderlich machen, diese erschwerten allerdings die wirtschaftliche Erholung, da sie Kredite für Firmen und Bürger verteuern. Möglicherweise werden Fed und EZB deshalb eher langsam, nach und nach die Anleihekäufe verringern und die Zinsen anheben.
Steigen bald die Sparzinsen und gleichen die Inflation aus?
Vorläufig wohl nicht. Und auf den Spar- und Tagesgeldkonten der Privathaushalte wird sich eine eventuelle Richtungsänderung wohl erst spät bemerkbar machen. Die Geschäftsbanken und Sparkassen lassen sich vermutlich Zeit. Enorme Zinssprünge sind ohnehin nicht zu erwarten, die Notenbanken gehen bei Zinserhöhungen üblicherweise in 0,25-Prozent-Stufen vor.
Was bedeuten höhere Zinsen langfristig für Immobilien?
Wenn die Zinsen mittel- oder langfristig wieder stiegen, bremste das den Preisanstieg bei Häusern und Grundstücken. Wie groß die Abwärtsbewegung am Immobilienmarkt dann aber ausfällt, kann niemand vorhersagen. Vielleicht bleibt es bei einer Korrektur von einigen Prozent, vielleicht gibt es einen Crash, sobald die Preise ins Rutschen geraten. Deutsche Immobilien dürften indessen ihren Wert zu einem großen Teil behalten. Der Anstieg war hier nicht so dramatisch wie in anderen Erdteilen. Sorge bereitet Beobachtern jedoch der immer geringere Anteil eigenen Kapitals, den die Käufer aus eigener Tasche bestreiten. Wenn die Zinsen steigen, die Verkaufspreise aber sinken, könnten manche Hauskäufer in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Wie sieht die Inflationserwartung in den kommenden Jahren aus?
„Eine nachhaltige Erhöhung der Teuerungsrate ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten“, heißt es in einem neuen Bericht aus dem Haus von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). „Denn aktuell sind keine Anzeichen einer Lohn-PreisSpirale zu beobachten, die zu dauerhaft hoher Inflation führen kann.“Das Wirtschaftsministerium rechnet also nicht damit, dass Gewerkschaften und Beschäftigte zu hohe Lohnforderungen durchsetzen. In die gleiche Richtung argumentieren viele Ökonomen, etwa Giovanni Gay. Geschäftsführer bei Union Investment. Die augenblicklichen „Sondereffekte“der Nach-CoronaInflation „dürften 2022 wieder nachlassen“. Der Preisauftrieb werde dann auf ein „moderates Niveau“sinken.
Welche Preise könnten hierzulande steigen?
Energieprodukte werden auch in den kommenden Monaten mehr kosten, vor allem fossile Brennstoffe. Beim Benzinpreis kommt noch hinzu, dass viele Bundesbürger in diesem Jahr im Inland verreisen und dafür vermutlich das Auto wählen, die Nachfrage nach Sprit also wächst. Im Übrigen geht der staatlich verordnete Kohlendioxidpreis in Deutschland in den kommenden Jahren nach oben. Auch die Preise einzelner Produkte könnten zunehmen: Etwa Kaffee mag teurer werden, weil die Ernte in Brasilien, dem größten Kaffeeanbauer, wahrscheinlich schlechter ausfallen wird als 2020.
Wie sieht die mittelfristige Perspektive unter dem Strich aus?
Während die Inflation in diesem Jahr wahrscheinlich stärker, danach wohl eher moderat zunimmt, bleiben die Sparzinsen erst mal da, wo sie jetzt sind – bei oder nahe null. Die finanzielle Schere für viele Privathaushalte wird sich etwas weiter öffnen, gefühlt oder real. Das dürfte die Debatte über Inflation und Zentralbankpolitik anheizen.