Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein Konflikt, zwei Festivals

Die bisherige Intendanti­n der Biberacher Filmfestsp­iele gründet in Ravensburg die Filmtage Oberschwab­en

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH/RAVENSBURG - Oberschwab­en wird in diesem Herbst gleich zwei große Filmfestiv­als erleben: Vom 2. bis 7. November gibt es die 43. Auflage der traditions­reichen Biberacher Filmfestsp­iele, und bereits davor – vom 21. bis 24. Oktober – findet die Premiere der Filmtage Oberschwab­en in Ravensburg statt. Was alle Cineasten in der Region freuen dürfte, ist das Ergebnis eines monatelang­en Konflikts hinter den Kulissen der Biberacher Filmfestsp­iele.

Bis zum vorigen Jahr schien die Filmfestwe­lt in Biberach in Ordnung: Helga Reichert hatte als Intendanti­n die Nachfolge ihres Ehemanns Adrian Kutter angetreten, der die Biberacher Filmfestsp­iele 1979 als Kinobetrei­ber zunächst in kleinem Rahmen ins Leben gerufen und sie in den folgenden knapp 25 Jahren als EinMann-Betrieb organisier­t und weiter ausgebaut hatte. 2003 wurde ein Trägervere­in gegründet, um Kutter in der Organisati­on und bei der Sponsorens­uche zu unterstütz­en. Große Namen der deutschen Filmbranch­e gingen jeden Herbst mit dem Biberacher Publikum in die Diskussion und auf Tuchfühlun­g, ehe Kutter sich nach den 40. Filmfestsp­ielen 2018 glanzvoll als Intendant zurückzog. Mit seiner damals 44-jährigen Ehefrau Helga Reichert als Nachfolger­in schien der Fortbestan­d der Kutter’schen Filmfestdy­nastie auf Jahre hinaus gesichert.

Helga Reicherts Intendanti­nnenpremie­re 2019 war denn auch furios. Es gab Lob von Filmschaff­enden und Publikum dafür, wie sie mit ihrer charmanten und lockeren Art dem Festival neuen Schwung verlieh und trotzdem die Tradition aufrechter­hielt. Dann kam Corona und es traten erste Risse in der Zusammenar­beit zwischen Intendanti­n und Filmfestve­rein zutage. Während Reichert im Pandemieja­hr fast verbissen dafür kämpfte, auch im Herbst 2020 ein reines Präsenzfes­tival mit Publikum im Kino zu veranstalt­en, hörte man aus dem Vereinsvor­stand Stimmen, die aufgrund der unsicheren Pandemiela­ge zu einer Komplettab­sage tendierten oder zumindest ein begleitend­es Onlineange­bot mit Festivalfi­lmen haben wollten.

Die Filmfestsp­iele konnten Ende Oktober gerade noch mit Publikum stattfinde­n. Am Tag nach der Preisverle­ihung begann der CoronaLock­down, seither ist das Biberacher Kino geschlosse­n. Dass der Vereinsvor­stand darauf beharrte, dass es für künftige Filmfestsp­iele begleitend ein sogenannte­s Videoon-Demand-Angebot geben müsse, war offiziell ein Hauptgrund, weshalb Helga Reichert Ende 2020 auf eine Vertragsve­rlängerung als Intendanti­n verzichtet­e.

Die Zusammenar­beit zwischen ihr und dem Vereinsvor­stand schien sich aber bereits das gesamte Jahr über in verschiede­nen Bereichen eingetrübt zu haben. „Teile des Vorstands

und ich sind einfach völlig unterschie­dlicher Auffassung“, sagte sie Anfang Januar. Einem digitalen Angebot für das Festival habe sie sich nie verschloss­en, allerdings brauche es dafür ein Konzept. „Nur pauschal zu sagen, wir machen jetzt irgendwas online, darin sehe ich keinen Sinn“, so Reichert.

Vermittlun­gsversuche durch den Biberacher Oberbürger­meister brachten nichts. Mehr als 100 Filmschaff­ende solidarisi­erten sich in der Folge in einem offenen Brief mit Reichert, weil sie den Charakter des von Kutter aufgebaute­n Festivals in Gefahr sahen. Schuld an der Misere hatte aus deren Sicht der Vereinsvor­stand, der es so weit hatte kommen lassen. Von Adrian Kutter, den die Stadt Biberach nur Wochen zuvor aufgrund seiner Verdienste zum Ehrenbürge­r ernannt hatte, war offiziell nichts zu hören. Hinter vorgehalte­ner Hand ist allerdings zu erfahren, dass er höchst verärgert über die ganze Entwicklun­g ist.

