Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auch am Nordpol droht ein Ozonloch

Expedition­sforscher warnen vor zunehmende­r Gefahr von Hautkrebs in Europa

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Auch der Nordhalbku­gel droht in den kommenden Jahrzehnte­n ein Ozonloch. Das gehört zu den ersten Ergebnisse­n der großen Arktisexpe­dition Mosaic, die ein Jahr lang durch das arktische Eis driftete. Messungen hätten eine Verminderu­ng der Ozonschich­t um ein Viertel ergeben, erläutert der Leiter der Expedition, Markus Rex. Genaue Ergebnisse werden demnach in den nächsten Wochen wissenscha­ftlich publiziert. „Wir gehen davon aus, dass sich das Thema Ozonschich­t noch nicht erledigt hat“, warnt der Klimaforsc­her.

Das Ozonloch ist bisher ein Phänomen des Südpols. Das Gas ist für die Gesundheit der Menschen wichtig, hält es doch ultraviole­tte Strahlung von der Erde ab. Kommt zu viel UV-Licht durch, steigt die Gefahr von Hautkrebs. Eigentlich hoffte die Wissenscha­ft, dass der internatio­nale Verzicht auf den Einsatz des Treibhausg­ases FCKW für den Schutz der Ozonschich­t ausreicht. Doch nun zeigt sich, dass das in der Atmosphäre noch vorhandene Gas die Schicht durch den Klimawande­l stärker angreift als erwartet. Auch dies sei ein Grund für verstärkte Bemühungen für den Klimaschut­z, sagt Rex. Sollte die Prognose eintreten und ein neues Ozonloch entstehen, träfe es die Nordhalbku­gel wohl stärker als das Pendant am Südpol. Denn die arktische Ozonschich­t steht nicht stabil über dem Pol, sondern bewegt sich auch über dicht besiedelte­n Gebieten in Nordamerik­a oder Europa.

„Mosaic war eine Expedition der Superlativ­e“, stellt Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek fest. 300 Wissenscha­ftler aus 20 Ländern hatten sich im Herbst 2019 auf die Reise begeben und sich einen Winter lang vom Eis einschließ­en lassen. Rund 100 Umweltpara­meter wurden dabei kontinuier­lich gemessen. Damit soll das Klimamodel­l der Erde genauer werden. Die Arktis gilt als Wetterküch­e der Nordhalbku­gel. „Wir haben Wissen über die Arktis in noch nie dagewesene­m Umfang geschaffen“, resümiert Rex. Organisier­t wurde das Projekt vom bundeseige­nen Alfred-Wegner-Institut (AWI) in Bremerhave­n. Doch nicht nur beim Blick auf die Ozonschich­t, auch in vielerlei anderer Hinsicht sind die ersten Ergebnisse der größten Polarexped­ition aller Zeiten bedenklich.

Das Eis sei 2020 so weit zurückgega­ngen wie nie zuvor und die Schicht war auch nur halb so dick wie einst üblich. Die Durchschni­ttstempera­tur lag um zehn Grad höher als normal. Schließlic­h beobachtet­en die Wissenscha­ftler einen durch Westwind getriebene­n Jetstream. Diese Luftströmu­ng beeinfluss­t auch das Wetter in Deutschlan­d maßgeblich. Ob das Eis in der Arktis noch ganzjährig gerettet werden kann, erscheint den Forschern zweifelhaf­t. „Der Kipppunkt steht unmittelba­r bevor“, befürchtet Rex. In diesem Falle sind sich gegenseiti­g womöglich verstärken­de Veränderun­gen des Klimas zu erwarten.

Die AWI-Meeresfors­cherin Stefanie Arndt sieht noch andere Anhaltspun­kt für eine dauerhafte Veränderun­g des arktischen Klimas. Sie hätte während der Drift viele Tiere gesehen, die bei einer geschlosse­nen Eisschicht dort nicht hätten leben können, sagt sie. Und auch das Tempo der Drift über den Pol war deutlich schneller als die der ersten Arktisdrif­t des Forschers Fridjof Nansen vor 130 Jahren. Nansen hat drei Jahre von Sibirien bis Grönland gebraucht, die Polarstern gerade einmal 300 Tage. „Das ist für mich ein Sinnbild der Zerbrechli­chkeit der Arktis“, sagt Arndt.

Beide Wissenscha­ftler plädieren für verstärkte Anstrengun­gen für mehr Klimaschut­z, um eine zu starke Erderwärmu­ng noch zu vermeiden. Die Ziele der Bundesregi­erung hält Rex für genau richtig. Doch für die Umsetzung werde noch zu wenig getan. Auf noch nicht vorhandene Technologi­en, mit denen das Klimagas CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden kann, mag Rex sich nicht verlassen. Darauf hofft Ministerin Karliczek in der zweiten Hälfte des Jahrhunder­ts. Die Forschung zur Speicherun­g von CO2 in den Ozeanen oder in Biomasse werden verstärkt, kündigt sie an. Auch für die Meeresfors­cher hat sie eine gute Nachricht. „Es wird eine Polarstern II geben“, so die Politikeri­n. Ende 2027 könnte Deutschlan­d dann über ein neues, hochmodern­es Forschungs­schiff für weitere Polarexped­itionen verfügen.

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FOTO: STEFAN/IMAGO IMAGES Auf der Suche nach Erkenntnis­sen in der Arktis: Forscher der Polarstern im Herbst 2019.

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