Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Auch am Nordpol droht ein Ozonloch
Expeditionsforscher warnen vor zunehmender Gefahr von Hautkrebs in Europa
BERLIN - Auch der Nordhalbkugel droht in den kommenden Jahrzehnten ein Ozonloch. Das gehört zu den ersten Ergebnissen der großen Arktisexpedition Mosaic, die ein Jahr lang durch das arktische Eis driftete. Messungen hätten eine Verminderung der Ozonschicht um ein Viertel ergeben, erläutert der Leiter der Expedition, Markus Rex. Genaue Ergebnisse werden demnach in den nächsten Wochen wissenschaftlich publiziert. „Wir gehen davon aus, dass sich das Thema Ozonschicht noch nicht erledigt hat“, warnt der Klimaforscher.
Das Ozonloch ist bisher ein Phänomen des Südpols. Das Gas ist für die Gesundheit der Menschen wichtig, hält es doch ultraviolette Strahlung von der Erde ab. Kommt zu viel UV-Licht durch, steigt die Gefahr von Hautkrebs. Eigentlich hoffte die Wissenschaft, dass der internationale Verzicht auf den Einsatz des Treibhausgases FCKW für den Schutz der Ozonschicht ausreicht. Doch nun zeigt sich, dass das in der Atmosphäre noch vorhandene Gas die Schicht durch den Klimawandel stärker angreift als erwartet. Auch dies sei ein Grund für verstärkte Bemühungen für den Klimaschutz, sagt Rex. Sollte die Prognose eintreten und ein neues Ozonloch entstehen, träfe es die Nordhalbkugel wohl stärker als das Pendant am Südpol. Denn die arktische Ozonschicht steht nicht stabil über dem Pol, sondern bewegt sich auch über dicht besiedelten Gebieten in Nordamerika oder Europa.
„Mosaic war eine Expedition der Superlative“, stellt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek fest. 300 Wissenschaftler aus 20 Ländern hatten sich im Herbst 2019 auf die Reise begeben und sich einen Winter lang vom Eis einschließen lassen. Rund 100 Umweltparameter wurden dabei kontinuierlich gemessen. Damit soll das Klimamodell der Erde genauer werden. Die Arktis gilt als Wetterküche der Nordhalbkugel. „Wir haben Wissen über die Arktis in noch nie dagewesenem Umfang geschaffen“, resümiert Rex. Organisiert wurde das Projekt vom bundeseigenen Alfred-Wegner-Institut (AWI) in Bremerhaven. Doch nicht nur beim Blick auf die Ozonschicht, auch in vielerlei anderer Hinsicht sind die ersten Ergebnisse der größten Polarexpedition aller Zeiten bedenklich.
Das Eis sei 2020 so weit zurückgegangen wie nie zuvor und die Schicht war auch nur halb so dick wie einst üblich. Die Durchschnittstemperatur lag um zehn Grad höher als normal. Schließlich beobachteten die Wissenschaftler einen durch Westwind getriebenen Jetstream. Diese Luftströmung beeinflusst auch das Wetter in Deutschland maßgeblich. Ob das Eis in der Arktis noch ganzjährig gerettet werden kann, erscheint den Forschern zweifelhaft. „Der Kipppunkt steht unmittelbar bevor“, befürchtet Rex. In diesem Falle sind sich gegenseitig womöglich verstärkende Veränderungen des Klimas zu erwarten.
Die AWI-Meeresforscherin Stefanie Arndt sieht noch andere Anhaltspunkt für eine dauerhafte Veränderung des arktischen Klimas. Sie hätte während der Drift viele Tiere gesehen, die bei einer geschlossenen Eisschicht dort nicht hätten leben können, sagt sie. Und auch das Tempo der Drift über den Pol war deutlich schneller als die der ersten Arktisdrift des Forschers Fridjof Nansen vor 130 Jahren. Nansen hat drei Jahre von Sibirien bis Grönland gebraucht, die Polarstern gerade einmal 300 Tage. „Das ist für mich ein Sinnbild der Zerbrechlichkeit der Arktis“, sagt Arndt.
Beide Wissenschaftler plädieren für verstärkte Anstrengungen für mehr Klimaschutz, um eine zu starke Erderwärmung noch zu vermeiden. Die Ziele der Bundesregierung hält Rex für genau richtig. Doch für die Umsetzung werde noch zu wenig getan. Auf noch nicht vorhandene Technologien, mit denen das Klimagas CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden kann, mag Rex sich nicht verlassen. Darauf hofft Ministerin Karliczek in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Die Forschung zur Speicherung von CO2 in den Ozeanen oder in Biomasse werden verstärkt, kündigt sie an. Auch für die Meeresforscher hat sie eine gute Nachricht. „Es wird eine Polarstern II geben“, so die Politikerin. Ende 2027 könnte Deutschland dann über ein neues, hochmodernes Forschungsschiff für weitere Polarexpeditionen verfügen.