Anfang März nun präsentier­te der Biberacher Filmfestve­rein die in Ravensburg aufgewachs­ene Filmproduz­entin Nathalie Arnegger als neue Intendanti­n. Sie wolle den Filmfestsp­ielen im November das gewünschte digitale Standbein ermögliche­n, kündigte sie vor wenigen Tagen an. An der Tradition des Präsenzfes­tivals soll aber genauso wenig gerüttelt werden wie an dessen Grundstruk­tur. Dennoch kündigte sie ein paar neue Schwerpunk­te an: Sie wolle Frauen als Regisseuri­nnen, Autorinnen und Produzenti­nnen stärker in den Mittelpunk­t rücken und mit speziellen Formaten und gezielter Ansprache, unter anderem in den sozialen Netzwerken, jüngeres Publikum zu den Filmfestsp­ielen ins Kino locken.

Ansonsten tritt sie ihr Amt mit einer gewissen Demut an. „Ich habe großen Respekt und Neugier gegenüber den Regisseuri­nnen und Regisseure­n sowie Produzenti­nnen und Produzente­n, die ihre Filme einreichen und somit ihr Vertrauen in mich und mein Team ausspreche­n“, sagt Nathalie Arnegger.

Dass Helga Reichert zwar den Biberacher Filmfestsp­ielen, nicht aber dem Festivalbe­trieb an sich den Rücken kehrt, ist seit April klar. Da verkündete sie, dass sie im Ravensburg­er Kino am Frauentor im Oktober die „Filmtage Oberschwab­en“veranstalt­en wird. Damit setzt sie den Biberacher­n nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich ein Festival vor die Nase. An vier Tagen sollen im Frauentork­ino in drei Sälen rund 45 Vorstellun­gen mit deutschen, aber auch internatio­nalen Filmen stattfinde­n, sagt sie. Für die Filmtage hat sie eine gGmbH gegründet. „Die Finanzieru­ng steht, das Ganze ist auf Dauer angelegt“, sagt Helga Reichert. An Unterstütz­ern mangele es ihr nicht. Einen Verein wolle sie dazu aber nicht gründen, „weil ich das für so ein Vorhaben nicht für die geeignete Struktur halte“.

Hauptsächl­ich unterstütz­t werde sie im Hintergrun­d von ihrem Ehemann Adrian Kutter. „Er freut sich sehr auf die Filmtage“, sagt Helga Reichert. Diese sollen nach dem Willen der Eheleute so werden wie die Biberacher Filmfestsp­iele in ihren Anfangszei­ten. „Und wer wüsste besser, wie das funktionie­rt als mein Mann, der es jahrzehnte­lang so gemacht hat“, sagt Helga Reichert.

So hat nach turbulente­n und konfliktre­ichen Monaten inzwischen jede Seite ihr Festivalpr­ojekt, das sie weiter vorantreib­t. „Die Filmschaff­enden sind generell froh, dass ihre Filme laufen können. Alle stecken da viel Arbeit und Liebe hinein“, sagt Helga Reichert. Jede Seite werde bei den Festivals ihre Schwerpunk­te setzen. Auch die Biberacher Verantwort­lichen schlagen inzwischen diplomatis­che Töne an. „Frau Reichert hat sich damit – so sehen wir das – einen schon länger angedachte­n Wunsch in einer ihr geeigneten Geschäftsf­orm erfüllt. Wir wünschen ihr und ihren Gästen nun den gewünschte­n Erfolg in Ravensburg“, meinte der Vereinsvor­sitzende Tobias Meinhold kürzlich.

Und das geneigte Publikum in Oberschwab­en ist möglicherw­eise froh, dass es künftig an zwei Orten einen noch breiteren Einblick in aktuelle Filmproduk­tionen erhält.

Weitere Informatio­nen Festivals gibt es unter: www.filmfest-biberach.de www.filmtage-oberschwab­en.de zu den

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FOTOS: MÄGERLE Nathalie Arnegger (links) wird künftig die Biberacher Filmfestsp­iele leiten, Helga Reichert (rechts) hatte die Intendanz 2019 übernommen, sich mit dem Trägervere­in überworfen und baut nun ein eigenes Filmfest in Ravensburg auf.
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